Freitag, 19. April 2024

Archiv


In fremden vier Wänden

Mit einer ungewöhnlichen Aktion will die Theatergruppe "Drama Köln" den Als-ob-Effekt der Bühne auf die ganze Stadt ausweiten: Alle Einwohner sind eingeladen, ihre Türschlüssel für einige Tage abzugeben und selbst in einer fremden Wohnung unterzukommen.

Von Eva Raisig | 02.09.2013
    Einchecken im Hotel Köln, dem größten Hotel der Stadt. Die Rezeption, die Lobby und die Hotelbar befinden sich in einem Gebäude nördlich des Hauptbahnhofs. Hier können die Einwohner der Rheinstadt in den nächsten beiden Wochen ihren Wohnungsschlüssel abgeben und erhalten ihrerseits den Schlüssel zum Domizil eines anderen Hotelgastes. Das Hotel selbst ist die ganze Stadt.

    Doris und Duncan, beide Mitte 40, sitzen in der Hotellobby, die aus zwei Sesseln und einem kleinen Tisch besteht. Auf die Wand dahinter ist eine Fahrstuhltür gemalt. Das Paar ist eigentlich im Stadtteil Dellbrück auf der anderen Rheinseite zu Hause und hat nun gleich für den kompletten Zeitraum gebucht - zwölf Tage.

    Ihm sei die Decke in ihrem beschaulichen Viertel auf den Kopf gefallen, erzählt Duncan, Urlaub könnten sie erst im Herbst machen - da sei das Theaterprojekt mit dem Namen "Hotel Köln", bei dem man in fremden Wohnungen unterkommt, wie gerufen gekommen.

    "Ich begreife das als soziale Inszenierung, weil man muss ja tatsächlich eine kleine Hemmschwelle überwinden. Ja und Privatsphäre und öffentlicher Raum, damit habe ich beruflich zu tun, weil ich in der Informationstechnik und Nachrichtentechnik tätig bin. Und unser Gehäuse wird jetzt, wir wissen nicht wer, jemand für zwölf Tage bewohnen. Und das ist einfach spannend."

    Für ihre erste Nacht müssen die beiden ihre Gewohnheiten umstellen: In ihrer 100-Quadratmeter-Wohnung hat jeder ein eigenes Schlafzimmer. Jetzt zieht das Paar aus dem ruhigen Vorort in die Kölner Innenstadt - in ein kleines Einzimmer-Apartment im Agnesviertel. Dort bleiben sie aber nur für eine Nacht, dann geht es weiter ins nächste Quartier. Währenddessen schlafen andere Gäste in ihren Betten, duschen in ihrer Dusche, kochen in ihrer Küche.

    Die Sorge vor Horrorgästen in der eigenen Wohnung sieht Doris, die als Ärztin arbeitet, allerdings pragmatisch:

    "Das ist ja keine Ballermannveranstaltung, die hier läuft, das wären dann vielleicht so Horrorgäste. Aber wir sind ja dann auch nicht da, wenn die da sind, wir begegnen denen ja auch nicht, das sind dann unsere Nachbarn, die müssen das ertragen, aber wir sind dann fein raus."

    Dann wird es Zeit, dass das Zimmer bezogen wird. Der Page Andreas in schwarz-grüner Uniform, äußerst höflich und zuvorkommend, geleitet die beiden mit ihrem Rollkoffer und dem Wanderrucksack in Richtung Agnesviertel.

    Vor der Lobby stehen einige andere Gäste und Interessierte. Gut 40 Reservierungen gibt es bereits, erzählt die künstlerische Leiterin und Hotel-Chefin Philine Velhagen. Die Macher der Theatergruppe Drama Köln wollen mit ihrem Projekt den Als-ob-Effekt des Bühnentheaters auf die ganze Stadt auszuweiten.

    "In dem Moment, wo man seine Wohnung präpariert, wird man sozusagen zum Bühnenbildner, der sich fragt, wie wirkt diese Wohnung wohl auf jemanden, der mich nicht kennt? Oder fange ich an, das zu inszenieren, indem ich bestimmte Bücher rauslege oder ich überlege, ob ich meinen Schreibtisch noch aufräume. Da fängt man dann an, Bühnenbildner seines eigenen Lebens zu werden und andersrum trifft man dann als Gast in einer Wohnung auf ein Bühnenbild ohne den Hauptdarsteller und macht sich Gedanken über den Hauptdarsteller oder Vermutungen über ihn."

    Am nächsten Morgen im Agnesviertel. Doris und Duncan bereiten sich in der winzigen Küchenecke ihren Kaffee zu. Die kleine Wohnung liegt im zweiten Stock eines Mehrfamilienhauses, eine Studentenwohnung, vermuten die beiden. An den Wänden Bilderrahmen, Poster, Fotos, Tiermasken, das Bücherregal gut sortiert. Gestern Abend hat die beiden hier ein freundlicher Willkommensbrief erwartet und ein paar schriftliche Kniffe für die Eigenheiten der Wohnung, für spezielle Duschkonstruktionen und versteckte Lichtschalter. Außerdem: Ein Gameboy, wie aus einer anderen Zeit.

    "Das fand ich sowas von Klasse, dass es hier 'nen Gameboy gibt. Ich darf auch verraten, wo der war: Auf dem WC."

    Besonders gut geschlafen haben die beiden nicht und vermuten das ungewohnte Bett als Ursache. Auch der Wechsel auf geschätzte 25 Quadratmeter sei eine Umstellung gewesen.

    "Also man stößt ständig an, auch in der Küche ist es sehr eng, eigentlich kann immer nur einer rein und man muss schon ein bisschen umeinander herumtänzeln."

    "Für Frischverliebte ist es 'ne Superwohnung. Nun sind wir ja schon etwas länger zusammen, sind zwar immer noch verliebt ... gelegentlich. Nee, Scherz beiseite: Es ist eine Umstellung. Ich finde das sehr schön und auch liebevolle Details findet man, aber es ist auch wirklich ungewohnt."

    Die Neugier auf das nächste Quartier ist trotzdem ungebrochen. Nach dem Frühstück geht es zurück an die Rezeption, um einen neuen Wohnungsschlüssel in Empfang zu nehmen. Und um sich von dem eigenen und immer bequemsten Bett zu entwöhnen, bleiben den beiden ja noch ein paar weitere Nächte - im Hotel Köln.

    Tipp:

    Die Autoren Philine Velhagen und Jan Holtmann, nach dessen Idee einer noroomgallery auch das Hotel Köln entstand, machen aus dem Projekt ein Hörspiel für den WDR. Es läuft am 25. November 2013 ab 23:05 Uhr, in der Sendung "WDR 3 open: pop drei" und am 26. November ab 23:00 Uhr in den "1LIVE Soundstories".