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"Je suis Fassbinder" in Strassburg
Abenteuerliche Szenen-Collage über Gewalt

Zuletzt hat Theaterautor Falk Richter mit einem Stück "Fear" über die AfD für Furore gesorgt. Nun setzt er sich in Kooperation mit Stanislas Nordey am Nationaltheater Straßburg mit dem Regisseur Rainer Werner Fassbinder auseinander.

Von Eberhard Spreng |
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    Der Regisseur Falk Richter ist erschüttert vom gegenwärtigen Rechtsruck in den europäische Gesellschaften. (picture-alliance/ Tip Verlag / Schnitger Harry)
    Breitbeinig, machohaft und in schwarzer Lederjacke sitzt Stanislas Nordey an einem Tisch und diskutiert mit seinem Mitspieler Laurent Sauvage. Es geht um die Frage, wie man mit den Syrien-Flüchtlingen umgehen sollte. Ein Streitgespräch naturgemäß. Immer wieder spricht Laurent Sauvage seinen Gesprächspartner spontan mit Stan an, wie sich Nordey in Theaterkreisen nennen lässt. Immer wieder korrigiert dieser: "Nein, nicht Stan, Rainer!"
    Es fällt auch den anderen Mitspielern offensichtlich schwer, in dem Theaterkollegen den Star des neuen deutschen Films zu sehen. Niemand kann ihn wirklich verkörpern. Leitmotivisch zieht sich der Bruch zwischen Figur und Schauspieler durch einen Abend, der sich zwar, ziemlich anmaßend "Ich bin Fassbinder" nennt, eigentlich aber nur eine Annäherung sein soll an eine Haltung, die Aufgabe des Künstlers in unruhigen Zeiten.
    "Je suis Fassbinder et maintenant je fais un remake de l’Allemagne en Automne 2016. Terrorisme et état d’urgence en France, en Allemagne les petits enfants des nazis poussent pour revenir au pouvoir…"
    Falk Richter knüpft an Fassbinders Beitrag zum Kollektivfilm "Deutschland im Herbst" von 1977 an. Fassbinder war erschüttert vom Deutschland der RAF-Zeit, Falk Richter ist erschüttert vom gegenwärtigen Rechtsruck in den europäische Gesellschaften in Zeiten der Flüchtlingskrise. Mit "Fear" hatte er dies vor wenigen Monaten an der Schaubühne bis zu einem wütenden Polit-Spektakel im Agit-Prop-Stil getrieben, der ihm und der Schaubühne ein medienwirksames Klageverfahren eingebracht hatte.
    Nun, in Straßburg, erscheint diese Angst-Wut abgemildert, potenziell Justitiables wurde vermieden. Natürlich werden die neue rechte und katholische Bewegung gegen die Homo-Ehe, die "Manif pour Tous" und vor allem auch Marine Le Pen als Beispiele des europäischen Rechtsrucks ins Spiel gebracht, aber in keiner Szene wird etwa die Führerin des Front National zu einer Figur dieses Polit-Theaters.
    Was man sieht, sind drei Videoleinwände, die teilweise auch das vergangene Probengeschehen dieser auf Improvisationen basierenden Inszenierung dokumentieren, dann wieder auch Ausschnitte aus einigen Fassbinderfilmen zeigen: Szenen der Gewalt von Männern gegen Frauen. Davor einige mit Flokati-Teppichen bedeckte Podeste, ein leicht abstrakter Innenraum, Aufmarschplatz für die fünf Akteure, die in wechselnden Kostümen auch Fassbinders Neigung zum Kabarett illustrieren, die im bunten Licht schillernde Sehnsucht nach etwas Liebe und Wärme.
    Falk Richters und Stanislas Nordeys ziemlich abenteuerliche Szenen-Collage erzählt von privater Gewalt damals und rechter Gewaltbereitschaft in der Öffentlichkeit heute, ohne wirklich zu erklären, wie die private Gewalt auf die Straße kommt und umgekehrt.
    Wie auch in seinen deutschen Arbeiten ist in "Je suis Fassbinder" vieles solistisch, verkörpern die fünf Akteurinnen und Akteure keine Figuren, sondern Geisteshaltungen, Vorurteile, rhetorische Experimente.
    "J’organise la liberté, je suis le Vatican, je suis le camp de concentration, je suis la révolution, je suis la tragédie, je suis la Grèce qui s’effondre."
    Das globalisierte Ich
    Da ist - in dieser aus "Fear" übernommenen Passage - ein "Ich" die Freiheit, das Konzentrationslager, die Revolution und der Untergang Griechenlands. Das bei Falk Richter globalisierte Ich kann alles sein: Die Verbrechen des Abendlandes früher, die Opfer des IS heute. Es kann, wie viele solidarisch verkündeten, "Charlie" sein, es kann mit den Opfern der Pariser Anschläge auf den Terrassen der Cafés sitzen und in den Körpern der Frauen in der Silvesternacht über die Kölner Domplatte laufen.
    Und wie es scheint, ist diese potenzielle Entgrenzung des Ichs, die Tatsache, dass es alles bedeuten kann und damit eben auch nichts, die Ursache einer namenlosen Angst. Aber natürlich ist dieses "Ich" auch der Autor selbst, der sich die Bewältigung seiner Angst und die Identifizierung mit dem cineastischen Vorbild mit seinem Hauptdarsteller und Co-Regisseur Stanislas Nordey teilt. Nordey, der das Straßburger Nationaltheater seit Kurzem leitet und es insbesondere für zeitgenössische Dramatik öffnen will, für Stücke, die auf Aktualitäten reagieren und nicht unbedingt Ewigkeitswert besitzen.
    "Je suis Fassbinder" springt zwar wild und mitunter kurzschlüssig zwischen den Epochen hin und her, lässt in seinen wilden Assoziationen und Spekulationen wichtige Details und Länderunterschiede außer Acht, aber es ist dennoch eine gelungene absolut aktuelle Absichtserklärung für das, was Nordey am ehrwürdigen Nationaltheater vorhat.