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Inspiration im Wüstensand

Der Architekt Le Corbusier beklagte die Hässlichkeit des Fortschritts in Europa, nachdem er Ghardaia gesehen hatte. Simone de Beauvoir beschrieb den Ort als ein "wunderschön konstruiertes kubistisches Gemälde". Die Rede ist von Ghardaia, einer Oasenstadt in Algerien.

Von Martina Zimmermann | 28.10.2012
    Auf dem Platz vor dem Wachturm spielen Jungen Fußball. Sie kümmern sich nicht um die herrliche Aussicht über das ganze M´Zab-Tal auf fünf Ortschaften, die alle von Palmenhainen und Oasen umgeben sind.

    Festungsmauern schützen vor Eindringlingen. Vom Marktplatz führen enge Gassen auf einen Hügel zur Moschee. In diesem schattigen Labyrinth bleibt es auch bei größter Hitze angenehm, Luft und Licht kommen auch in die Wohnungen. Die ineinander verschachtelten Häuser ergeben eine Pyramidenform. Führer Djudj Brahim erklärt:

    "Die Farben sind sehr hell, und sie strahlen die Hitze zurück. Das Beige der Farben außen passt zur Farbe des Sandes. Aber im Innern der Häuser wird eine blaue Farbe verwendet. Das verringert die Helligkeit, und so kann sich die Seele erholen. Das Blau, das wir verwenden, verringert sogar die Fliegen und Insekten im Haus. Die Mauern sind aus Kalk und Sand und werden mit Dattelholz gestützt. ... Das ergibt natürliche Farben, nichts wird gefärbt, alles ist natürlich."

    Diese Architektur ist fast 1000 Jahre alt. 1982 erklärte die UNESCO Ghardaia wegen dieses einzigartigen Städtebaus zum Weltkulturerbe. Nachdem er Ghardaia gesehen hatte, beklagte Le Corbusier die Hässlichkeit des Fortschritts in Europa. Ricardo Bofill, Franck Lloyd Wright, Pouillon und viele andere Architekten fanden und finden in Ghardaia Inspiration. Simone de Beauvoir beschrieb die Stadt als ein "wunderschön konstruiertes kubistisches Gemälde". Brahim Fekhar vom Verein zur Erhaltung des Mzabtales über die Lebensqualität in seinem Heimatort:

    "Im Palmenhain unter den Palmen inmitten der Natur mit Freunden Tee trinken, am Nachmittag oder am Abend unter dem Sternenhimmel, das ist außergewöhnlich. In einem Haus in der Altstadt mit der Frau oder mit Freunden Couscous essen, auch mit Touristen, das ist schön. Und dann erst ein Spaziergang in die Dünen!"

    Djilali Messaouda reiste in den 70er- und 80er-Jahren durch Europa, er war sogar einmal bei Nina Hagen in Hamburg zu Gast und hat mit dem französischen Chansonnier Leo Ferré in Paris Kaffee getrunken! Doch es zog ihn zurück in die Heimat:

    "Wir haben hier Sonne und alles, was wir brauchen. Und Ruhe! Wenn wir den Blues haben, gehen wir in die Palmenhaine oder in die Wüste. Dahin, wo die Luft rein ist und wo es keine Verschmutzung gibt. Wir essen bio! In Dublin war ich in einem Health Shop, da wurden Bioprodukte, die wir hier kiloweise kaufen, sehr teuer löffelweise verkauft! Auch unser Fleisch ist köstlich. Wir haben die besten Hammel der Welt!"

    Die Einwohner der Oase werden Mozabiten genannt, sie haben die ganz besonderen Traditionen einer egalitären Gesellschaft, in der ein jeder zum Gemeinwohl beitragen muss: So gibt es hier weder Diebe noch Bettler!

    Auf dem Marktplatz von Beni Isguen finden Versteigerungen statt. An diesem Tag im Angebot: eine Leiter, Fensterrahmen, eine Nähmaschine, Türen, ein nagelneues Fahrrad, ein Schrank, eine Waschmaschine und ein Schwarz-Weiß-Fernseher. Auf den Treppenstufen um den Platz sitzen Männer in weißen Tuniken mit einer weißen Kopfbedeckung auf dem Kopf, unter ihnen Omar.

    Der Eigentümer gibt einen Preis vor. Der Händler geht herum und wenn er den gewünschten Preis erzielt, verkauft er. Wenn nicht, fragt er den Besitzer, ob er zum gebotenen Preis verkaufen will. Der darf dreimal Nein sagen, danach muss er entweder den Preis akzeptieren oder sein Objekt zurücknehmen und eine Kommission zahlen.

    Der Händler Rum Baba Ali erklärt, dass die Versteigerungen der Allgemeinheit dienlich sind:

    " Die meisten Frauen bei uns weben, schneidern oder sticken, und sie bringen uns ihre Waren. Wir helfen also der Hausfrau. Und wenn jemand gestorben ist, bringen die Nachkommen die Sachen, um Probleme unter den Erben zu vermeiden. Das ist sozial, und das macht den Charme des Marktes aus."

    Die Männer tragen Sarouel-Hosen mit Falten und tiefem Schritt. Unverheiratete Frauen gehen unverschleiert durch die Gassen, manche westliche gekleidet. Die verheirateten Frauen tragen einen großen weißen Schleier, der nur ein Dreieck für ein einziges Auge freilässt. Auf Schildern steht: Es ist verboten, die Menschen zu fotografieren.

    Dennoch seien die Mozabiten gastfreundlich, behauptet Reiseführer Ahmed Labchek.

    "Wenn ein Tourist mit dem Auto kommt und in der Straße jemand nach einer Werkstatt fragt, dann wird ein junger Algerier zu ihm ins Auto steigen und den Weg zeigen. An der Werkstatt geht er dann einfach weiter. Er will nichts dafür, er weigert sich sogar, ein Trinkgeld zu nehmen! Der Europäer sagt, er hat mir geholfen, ich gebe ihm etwas dafür. Nein, das will er nicht! Er machte es nicht fürs Geld!"

    In einer Ecke des Marktes von Ghardaia herrscht besonders reges Gedränge: Hier werden die neuesten Handymodelle und Smartphones angeboten (Atmo hochziehen). Moderne Technik, Internet und Facebook sind für die Algerier das Fenster zur Welt. Die Jugendlichen Salah und Hassan hoffen:

    "Früher gab es viele Touristen, heute fehlen sie uns. In Zukunft wird sich das hoffentlich ändern. Denn Algerien ist ein touristisches Land, und Ghardaia eine touristische Stadt, die einen Besuch lohnt! "