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Italien
Erdbebensichere Bauweise hätte Schäden verhindern können

Auf einer Konferenz in Davos haben Katastrophenforscher die Auswirkungen des Erdbebens in Italien analysiert. Viele Ortschaften in der Nähe des Epizentrums haben es demnach versäumt, ihre Häuser erdbebensicher zu machen. Die Technologie dafür sei weder neu noch innovativ, jedoch sehr wirksam.

Von Volker Mrasek | 01.09.2016
    Von einem Haus in Amatrice ist nur noch eine Mauer mit einem Fenster geblieben; das Fenster ist nur noch links und unten von Mauerwerk umgeben.
    Die Katastrophenforscher hoffen, dass Italien mit einem Präventionsprogramm Häuser in gefährdeten Regionen endlich erdbebensicher macht. (picture alliance / dpa / Massimo Percossi)
    Es könnte im Moment kaum einen begehrteren Redner auf einer Konferenz über Katastrophengefahren geben als Gian Paolo Cimellaro. Der Italiener lehrt erdbebensicheres Bauen an der Technischen Universität Turin. Und war gerade erst dort, wo sich die jüngste größere Naturkatastrophe abspielte: nordöstlich von Rom, in den Apenninen.
    Bei einem Erdbeben der Stärke 6 starben dort in der vergangenen Woche fast 300 Menschen. Schon am Tag danach war Cimellaro im Katastrophengebiet, in dem bei Touristen beliebten Ort Amatrice:
    "Gegen zwei Uhr mittags gab es ein starkes Nachbeben. Dabei stürzten Mauern ein, an denen ich kurz vorher noch entlang gelaufen war. Etwas früher, und sie hätten mich womöglich unter sich begraben. Es war schon riskant!"
    Aus Schaden klug werden
    Wie der Bauingenieur in Davos schilderte, war neben Amatrice auch Pescara del Trento besonders stark von dem Erdbeben betroffen. Geringere Häuserschäden habe es in Colle d'Arquata gegeben und so gut wie gar keine in Norcia. Alle diese Ortschaften liegen nur wenige Kilometer vom Epizentrum des Bebens entfernt:
    "Der ganze Gebirgszug der Apenninen ist eine Erdbeben-Zone. Nach den historischen Aufzeichnungen gab es im Gebiet um Amatrice schon mindestens elf Beben, die genauso stark oder sogar noch stärker waren als das jetzige."
    Es war nicht einmal ein besonders dramatisches Erdbeben. In Japan verließen die Leute in solchen Fällen nicht einmal ihre Häuser, sagt Gian Paolo Cimellaro. Nach dem Beben in Italien dagegen sei kein Krankenhaus und keine Polizeistation in der Region mehr funktionsfähig gewesen. Aus Schaden klug war man offenbar nur in Norcia geworden, wo niemand ums Leben kam:
    "Vor 19 Jahren war Norcia schon einmal von einem Erdbeben betroffen. Vielleicht erinnern Sie sich? Damals stürzte auch die berühmte Basilika des heiligen Franziskus in Assisi ein. Norcia beschloss damals, alle Gebäude erdbebensicher zu machen."
    Neben der Bauweise könnte auch der Untergrund eine Rolle spielen
    Das geschah auch, mit der Unterstützung von Experten wie Cimellaro. Dabei verbindet man üblicherweise alle Hauswände noch einmal extra miteinander. Das kann durch Metallverstrebungen geschehen oder durch einen großen Ring aus armiertem Stahlbeton, der auf die Wände aufgesetzt wird. Am besten mache man beides, so der Turiner Bauingenieur:
    "Keine Wand bewegt sich dann mehr unabhängig von den anderen, sondern nur noch das komplette Gebäude. So kommt es zu einer Dissipation der seismischen Energie eines Erdbebens, das heißt die Energie wird auf das ganze Haus verteilt. Es kann dann zwar noch Risse geben. Aber es stürzt keine ganze Mauer mehr ein. Diese Technologie ist nicht etwa neu oder besonders innovativ, sondern schon seit Jahrzehnten geläufig. Norcia zeigt uns: Wenn man sie einsetzt, dann funktioniert das auch!"
    In den anderen Ortschaften in der Nähe des aktuellen Epizentrums hatte man es versäumt, Häuser entsprechend nachzurüsten. Womöglich war aber nicht allein die Bauweise der Gebäude entscheidend, sondern auch der Boden, auf dem sie standen oder heute noch stehen:
    "Direkt benachbarte Ortschaften hat es ganz unterschiedlich getroffen. Pescara del Tronto wurde stark beschädigt, Colle d'Arquata und Spelonca aber nur wenig. Geologen weisen jetzt darauf hin, dass der eine Ort auf Kalkstein steht und die anderen beiden auf wechselnden Schichten von Ton und Sandstein. Ein solcher Untergrund ist elastischer und könnte die seismischen Wellen abgefedert haben, sodass die Schäden dort geringer ausfielen. Aber diese Hypothese muss noch genauer überprüft werden."
    Nicht das Erdbeben tötet die Menschen, sondern ihre Häuser
    Cimellaro hofft, dass Italien nun aufwacht und ein großes Präventionsprogramm startet, um Häuser in gefährdeten Regionen endlich erdbebensicher zu machen. Denn das nächste Beben kommt bestimmt:
    "It's not the earthquake that makes people die. It's the vulnerability of the building."
    Es ist nicht das Erdbeben, das die Leute umbringt, sondern die Verwundbarkeit ihrer Häuser.