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Judenhass von der Bütt

Hetzpropaganda mit Humor getarnt: Der Karneval bot den Nationalsozialisten eine Möglichkeit, ihre Ideologie unters Volk zu bringen. Eine Ausstellung im Kölner NS-Dokumentationszentrum zeigt nun, wie die Nazis dabei zu Werke gingen.

Von Kersten Knipp | 19.11.2011
    Ideologien können vielerlei Formen annehmen – auch die des Humors, oder besser: dessen, was als Humor verkauft wird. Der Karnevalsredner Jean Müller versuchte sich an der Verbindung von hartem Antisemitismus und lokaler Tradition, indem er den Judenhass in die Bütt´, zum Rednerpult der Kölner Karnevalisten trug. Die Ausstellungsmacher haben die Rede nachsprechen lassen.

    "Es tät sich alles freue: / Mir sin jetzt bal so wick / me werde jetzt in Deutschland / die Jüdde endlich quitt / in jeder Stroß da hätt man / ne Jüddelade stonn / et jitt noch immer Dumme, die dabei kaufe jonn"

    Der Karneval bot den Nationalsozialisten eine Möglichkeit, ihre Ideologie unters Volk zu bringen. Dabei gingen sie subtil vor. So hüteten sie sich, die Dinge allzu offen anzusprechen. So direkt wie Jean Müller äußerten sie sich nur selten. Der Historiker Markus Leifeld, Kurator der Ausstellung:

    "Die harte Ideologie ist sehr verbrämt, "humoristisch", wenn man das so sagen darf, transportiert worden. Also ein Beispiel vielleicht: Die Entrechtung der Juden in den sogenannten Nürnberger "Rassegesetzen" ist kommentiert worden von den Karnevalisten in einem Motivwagen mit, auf Hochdeutsch "Dem haben sie auf den Schlips getreten", also bodenlose Verharmlosung der Entrechtung der Juden."
    Eben das war gewollt: Die Ideologie musste harmlos präsentiert werden. Auf diese Art, so das Kalkül der Nazis, würde sie von den Karnevalsfreunden am ehesten aufgegriffen. Markus Leifeld:

    "Das war eben in Köln deshalb auch so perfide, weil man den Humor genutzt hat, um Antisemitismus zu verbreiten."

    Und wie überall sonst, wurden die Juden auch im Karneval von der Bühne geschoben. Die Ausstellung dokumentiert das Schicksal des jüdischen Karnevalisten David Hans Tobar, seit 1919 eine feste Größe im Kölner Karneval. Nach 1933 ließen ihn die Kölner Karnevalsgesellschaften kaum mehr auftreten – und das, obwohl Tobar eine kulturkonservative Weltsicht vertrat, die zum Geist der Zeit passte. Etwa in seiner hier nachgesprochenen Auseinandersetzung mit der neuen Musik der Zeit, dem Jazz.

    "Die Menschen von heut´/ tanzen wie nicht gescheit / Wer dünn ist, muss tanzen, und es tanzt der, der fett / die Klugen und Doofen, nichts wollen sie wie schwoofen / Sie tanzen beim Wachen und sie tanzen im Bett / sie foxen und jazzen allein und in Massen / verlasst euch, der kann´s. ... Jazzband hör´s Kreischen zum Steinerweichen"

    Tobar konnte schließlich nur noch bei jüdischen Veranstaltungen auftreten. 1939 emigrierte er in die USA. Eintreten mochte kaum einer für ihn – wie der Widerstand der Karnevalisten ohnehin recht schwach war. Markus Leifeld:

    "Es gab viele, viele Mitläufer, die das passiv akzeptiert haben, dass der Karneval instrumentalisiert wurde. Es gab aber gerade in den höheren Rängen von den Entscheidungsträgern bereitwillige Mittäter, möchte ich sagen, die eben die Ideologie mitgetragen und mitverbreitet haben."

    Eine große Ausnahme aber gab es: Karl Küpper. In seinen Reden verulkte er das NS-Regime, so etwa in seiner für die Ausstellung nachgesprochenen Rede als "Berichterstatter aus Abessinien" Mitte der 30er-Jahre, in der er auf den Hitlergruß, die erhobene Hand, anspielte.

    "Arrivideci – Is et am räne? Hasta e vistal – habt ihr Butter? Ich han een Krakehlkopfentzündung."

    Karl Küpper hatte sich von den Nazis während ihrer gesmaten Regierungszeit nicht einschüchtern lassen. Ihn schütze auch seine große Popularität. So konnte er in seiner Rede "Der verdötschte Soldat" als einer der ersten auch das Ende des NS-Regimes feiern.

    "Volksjenosse, Volksjenossinen, / Tach zusamme / Et is nit mie am räne / mer hamjetzt e sue Wetter / mer han keine "Westdeutsche Beobachter" mie / mir werden nit mie beobachtet / mehr ham jetzt de "Kölsche Kurier" / mer sin jetzt endlich kuriert."

    Die Ausstellung setzt die Zeit anschaulich in Szene. Die Ausstellungsstücke – vor allem Fotos, Videofilme aus jenen Jahren, dazu Tondokumente und nachgesprochene Büttenreden – sind historisch gründlich aufbereitet und dokumentiert. Und der Ausstellungssaal selbst, einer der wuchtigen Räume des EL-De-Hauses, in dem die Nazis ihre Opfer gefangen hielten und folterten, gibt einen geradezu physischen Eindruck von der Beklemmung jener Zeit, wie sie zumindest jene spürten, die sich dem Regime nicht einmal als Narren ergeben wollten.