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Jenseits des Alltags

Pilgern hat eine lange Tradition und erlebt einen regelrechten Boom. Auch der Tourismus hat es inzwischen entdeckt. Gefördert mit EU-Mitteln, werden zwischen der Steiermark und Slowenien seit zwei Jahren jahrhundertealte Pilgerwege touristisch aufbereitet.

Von Julia Batist | 23.09.2012
    "Pilgern ist etwas, dass man ein Ziel hat. Da in Mariazell ist es die Mutter Gottes. Aber wenn ich jetzt den Jakobsweg oder so was geh, wäre das ein anderer Heiliger aber trotzdem ist es irgendwie so, dass ich sag ich bin – auch wenn ich alleine geh – nicht alleine. Der ist da für mich. Und das ist es, was ich sag, was für mich Pilgern ist."

    "Also ich mach's um die steirische Landschaft kennen zu lernen. Ich bin ne Wanderin, aber das zu sich Kommen ist das bei mir. Also das Wandern heißt auch zu sich kommen. Also ich könnt auch Yoga machen um mein Ziel zu erreichen. So könnte ich das auch in einer anderen Art machen. Also mein Blick ist da offener."

    Es geht gerade ruhig zu, auf dem Marienweg, aber übers Jahr verteilt sind hier viele unterwegs. Rund 3.500 Menschen pilgern jedes Jahr in den bekanntesten Marien-Wallfahrtsort Mitteleuropas - Mariazell. 855 Jahre alt ist das beschauliche Örtchen. Schon 1266 wurde es als Wallfahrtsort erwähnt. Die jahrhundertealten Pilgerwege dorthin sind heute Teil eines europäischen Netzwerkes. Es umfasst über 1000 Kilometer. Vom Slowenischen Maribor aus geht es durch die Hügellandschaft vorbei an Weinbergen und gastfreundlichen Dorfbewohnern. Pilger sind gerne gesehen. Oft werden sie unverhofft auf eine Jause und einen Wein eingeladen.

    Lidija Vindis ist ausgebildete Pilgerbegleiterin. Wer das werden will, muss Erste Hilfe leisten, das Wetter einschätzen können, kulturhistorische Kenntnisse mitbringen und - einer Kirche angehören. Lidija Vindis gibt manchmal Bibelzitate mit auf den Weg oder hält eine Andacht in der Natur. Und die 26-jährige Slowenin zeigt den Pilgern die Besonderheiten der Wegstrecke.

    "Vor allem sind das sakrale Denkmäler die wo dann eine Tafel dabei steht, ne kurze Beschreibung aber auch dieser Hügelgrab, ein keltischer Hügelgrab. Das ist ja auch für Pilger interessant."

    Der Weg führt über weite Wiesen und entlang vieler kleiner Obstgärten. Doch außer schönen Aussichten, Denkmälern und Pilgerkreuzen in allen Facetten wird dem modernen Pilger noch einiges mehr geboten. Die Pilgerbegleiterin setzt auf die Wallfahrt. Die neuen Entwicklungen findet sie überflüssig.

    "Man versucht irgendwie mehrere Inhalte reinzustopfen. Vor allem Tourismus muss das ja machen, indem man's verkaufen will. Kulinarisches Pilgern, Pilgern für Frauen, für Singles, für Trauernde. Immer irgendwie ein höheres Werk noch. Aber es ist einfach losgehen. - Natürlich. Dann am Weg ereignet sich viel."

    Entlang der Mur geht es zur Brücke von Mureck – der Staatsgrenze von Slowenien nach Österreich. Der braune Fluss rauscht, Nebel hängt über den urigen Waldwegen.

    Die steirischen Wege führen den Pilger auch auf befahrene Straßen. Unterhalb der Basilika Mariatrost in Graz brummt der Verkehr. 216 Stufen führen wie eine Himmelsleiter hoch zu der prächtigen weiß-gelben Barockkirche.

    Von Graz aus geht es auf den Schöckl, den Hausberg der Stadt. Und oben, in fast 1500 Meter Höhe, wird gerade Hochzeit gefeiert. Traditionell in zünftiger Tracht.

    "Das Brautpaar lebe hoch, hoch, hoch."

    Zur Hochzeit spielt die Fuchsbartl-Banda auf. Die drei jungen Musiker tragen stilechte grüne Trachtenjacken, Lederhosen und Filzhüte mit Federn. Ihre steirische Traditionsmusik bringt die Hochzeitsgesellschaft so richtig in Schwung.

    Ganz in der Nähe unter dem Gipfelkreuz laufen braun-weiße Kühe auf felsigem Boden und Gras zwischen Pilgern und Wanderern frei umher.

