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Isolation Berlin legen ihr Debüt vor
Die Rettung des Deutschpop?

So mitreißend genau wie die ungekämmten Jungs von Isolation Berlin auf ihrer Single "Annabelle" traf lange niemand mehr ins spätpubertäre Gefühlschaos. In der Hauptstadt sprach sich ihr Händchen für musikalisches Lebensgefühl so schnell herum, dass ihre Konzerte fast von Anfang an voll waren. Jetzt kommt das Debütalbum.

Von Florian Fricke | 13.02.2016
    Gitarrist Max Bauer (l-r), Bassist David Specht, Sänger Tobias Bamborschke und der Schlagzeuger Simeon Cöster der Band Isolation Berlin.
    Die Band Isolation Berlin. (picture alliance / ZB / Britta Pedersen)
    Schwer lastet der Druck auf dem Debütalbum von Isolation Berlin, denn Feuilleton und Musikpresse sind sich weitgehend einig: Hier reife Großes heran, laut und poetisch zugleich sei die Band und Sänger und Texter Tobias Bamborschke so nah am Leben wie sonst nur wenige seiner Kollegen. Und in der Tat: Für ein Debüt klingen die Mittzwanziger schon tief in sich ruhend. Hier wissen welche genau, was sie wollen, und so haben die beiden Freunde Bamborschke und Gitarrist Max Bauer auch ihre Mitstreiter gefunden.
    "Uns war halt wichtig, dass wir niemanden rein nehmen, der irgendwie eine Lieblingsband hat, und möchte, dass alles so klingt. Sondern dass immer der Song im Vordergrund steht und jeder Song einzeln betrachtet wird – okay wir haben dieses Thema, wir haben dieses Gefühl, gucken wir mal, was dazu passt, und nichts anderes. Und so was zu finden ist halt sehr schwierig, weil jeder Zweite hält sich für den zweiten Carl Barat oder Pete Doherty und will dann da rumröhren und über was weiß ich singen."
    Die Presse hat Frontmann Tobias Bamborschke oft mit Rio Reiser verglichen
    "Es beginnt meist mit einem Gefühl, was so aufsteigt. Und dann suche ich oder warte ich auf die Worte. Dann fallen mir plötzlich zwei Worte ein oder ein Satz. Okay, der passt da rein. Und dann warte ich, bis es voll ist, das Gefühl gefüllt mit den Worten. Und dann meistens in dem Prozess der Wortfindung zeichnet sich schon eine Stimmung ab, eine musikalische Stimmung. Deshalb ist es auch so unterschiedlich. Ich probiere nicht irgendwas zu schreiben oder irgendwas zu wiederholen oder einem gewissen Thema treu zu bleiben, sondern ich warte einfach was kommt, und wenn ein Satz da ist und ich finde keinen zweiten Satz, dann lass ich ihn auch mal zwei Jahre liegen."
    Die Presse hat Frontmann Tobias Bamborschke oft mit Rio Reiser verglichen, aber er erinnert viel mehr an einen anderen großen deutschen Sänger und Texter: Sven Regener von Element of Crime. Das mag auch daran liegen, dass das Album "Und aus den Wolken tropft die Zeit" über weite Strecken schon fast chansonlastig wirkt und nicht so krachig und ganz so düster wie die davor erschienene EP "Protopop". Sogar ein Walzer ist vertreten, und Walzer spielen Element of Crime auch gerne. Die Nähe zu Sven Regener kommt übrigens nicht von ungefähr.
    "Es fing bei mir an mit Punk Rock, aber parallel dazu entstand meine Liebe zu Gedichten. Und das konnte ich überhaupt nicht vereinen, und darunter habe ich auch sehr gelitten. Und tatsächlich war Element of Crime so ein Schlüsselmoment für mich, weil ich meine, okay, es ist ja kein Punkrock – aber trotzdem haben sich zwei Welten dann verbunden dann bei mir: Okay, es geht auch so."
    Die Jungs brennen darauf sich ins Musikerleben zu stürzen
    Neben Regener nennt Tobias Bamborschke noch die beiden Grandes Dames des deutschen Chanson als Vorbilder, nämlich Marlene Dietrich und Hildegard Knef. "Und aus den Wolken tropft die Zeit" ist für deutschsprachige Verhältnisse ein bemerkenswertes Album geworden. Hohe und sehr ehrliche Dichtkunst ohne Zuckerguss trifft auf einen bodenständigen Klangkörper, der sich der Situation anpasst und auch mal funkig oder noisig reagiert. Musikalisch verzichten Isolation Berlin auf jegliches zeitgeistiges Ornament, da gibt es weder afrikanische Rhythmen noch irgendeinen programmierten Beat. Der Text steht im Vordergrund und manchmal so direkt, dass es wehtut.
    "Das ist echt ein Problem von vielen anscheinend. Also ich, ich wichse nicht, ich hab das auch ein bisschen benutzt als Symbol für das, was man tut, wenn man deprimiert ist. Man probiert irgendwie, sich Freude zu bescheren. Man isst, probiert irgendwas zu essen, was man gut findet, es schmeckt aber nicht, weil: Man ist deprimiert. Alles ist scheiße. Man muss ja nicht mal aufstehen, um zu wichsen. Und gleichzeitig war mir wichtig, wenn man so deprimiert ist, schämt man sich auch. Man hat eine unglaubliche Scham, dass es einem so schlecht geht. Das ist schon alles recht symbolisch. Ich bin emotional sehr ehrlich, aber nicht unbedingt sachlich. Das ist schon wichtig, dass man da als Künstler eine gewisse Distanz auch bewahrt."
    Der Hype um Isolation Berlin, er ist fürs Erste gerechtfertigt. Die vier Jungs brennen darauf sich mit Haut und Haar ins Musikerleben zu stürzen, eine gewaltige Tournee inklusive, die sie am Ende März quer durchs Land führen wird. Man darf gespannt sein.