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"Indes" - ein Blatt jenseits jeder lagertheoretischen Zuordnung

"Indes" ist eine Zeitschrift für Politik und Gesellschaft. Sie erscheint seit Oktober vergangenen Jahres alle drei Monate und wird vom Göttinger Politologen Franz Walter herausgegeben. Die Macher wollen Forschungsergebnisse aus der Sozialwissenschaft nachvollziehbar präsentieren, ohne dabei ins Triviale abzugleiten.

Von Norbert Seitz | 10.09.2012
    In unserer Rubrik KURSIV beobachten wir regelmäßig die Themen, die besonders stark in politischen Zeitschriften diskutiert werden. So eine "Indes" ist eine Zeitschrift für Politik und Gesellschaft. Sie erscheint seit Oktober vergangenen Jahres alle drei Monate und wird vom Göttinger Politologen Franz Walter herausgegeben. Die Macher haben sich mit "Indes" ein hohes Ziel gesetzt: Sie wollen Forschungsergebnisse aus der Sozialwissenschaft nachvollziehbar und unterhaltsam präsentieren, ohne dabei ins Triviale abzugleiten. Norbert Seitz hat für Andruck die Chefredakteurin Katharina Rahlf getroffen und geschaut, ob das Konzept aufgeht:

    Seit das Feuilleton Debatten im Schnellverfahren abzuhandeln pflegt, und die Universitäten unter dem Bachelor-Unwesen zu veröden scheinen, haben es Monats- und Vierteljahreszeitschriften schwer, sich gegen den Trend zur intellektuellen Fast-Food-Kultur zu behaupten. Um so begrüßenswerter, dass jüngere Autorinnen und Autoren aus der Wissenschaft und gehobenen Publizistik diesem Trend Paroli bieten wollen. Nach dem neu belebten "Kursbuch", der Halbjahreszeitschrift "Polar" oder dem "Philosophie-Magazin" ist in diesem Jahr mit "Indes" eine weitere politische Zeitschrift für Politik, Kultur und Gesellschaft entstanden. In ihrer Gründungsausgabe liefert "Indes" das Rezept zur besorgten Frage gleich mit:

    "Wo sind die Vordenker? Allerorts vernimmt man Klagen über den desaströsen Zustand der Politik, über die politische Ideenlosigkeit, über das Fehlen genialer Einfälle. Gibt es nicht auch heute noch Intellektuelle, die Wichtiges zu sagen haben? Wenn nein, warum nicht; und wenn ja, wo findet man sie?"

    Heißt es im Editorial der Leitenden Redakteurin, Katharina Rahlf, die zugeben muss, dass der Titel "Indes" anfangs relativ viel Verwirrung gestiftet hat:

    "Der ist aber in gewisser Weise Programm, denn 'Indes' steht ja für 'jedoch', 'aber', 'hingegen', und das ist ja auch ein bisschen der Ansatz der Zeitschrift, dass sie eben nicht automatisch dem sogenannten Mainstream hinterhereifern will, sondern auch um die Ecke denken will, neue Perspektiven vorstellen möchte."

    Die Vierteljahreszeitschrift entstammt der Göttinger Schule um den Politologen Franz Walter. So bewegt sich die Redaktion auch im Grenzbereich zwischen Kultur- und Fachzeitschrift und ist auf der Suche nach einem seriösen und geduldigen Verlag vor Ort bei der Traditionsadresse von Vandenhoeck und Ruprecht fündig geworden. Wohltuend, dass "Indes" auf alle pompösen Ambitionen von einst verzichtet - wie die einer anzustrebenden "Gegenöffentlichkeit", "Diskurshoheit" oder "kulturellen Hegemonie". Außerdem entzieht sich das Blatt jeder lagertheoretischen Zuordnung:

    " 'Indes' ist definitiv nicht an eine Parteilinie gebunden. Es kommt eben nur darauf an, dass man originelle Gedanken hat und die auch anregend niederschreiben kann. Unser Programm ist eben gerade, diese Gewissheiten noch mal zu hinterfragen.""

    Das demnächst erscheinende "Spätsommerheft" ist dem Thema "Massenveranstaltungen" gewidmet. Es spreche einiges dafür, heißt es im Editorial, dass gerade in Gegenwartsgesellschaften, die auf Individualität gründen, das punktuelle ekstatische Abtauchen im anonymen "Meer von Gleichgesinnten" ein besonders notweniges Ventil darstelle. Dass der "Mob zu denken beginnt", verdeutlicht die Soziologin Elke Endert an den Massenprotesten bei Stuttgart 21, Occupy und auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Dabei weist sie darauf hin, dass die Gegenüberstellung überkommen sei – hie das rational denkende Individuum, dort die irrational handelnde Masse –. Beide gehörten untrennbar zusammen:

    "Gefühle bestimmen unsere Wahrnehmung, sie fokussieren innerhalb eines schier unendlichen Angebots unsere Aufmerksamkeit und sie fungieren als Energielieferanten. Was sonst treibt Demonstranten bei Wind und Wetter auf die Straße, lässt sie ihr wohlverdientes Wochenende opfern. Es braucht Energie, das gemütliche Sofa zu Hause zu verlassen."

    Wie Jugendliche, angeregt durch die Möglichkeiten im Netz, die "Macht der Menge" für sich entdecken, untersucht Johanna Klatt, Mitarbeiterin am Göttinger Institut für Demokratieforschung. In ihrem Beitrag über "Flashmobs" stellt sie fest, auch wenn der digitale Massencharakter kein gänzlich neues Phänomen sei und sein Prinzip dem der Teilnahme an Demonstrationen durchaus ähnele, so bleibe dennoch ein gravierender Unterschied:

    "Mit Blick auf die Historie der bundesrepublikanischen Zivilgesellschaft fällt auf, dass sich die Teilnehmenden an Massenkundgebungen heute längst nicht mehr so schnell ( ... ) wie früher in eine Großorganisation einbinden lassen. Während noch vor wenigen Jahrzehnten Massenansammlungen – zum Teil ähnlich kreativ und politisch wie die heutigen Smart Mobs – den Weg in eine politische Vereinigung ( ... ) bereiteten ( ... ), so hat sich dieses einstmalige "Mittel zum Zweck" gegenwärtig zum Selbstzweck gewandelt."

    Mag das Heft über "Massenveranstaltungen" etwas vergangenheitslastig sein, so versucht die kommende Ausgabe Fragilitäten unserer Zeit zu ordnen, denn es geht um das Thema "Grenzen". Katharina Rahlf:

    "Da fragen wir eben ganz weit gefächert nach den Funktionen von Grenzen, fragen, ob Grenzen verschwinden, in welchen Bereichen Grenzen vielleicht doch wieder eine neue Konjunktur erleben, es geht auch um Tabus und Tabubrüche, es geht ( ... ) sehr explizit eben auch um nationalstaatliche Grenzen."

    Womit das junge Blatt wohl auch einen Vorgeschmack auf wiederkehrende Reizthemen liefern dürfte.