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Immer Drama um Tamara

Das Buch Tamara Drewe ist die Vorlage zum neuen Kinofilm von Stephen Frears. Die typisch britische Komödie dreht sich um die junge Journalistin. Sie kehrt nach dem Tod der Mutter in den englischen Heimatort zurück. Nicht nur sie, auch die Dorfbewohner kommen damit nicht klar.

Von Josef Schnelle | 30.12.2010
    Ein Schriftstellerrefugium am grünen Rand der Welt. Ausflugsort für die Londoner Schickeria. England wie aus dem Bilderbuch. Sanft geschwungene Hügel. Malerisch gelegene Farmen. Ein kleines Dorf mit nur einem Pub. Das ist die Puppenspielbühne für "Immer Drama um Tamara". So hat der deutsche Verleih Stephen Frears komödiantische Dramulette "Tamara Drewe" eingedeutscht. In Großbritannien kennt jeder die Hauptfigur aus der wöchentlich im "Guardian" abgedruckten Grafischen Novelle von Posy Simmons mit literarischem Hintergrund, die man bis zu Thomas Hardy zurückverfolgen kann. Hardy wird im Film auch häufig zitiert, Verbindungen zu seinem fast vergessenen Roman "Far from the medding crowd", der trotzdem als einer der zehn wichtigsten Texte der britischen Literatur gilt, sind offensichtlich. Die leichte Komödie von der Rückkehr zu den Wurzeln des britischen Landlebens ist eine ungewöhnliche Arbeit von Frears, der das britische Independent-Kino mitbegründete, aber zuletzt große Hollywoodproduktionen betreute, bevor er mit "The Queen" Hellen Mirron als Queen Elizabeth zu einem Oscar verhalf. "Tamara" ist gerade für diesen Regisseur ein ungewöhnlicher Ausflug in eine Welt, in der Miss Marple in jedem Augenblick um die Ecke biegen könnte. Tamara kommt zurück. Sie war einmal das hässliche Entlein des Dorfes. Nun ist sie äußerst attraktiv und als Kolumnistin in London erfolgreich. Sie verdreht den Männern reihenweise den Kopf:


    "Sie hat sich total verändert." - "Wie war sie denn früher. Erzählen Sie die Story." - "Es gibt keine." - "Ach kommen Sie." "Es ist zehn Jahre her, war eigentlich nichts. Nur so eine Teeniekiste."

    Sowohl das friedliche Schriftstellerdomizil, von Frears mit mildem Spott gezeichnet, wie das Dorf werden aufgemischt von Tamara, die das Haus ihrer Großmutter abwickeln muss aber mit ihren Jeans-Hotpants alle verfügbaren begehrlichen Männerblicke auf sich zieht. Frears stellt sich den gezeichneten Vereinfachungen der Handlung und den schlicht gezeichneten Figuren, in dem er sie leicht ironisch ins filmische Melodramaparadies überführt. Was wird die Jugendliebe machen? In welche Katastrophe wird die zunehmende erotische Verwirrung des Ortes münden. Stephen Frears Regie ist die Lust am Boulevard deutlich anzumerken. Der ganze Ernst seiner Sozialmelodramen, Krimis und Historienschinken platz ab wie dünner Putz. Die Lust am Vaudeville mit derben Bildwitzen und groben Sprachpointen kommt zum Vorschein. Bei Frears kann man erleben, was man am Volkstheater immer schon mochte. Die Gerüchteküche treibt die Handlung voran.

    "Wer ist das? - "Das ist Tamara Drewe." - "Nie im Leben. Niemals." - Ich war mit Elly bei ihr." "Großer Gott. Was ist passiert." - "Sie hat sich die Nase machen lassen." - Sie hat sich völlig verändert." - " Hat Andy auch gesagt." - "Arme Tamara. Immer so traurig." - "Sie hat Dir früher oft beim Autowachen geholfen, nicht Nicholas." - "Ja, da war sie noch´n Teenager." - Sie hat bei uns Familienanschluss gesucht, nachdem ihr Dad weg war." - Ist das die Tamara Drewe, die in so 'ner Sonntagszeitung eine Kolumne hat?" - "Ja, aber jetzt schreibt sie für den Independent."

    Wie ein antiker Chor kommentiere die frühreifen Teenager des Ortes die Haupthandlung voran. Sie wissen nicht wirklich was gerade passiert, aber das hält sie durchaus nicht von engagierten Kommentaren ab. Im Kasperletheater, das dieser Film auch irgendwie ist, wären sie vielleicht das Krokodil und der Polizist.

    "Er liebt sie nicht wirklich. Er tröstet sich mit ihr nur über Fran hinweg. Er betäubt seinen Schmerz mit wilden, nichts sagendem Sex. Was ihm wirklich gut täte."
    - "Eine 15Jährige aus Udan." - " Na und es gibt seltsameres. Er ist nur Zehn Jahre älter und das ist gar nichts." - "Wenn er mich kennenlernt. ich weiß, wenn er mich kennenlernt." - "Wär's Liebe, was?" - "Ja aber nur Sex wär' auch OK."

    Stephen Frears hat mit diesem äußerst unterhaltsamen Film Neuland betreten: die Welt der Trivialmythen aus der britischen Provinz. Und er zeigt, dass man Comics doch verfilmen kann, als seien es Geschichten von lebendigen Menschen. In einer Hinsicht ist er sogar im Vorteil. Sein Bilderbuch-England hat hintergründige Tiefe. Das Spiel der Schauspieler lässt zum Vorschein kommen, was man in hingeworfenen niedlichen Zeichnungen zunächst nicht sieht. Niemand ist ehrlich, die meisten haben sogar eine Leiche im Keller. Betrug und Verrat lauern an jeder Ecke. Armes Landleben. Es ist genauso vertrackt wie die Welt der Stadtneurotiker.