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Isa Genzken im MMK Frankfurt
Manipulierte Puppen

Sie heißen lapidar "New Works", die umgearbeiteten Schaufensterpuppen von Isa Genzken. Das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main zeigt nun die jüngsten Arbeiten der Bildhauerin: Puppen, verkleidet, verfremdet, übermalt und in Beziehung zueinander gestellt.

Von Christian Gampert | 13.03.2015
    Wer zwei Jahre nach einer großen Retrospektive im MoMA schon wieder mit neuen Werken herauskommt, der hat offenbar etwas zu sagen. Etwas Dringliches. Isa Genzken hat sich nie auf einen bestimmten Stil, eine künstlerische Corporate Identity festlegen lassen, sondern einfach probiert. Fotografisch, filmisch, skulptural. Ihr Ausgangspunkt war der Minimalismus, aber das ist kaum noch zu sehen. Die neuen Figurengruppen, die jetzt im Frankfurter Museum für Moderne Kunst wie in einem postmodernen Bühnenbild weiträumig inszeniert sind, spielen ziemlich radikal mit der Zerrissenheit menschlicher Identität im 21. Jahrhundert, mit Multipersonalität und Intersexualität.
    Es sind geschlechtslose Schaufensterpuppen, die von der Künstlerin scheinbar beliebig ausstaffiert werden – zum Teil mit Kleidungsstücken, die sie selbst getragen hat, zum Teil mit Ramsch, Boutiquenglitzerkram, erotischen Accessoires, Sportklamotten. Die Künstlerin zeigt also etwas von sich selbst und verhüllt es gleich wieder: alles Deko.
    Fremdbestimmter Touch
    Aber das ganze hat – trotz aller Buntheit - auch einen tragischen, fremdbestimmten Touch: Die Figuren sind besprüht und mit Klebeband geknebelt, die Geschlechtszonen zum Teil in blutiges Rot getaucht, die Gesichter verhüllt oder durch Helme oder Lampen ersetzt. Verdrehte Gliedmaßen, Standbein – Spielbein wie in der antiken Skulptur, Kinder stecken in viel zu großen Schuhen, Erwachsene suchen Schutz unter riesigen Football-Schulterpolstern und sehen dabei natürlich ganz kriegerisch aus. Pop-Kultur, Punk-Zitate, Klub- und Szene-Andeutungen.
    Kuratorin Susanne Gaensheimer hat Isa Genzken in ihrem Berliner Atelier besucht. Und die Figuren standen dort schon in ähnlichen, theatralischen, entfremdeten Konstellationen wie jetzt in der Ausstellung.
    "Sie denkt szenisch. Und das ist genau das Wesentliche dieser neuen Werkgruppe, dass sie zwei formale Aspekte zusammenbringt, die bei ihr schon immer zentral waren: Das eine ist die Skulptur, das andere ist der Film.
    Ein früher Genzken-Film von 1974 ist in der Ausstellung zu sehen: Dort zieht sie sich, gemeinsam mit einer Kommilitonin der Kunstakademie, gänzlich unerotisch nackt aus und wieder an. Immer neue Kleidungsstücke, das ist das Leitmotiv, das nun in diesen neuen Figurengruppen wieder aufgenommen wird. Sich verkleiden, das Zusammengesetzte auch der sexuellen Identität immer neu untersuchen. Es gibt keine eindeutigen Geschlechterzuordnungen – aber es bleibt unklar, ob das nun Befreiung ist oder nicht doch ein Problem.
    "Sie manipuliert die Puppen ja so, dass eine männliche Figur ein weibliches Bein hat oder eine weibliche Figur die Hände von einem Kind. Da werden auch zwischen den Erwachsenen und den Kindern die Grenzen aufgelöst."
    In der wichtigsten Szene der Ausstellung sieht man eine mit Schutzkleidung versehene Kinderfigur, Helm und Lifejacket, die das wüste Treiben der Erwachsenen betrachtet. Ist das der Kinderblick der Künstlerin? Drohend steht eine schwarze Figur mit Peitsche am Rand. In anderen Arrangements wird die Kleidung der Schwulen- und Lesbenszene inszeniert, Konsumkultur, Techno, Disco, alles irgendwo zwischen Ready-Made und Skulptur.

    Oft Betonung des Grausamen
    Dazwischen liegen, ähnlich wie die Bodenplatten des Carl Andre, Ensembles von Fotos auf dem Fußboden, mit Glasscheiben geschützt: Tiepolo in Würzburg, Michael Jackson und Diana Ross, Doku-Fotos aus dem "Spiegel". Wildes Durcheinander, oft mit einer Betonung des Grausamen.
    Der beste Raum ist eine Inszenierung von sieben Nofretete-Repliken aus Gips, die Genzken mit Sonnenbrillen versehen hat – die erhabenen Büsten auf hohen Sockeln wirken mit dem modernen Accessoire sakral und heutig zugleich, wie Urlauberinnen.
    Man mag das alles als eklektizistisch bezeichnen, und von der Methode her ist es das auch. Aber vor allem die mit Second-Hand-Klamotten behängten Figuren spiegeln eine große gesellschaftliche Verwirrtheit und sexuelle Heimatlosigkeit. Sie treffen einen Nerv.