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Im Schatten von Pompeji

Beim Ausbruch des Vesuvs im Jahr 79 nach Christus wurden zwei blühende römische Städte in wenigen Stunden ausgelöscht. Erst im 18. Jahrhundert entdeckten Archäologen die Überreste der beiden Städte Pompeji und Herculaneum. Bekannt ist heute vor allem Pompeji, das deutlich größer war und schnell freigelegt werden konnte. In Neapel ist nun aber eine Ausstellung zu sehen, die zeigt, dass sich Herculaneum neben Pompeji durchaus sehen lassen kann.

Von Thomas Migge | 22.12.2008
    "Die Ausstellung zeigt alle großen und wichtigen Skulpturen aus Herkulanum. Und das zum ersten Mal! Die meisten dieser außergewöhnlich gut erhaltenen Kunstwerke waren entweder noch nie zu sehen oder seit über 50 Jahren in Magazinen verschwunden. Warum? Nun, wir haben einfach nicht die Finanzmittel, um alle unsere Schätze permanent auszustellen. Andere Skulpturen haben wir ausleihen können”."

    Pietro Giovanni Guzzo ist der Herr im Haus des archäologischen Nationalmuseums in Neapel. Der Superintendent der antiken Kulturgüter Neapels ist stolz darauf, dass man in der Stadt unter dem Vesuv endlich das Geld dafür gefunden hat, die wichtigsten und schönste Grabungsfunde aus dem antiken Herukalanum ausstellen zu können. Rund 200 Objekte aus der antiken Kleinstadt, die im Jahr 79 nach Christus zusammen mit dem größeren Pompeji unter einer Lavaflut begraben wurden, werden nun im Nationalmuseum gezeigt. Die meisten Ausstellungsstücke sind Skulpturen: ausgegraben und jahrzehntelang in Kellern und Magazinen aufbewahrt, zum Teil unter Bedingungen, die Archäologen die Haare zu Berge stehen lassen.

    ""Einige Ausstellungstücke wurden erst in den letzten Jahren entdeckt. Wir zeigen also auch eine Seite des antiken Herkulanum, die so gut wie unbekannt ist. Wie zum Beispiel die fast zwei Meter große Demeter-Skulptur aus weißem Marmor, die erst 1997 in der Villa der Paphyri ausgegraben wurde. Aus der gleichen Villa stammt übrigens auch ein schlafender Satur, gefunden 1756, eine komplett erhaltene Bronzeskulptur. Eines der schönsten Stücke hier im Museum.”"

    Im 18. Jahrhundert wurde die antike Kleinstadt wiederentdeckt, noch vor Pompeji. Mit jeder neuen Skukptur, die aus den unter einer meterdicken Lavaschicht begrabenen römischen Villen herausgeholt wurde, mit den ersten ausgegrabenen Freskenbildern und Mosaiken breitete sich über ganz Europa eine neue Antikenbegeisterung aus. Der nordeuropäische Neoklassizismus wäre ohne diese ersten und im späten 18. Jahrhundert spektakulären Funde undenkbar gewesen.

    Doch mit der Zeit konzentrierte sich die archäologische Forschung zunehmend auf das größere Pompeji. Zu Unrecht, denn die verschütteten Ruinen von Herkulanem stehen denen der Nachbarstadt in nichts nach. In der Villa der Papyri zum Beispiel wurden antike Manuskripte entdeckt, die zu den einzigen erhaltenen gehören, die heute Auskunft über die Werke griechischer und römischer Autoren geben. Die neapolitanische Ausstellung "Drei Jahrhunderte Entdeckungen” zeigt nun die schönsten der Funde aus Herkulanum. Darunter auch einige Reste antiker Schriftrollen, die nicht von der heißen Lava zerstört worden sind.

    Seit einigen Jahren wird wieder systematisch in Herkulanum geforscht und gegraben. Nicht etwa, weil der italienische Statd mehr Geld als vorher für die Archäologie locker macht. Das Geld kommt von einem US-Amerikaner, der selbst nur zu gern Archäologe geworden wäre, dann aber das Familienunternehmen übernehmen musste. David W. Packard wurde als Technologiemagnat reich und berühmt und stellt über sein Packard Humanities Institut jedes Jahr mehrere Euromillionen für Herkulanum zur Verfügung.

    Was das bedeutet, erklärt der römische Archäologe Fabrizio Martelli von der Universität La Sapienza:

    "Wenn man diese Werke ausstellt, muss man klar und deutlich sagen, dass wir viele Skulpturen und andere Objekte nur dank der großzügigen Hilfe Packards haben finden und ausgraben können. Ohne das Geld seines Instituts und angesichts der mal fließen und dann nicht wieder nicht fließenden Gelder aus dem römischen Kulturministerium können wir in Herkulanum kontinuierlich arbeiten."

    Die umfassende Herkulanum-Schau zeigt neben Skulpturen, Mosaiken und Fresken, darunter die Prunkstücke, die im sogenannten Augusteum ausgegraben wurden, auch die Überreste jener erhalten gebliebenen Toten, die 79 nach dem Ausbruch des Vesuv starben. Eine Sektion stellt den Jet Set der Kleinstadt vor: mit Büsten und Kunsthandwerk, eine andere das einfache Volk, mit Alltagsgegenständen aus der römischen Massenproduktion, wie Öllampen und Handwerkszeug . Zu den in Herkulanum gefunden Raritären gehören sogar Stoffreste - ungewöhnliche Funde angesichts der großen Zerstörungen nach einem Vulkanausbruch, der ganze Städte unter heißer Lava begrub.

    Die Ausstellung in Neapel aber zeigt nun die kleinen Stoffreste, die über die Kunstfertigkeit der Weber jener Zeit Auskunft geben. Diese hochsensiblen antiken Reste wurden erst im letzten Jahr ausgegraben und werden jetzt zum ersten Mal ausgestellt. Es handelt sich um Reste von Tuniken und Umhängen, die, und die Verarbeitung macht es deutlich, gutbetuchten Römern gehört haben müssen. Kleidungsstücke, die von ihren Besitzern im Augenblick des Todes getragen wurden und wie durch ein Wunder von der Katastrophe verschont blieben.