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Jemen
Al-Kaida und die makabre Terror-Konkurrenzen

Armut und menschliches Elend, politisches Chaos und Extremismus - und ein zerfallender Staat: Der Jemen ist wie eine Petrischale, in der die perfekten Bedingungen herrschen für die Produktion von immer mehr Gewalt und Terror - und damit perfekt für Al-Kaida.

Von Carsten Kühntopp | 17.01.2015
    Schiitische Rebellen sind bis in die jemenitische Hauptstadt Sanaa vorgedrungen.
    Im Jemen herrscht politisches Chaos, verschiedene Rebellen und Terroristen wollen Macht. (dpa / picture-alliance / Yahya Arhab)
    Als Huthi-Rebellen im September Rada'a überrannten, im Zentrum des Jemen, und Al-Kaida vertrieben, da stieß ihnen viel Wohlwollen entgegen, auch von diesem Bürger der Stadt.
    "Wir haben den blanken Horror erlebt. Morde, Anschläge, über Jahre. Gott sei Dank hat sich die Situation gebessert. Die Leute arbeiten wieder, das Leben normalisiert sich dank der Huthi-Einheiten."
    Die Führung und viele der Kämpfer der Huthi-Rebellen sind Schiiten, wie mindestens jeder Fünfte im Jemen; ihre Bewegung begann in den 90er-Jahren als Protest gegen Marginalisierung und Diskriminierung. Sechs Kriege führte die Regierung gegen sie, ohne Erfolg. Blitzschnell kamen die Huthis im September voran, selbst die Hauptstadt Sanaa ist seitdem in ihren Händen und einige Ministerien. Und den Präsidenten, Abed Rabbo Mansour Hadi, zwangen sie, die Macht mit ihnen offiziell zu teilen - eine gute Nachricht für viele, denn Hadi und seine Regierung hatten sich als völlig inkompetent erwiesen.
    Es regt sich Protest
    Weder hatten sie nach dem Sturz des Langzeit-Präsidenten Ali Abdullah Saleh im Zuge des Arabischen Frühlings für öffentliche Dienstleistungen gesorgt, noch für Investitionen - und erst recht nicht für Arbeitsplätze. Die Huthis schienen Stabilität zu verheißen - zumindest besserte sich bald vielerorts die Stromversorgung. Doch heute ist auch der Stern der Huthis bei vielen längst wieder gesunken. Am vergangenen Wochenende gingen einige tausend Menschen in Sanaa auf die Straße - gegen alle bewaffneten Gruppen und für einen funktionierenden Staat:
    "Wir sind gegen die Anwesenheit der Milizen, die für zahllose Terroranschläge und das Blutvergießen verantwortlich sind, weil der Staat fehlt."
    Ein wichtiger Grund für diesen Protest: Der Aufstieg der schiitischen Huthi-Rebellen hat sunnitische Extremisten auf den Plan gerufen wie die, die unter dem Etikett von Al-Kaida aktiv sind. Denn aus Sicht sunnitischer Fanatiker sind Schiiten Ketzer, Abtrünnige - und damit Freiwild. In den letzten Monaten erlebte der Jemen eine nicht enden wollende Kette von Anschlägen. Sehr geschickt schaffte es Al-Kaida, sunnitische Stämme zu mobilisieren - und beschrieb die Huthis dabei in einer beißenden, religiös verbrämten Rhetorik.
    Nicht zuletzt wegen dieser Gewaltwelle haben immer weniger Mensch im Jemen die Hoffnung, dass sich die Dinge bessern werden - egal, wer in Sanaa gerade obenauf ist. Ohnehin ist der Jemen das ärmste arabische Land: Jedes dritte Kind unter fünf Jahren droht zu verhungern.
    Die perfekte Basis für Al-Kaida
    Auch zu besseren Zeiten reichte die Macht der Regierung kaum über die Hauptstadt hinaus. Seit Jahren ist der Jemen die perfekte Basis für Al-Kaida, mit wohlgesonnenen Stammesangehörigen und einem unwegsamen Hinterland. Die US-Regierung hält Al-Kaida im Jemen schon längst für den gefährlichsten Ableger des Terrornetzwerks.
    Nasser al-Ansi aus der Führung von Al-Kaida im Jemen in einer Videoaufnahme. Für den Anschlag auf die Redaktion von "Charlie Hebdo" sei seine Organisation verantwortlich, er sei auf Anordnung von Ayman al-Zawahiri erfolgt, dem Nachfolger von Osama bin Laden an der Spitze der Al-Kaida-"Zentrale" in Pakistan. Ansis Stellungnahme wirft Fragen auf, die wichtigste: Wie groß und wie unmittelbar war die Rolle von Al-Kaida im Jemen beim Pariser Attentat wirklich? Sehr deutlich wird aber dies: Der Aufstieg der Organisation "Islamischer Staat", kurz: IS, unter Abu Bakr al-Baghdadi bedeutet nicht, dass Rivalen wie Al-Kaida ihren Schrecken bereits verloren hätten.
    Spätestens seit Baghdadi im vergangenen Jahr ein Kalifat ausrief, ist er der unangefochtene Star unter dschihadistischen Fanatikern weltweit. Wer von denen sich von welchem Terror-Führer inspirieren lässt, ist dabei weniger eine Frage der ideologischen Unterschiede; stattdessen ist es schlicht Baghdadis Erfolg, der derzeit so hell strahlt und deswegen immer mehr Gleichgesinnte in seinen Bann zieht. Ihre Feindschaft tragen Al-Kaida und IS auch mit Waffengewalt aus: Die Gefechte auf syrischem Boden kosteten bisher viele hundert Tote.
    Bin-Laden-Nachfolger Zawahiri macht seit Jahren kaum noch Schlagzeilen - und hat deswegen viele Anhänger verloren; Zawahiri stemmt sich gegen das Abrutschen in die Bedeutungslosigkeit. Ihm kommt jetzt die freundliche Geste des jemenitischen Ablegers, die Pariser Anschläge ihm zuzuschreiben, gerade recht.
    Der Jemen und der dort beheimatete Zweig von Al-Kaida sind in diesem Sinne Zawahiris größte Hoffnung. Armut und menschliches Elend, politisches Chaos und Extremismus - und ein zerfallender Staat: Der Jemen ist wie eine Petrischale, in der die perfekten Bedingungen herrschen für die Produktion von immer mehr Gewalt und Terror.