Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Italienischer Fußball
Zweifelhafte Mittelsmänner

Juventus Turins Präsident Andrea Agnelli wurde vom Sportgericht des italienischen Fußballverbandes für ein Jahr gesperrt. Grund ist die Verbindung einiger Fans mit der organisierten Kriminalität unter Duldung des Vereins. Dieses Problem hat allerdings in Italien nicht nur der italienische Serienmeister.

01.10.2017
    Andrea Agnelli, Präsident von Juventus Turin
    Andrea Agnelli, Präsident von Juventus Turin (imago sportfotodienst)
    Andrea Agnelli ist nicht mehr Herr im eigenen Haus. Ein Jahr lang darf der Fiat-Erbe seinen FC Juventus nicht öffentlich vertreten und an Spieltagen nicht einmal in die Umkleidekabine seiner Spieler gehen. Auslöser der Sperre ist die Organisation der Ticketvergabe durch den Klub. Juve stellt bestimmten Fangruppen Kartenkontingente zur Verfügung – offiziell zum normalen Preis. Auf diese Kontingente hat nach Einschätzung des Gerichtes jedoch auch die in Fankreisen verankerte Mafia-Organisation "Ndrangheta" Zugriff – und verkauft Tickets zu überteuerten Preisen weiter. Die Mafia-Clans erzielten so nach Aussage eines Aussteigers pro Juve-Spiel regelmäßig 15.000 Euro Gewinn aus dem Weiterverkauf der Tickets. Agnelli selbst empörte sich über den gesamten Prozess vor dem Sportgericht.
    "Die Disziplinarkommission des Verbands führt ein Verfahren durch, in dem mein Name und der Name unserer Angestellten in einer Rolle als Kollaborateure der organisierten Kriminalität genannt werden. Das alles ist inakzeptabel und Resultat einer fehlerhaften und vorurteilsbehafteten Lesart gegenüber der Juventus. Es entspricht nicht den Logiken der Justiz."
    Immerhin konnte sich der Juventus-Chef mit seinen drei mitangeklagten Angestellten freuen, dass die Strafe vor dem italienischen Sportgericht nicht noch höher ausfiel. Die Anklage hatte statt dem einen Jahr zweieinhalb Jahre Sperre für Agnelli und zwei Spiele ohne Zuschauer für Juventus gefordert. Die Richter ließen aber den Anklagepunkt der direkten Zusammenarbeit mit der "Ndrangheta" fallen. Sie sahen es als nicht zweifelsfrei erwiesen an, dass die Juventus-Manager vom Mafia-Hintergrund eines der Fananführer wussten.
    Ultras haben perfektes Druckmittel
    Es geht um Rocco Dominiello. Er wurde in einem parallel stattfindenden Strafprozess aktuell zu einer fast achtjährigen Haftstrafe wegen Mordversuchs und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verurteilt. Im Dunstkreis von Juve war Dominiello zwischen 2009 und 2010 aufgetaucht – und übernahm eine für den Verein hilfreiche Rolle. Er vermittelte in einem gewalttätigen Machtkampf zwischen zwei verfeindeten, einflussreichen und teils kriminellen Fan-Gruppierungen. Mitglieder der einen Gruppe nutzten beispielsweise Auswärtsfahrten für Banküberfälle. Dominiello also vermittelte, durfte seinen eigenen Juventus-Fanklub gründen – und traf mehrfach auf Klub-Boss Agnelli und auch auf einige Spieler des Vereins. Solche Kontakte zwischen Fan-Anführern und Vereins-Oberen sind im italienischen Fußball nichts Ungewöhnliches. Auch Geschäfte mit Eintrittskarten und Merchandising-Artikeln werden bei den meisten italienischen Klubs toleriert, erzählt etwa Giancarlo Capelli, seit Jahrzehnten Sprecher der Ultras des AC Mailand.
    "Jede Fangruppe verkauft ihre Trikots, ihre Schals vor dem Stadion. Wozu dient das Geld? Um auf Auswärtsfahrten zu gehen. Wenn du guckst, im ganzen Jahr fährst du nach Rom, nach Neapel, im Bus, mit dem Auto, das kostet alles Geld."
    Wenn Vereine dagegen durchgreifen wollen, weniger Tickets zur Verfügung stellen oder selbst stärker von den Merchandising-Einnahmen profitieren wollen, haben die Ultras ein perfektes Druckmittel: Randale und rassistische Beleidigungen. Die Strafen, die dann drohen, lassen die Klubs einknicken. Solche inoffziellen Vereinbarungen beobachtet Mauro Valeri, Soziologe und Initiator einer Beobachtungsstelle für Rassismus im Fußball, regelmäßig:
    Duldung bis hin zu Drogenhandel und Prostitution
    "Es gibt eine Abmachung, dass die Kurve still hält. Dahinter stecken kostenlose Eintrittskarten, Geld für den Parkplatz, die Erlaubnis, die Fanschals zu verkaufen bis hin zur Duldung von Prostitution und Drogenhandel."
    Dieses kriminelle Drohpotential handeln sich die Klubs durch Demokratiedefizite ein. Anders als in Deutschland sind die Fußballklubs eben nicht als Vereine konstituiert, was den Fans zumindest über die Mitgliederversammlungen etwas Einfluss verschafft. Es gibt so gut wie keine Fanbeauftragten, die im deutschen Profifußball Pflicht sind. Wer sich in Italien bei seinem Lieblingsverein Gehör verschaffen will, dem bleibt oft nichts anderes übrig als organisierte Randale. Den sogenannten "sozialen Frieden" erkaufen sich die Klubs dann durch Zugeständnisse, und nicht selten auch durch die Mitwirkung von Personen, deren kriminelles "Standing" für Ruhe sorgt.
    Juventus ist kein Einzelfall in der Serie A. Lediglich die Bestrafung ist einzigartig. Im italienischen Verband wird Agnelli nun durch einen anderen Juve-Manager vertreten. In den Gremien des europäischen Fußballverbandes UEFA, in denen Agnelli als Vertreter der Klubvereinigung ECA sogar stimmberechtigt ist, will der Juventus-Präsident weiter selbst auftreten. Seine Sperre hat nur nationale Gültigkeit. Dennoch könnte Agnelli eigentlich ein Fall sein für eine Kommission in der UEFA, die sich mit ethischen Fragen beschäftigt. Von der hörte man in diesem Falle aber noch nichts.