    Marta Rudolf ist heute hier hoch gewandert, ganz anders als auf ihrer Pilgerreise vor vielen Jahren nach Mariazell. Die rüstige 73-Jährige mit Wanderstöcken und Sonnenbrille erinnert sich noch gut:

    "Gemeinschaft haben wir sicher erlebt in der Hütte. Aber am ersten Tag war ich so fertig, dass ich nicht einmal mehr hab Suppe können essen. Beim Berg will man einfach den Gipfel erreichen, runter schauen können. Beim Pilgern will man eher zu sich selber kommen. Wenig reden. Und einfach nur gehen. Man lasst alles los, die ganzen Sorgen. Und plötzlich ist man nur im Gehen drin."

    Früher schliefen Pilger in spartanischen Unterkünften. Manche sogar unter freiem Himmel. Sie trugen Pilgerhüte, Holz-Stöcke und hatten gerade das Nötigste bei sich. Zur Orientierung diente ihnen die Sonne oder das Moos. Heute kann der moderne Pilger wählen: Fünf-Sterne Luxus am Wegesrand ist keine Seltenheit.

    Vielversprechende Angebote wie Wellness-, Kräuter- oder Genuss-Pilgern sollen Neulinge auf den Weg locken. Ganze touristische Pakete mit Wanderkarten und GPS-Routen sind buchbar.

    Aber es geht auch noch anders: Askese auf der Gipfelhütte ohne Strom und Wasser oder das traditionelle Matratzenlager sind geblieben.

    Beim Stroßeggwirt auf der Alm schläft man zu zehnt in einem Zimmer. Hier, an der Grenze von der Ost- zur Obersteiermark, kehren die Pilger seit den Sechziger Jahren ein. Manche kommen jedes Jahr. Stolz schreiben sie die Anzahl ihrer Wallfahrten oder Pilger-Sprüche in die Gästebücher. Der Wirt, Rudolf Pretterhofer, hebt jedes Buch auf. Seit Jahrzehnten:

    "Gute Musi, gutes Essen, auf dieser Hütten samma ganz versessen. (…)
    Viele sind ja schon gestorben. Da denkt man dann oft, wenn man nachgeschaut hat, den hat man doch gekannt, ne."


    Die Einträge verraten: es gibt viele Gründe zu Pilgern. Eine bestandene Prüfung, die sportliche Herausforderung oder familiäre Sorgen. Das Pilgern ist nicht nur im Glauben verankert, sondern gehört in der Steiermark auch zum Brauchtum. Im Gasthof wird gelacht, gegessen, getrunken und getanzt. Von Entbehrung keine Spur.

    Demütig wird mancher erst wieder bei Dauerregen oder heftigen Anstiegen. Obwohl der moderne Pilger mit Outdoor-Bekleidung und Navigation im Handy ziemlich luxuriös unterwegs ist.

    Am Ziel scharen sich die Reisebusse. Pilgergruppen kommen auf Motorrädern in Mariazell an. Der Weg in den kleinen Ort führt über Pässe und kurvenreiche Straßen. Es gibt sogar Pilgerreisen auf Inline-Skates. Hier in den obersteirischen Bergen steht die 850 Jahre alte Marienstatue aus Lindenholz, die so viele verehren. Sie treffen sich zum Gottesdienst in der Basilika.

    Draußen rollt der Rubel. Rund um die Kirche reihen sich Verkaufsstände aneinander. Hier werden Rosenkränze, Kreuze und Heiligenfiguren verhökert. Der touristische Pilgerrummel am Ende des Weges ist sicher gewöhnungsbedürftig. Doch nach den Erlebnissen in der Natur können viele darüber hinwegsehen.

    Ob es die Pilger nun zu Maria, zu Gott oder zum eigenen Ich zieht – am Ende macht der Weg den Reiz aus.

    " Ich denke, eigentlich ist es einfach nur was anderes. Man macht einfach nur ne Erfahrung ziemlich nah an der Natur."

    "Ich find's einfach persönlich schön, zum Beispiel unter freiem Himmel zu schlafen."

    "Ich denke auch (…) da spürt man dann mal wieder seinen eigenen Körper."

    "Ich konnte nicht zwölf Stunden gehen wie meine Kollegen. Weil's meine Knie nicht geschafft haben. Ich hab irgendwo übernachten müssen. Hab mir das selbst suchen müssen. Also du erlebst auch Situationen, die entstehen und auf die du reagieren musst. Im Leben hast Du alles organisiert."

    "Man hört jedes einzelne Tier. Man sieht Alpensalamander, die man sonst nicht sieht. Weil man einfach langsam geht. Zeit hat zum Schauen. Man sieht diese Kleinigkeiten am Wegesrand. Man geht mit offenen Augen, mit offenen Ohren, mit offenen Sinnen. Man hört und sieht alles. Und das ist das Schöne daran."