Ina Lewin ist das erste Mal in Bad Kissingen, dem mondänen Kurort zwischen Würzburg und Erfurt. Fast jeden Tag besucht sie die Konzerte des Kurorchesters – an kühleren Tagen in der Wandelhalle, bei schönem Wetter im Kurpark. Die 69-Jährige stammt aus Weißrussland, lebt aber schon seit Längerem in Berlin. Für zwei Wochen hat sie sich in Bad Kissingen im Hotel "Eden Park" eingemietet, einem Haus aus dem 19. Jahrhundert – schön gelegen am Hang in einer ruhigen Seitenstraße. Es wurde 1993 eröffnet und ist das einzige koschere Hotel in Deutschland. Die meisten Gäste sind jüdisch, aber das Haus steht für alle offen, betont Hotelchefin Erika Brätz.
"Es ist nicht nur für jüdische Gäste, wir hatten auch schon andere da. Sie sind uns genauso willkommen, aber das geht natürlich alles nach den jüdischen Regeln und Traditionen. Die werden auf jeden Fall gewahrt."
Gäste zumeist ältere Juden aus der ehemaligen Sowjetunion
Wer den Speisesaal betritt, sieht links vor dem Eingang ein spezielles Waschbecken. Die Gäste nutzen es, um sich vor dem Essen rituell die Hände zu waschen und einen Segensspruch zu sagen. Die Männer werden angehalten, im Restaurant eine Kopfbedeckung zu tragen. Ganz wichtig für ein koscheres Hotel ist natürlich, dass es zwei Küchen gibt: eine für milchige und eine für fleischige Speisen, denn die Tora verbietet den gleichzeitigen Verzehr von Fleisch und Milch. Im Keller des Hotels gibt es einen kleinen Betsaal, in dem am Freitagabend und am Schabbat Gottesdienste stattfinden.
Die meisten Gäste im Eden Park sind ältere Juden, die in den 90er-Jahren aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland kamen – Menschen wie Ina Lewin. Für sie hat der Betreiber des Hotels, die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, ein spezielles Erholungsprogramm ins Leben gerufen, das ihnen jüdische Traditionen vermitteln soll. Joel Berger, der frühere Landesrabbiner von Württemberg, ist von Anfang an mit dabei und kümmert sich in Bad Kissingen um die Zuwanderer.
"In der Sowjetunion sind ihnen aufgrund der stalinistischen Diktatur alle jüdischen Kenntnisse, jüdischen Bindungen oder das Judentum schlechthin abhanden gekommen, weil die Diktatur das den Menschen systematisch austreiben wollte. Unsere Aufgabe ist es, diesen Menschen das Judentum wieder näherzubringen. Das ist für mich eine Mission: All das, was der stalinistische Terror versucht hat, auszutreiben, habe ich jetzt die Möglichkeit, wieder in den Leuten zu erwecken."
"Der Geist des Ruhetages soll vorherrschend sein"
Von Vorteil dabei ist, dass Berger Russisch spricht. Er wuchs in Ungarn auf und musste, wie alle Bürger des Ostblocks, in der Schule Russisch lernen. Weil viele russischsprachige Zuwanderer in ihrer Jugend nichts oder nur ganz wenig über das Judentum gelernt haben, wird das jetzt nachgeholt. Einige können sich daran erinnern, dass sie als Kinder gesehen haben, wie ihre Großmutter manche jüdische Bräuche befolgte. Hier im Hotel "Eden Park" geht es unter anderem darum, den Zuwanderern die Idee des Schabbats näherzubringen, sagt Berger. Er gibt deshalb eine Einführung, später folgen Vorträge, sogenannte Schiurim.
"Freitagabend beginnt der Schabbat. Und dann soll im Hause auch Schabbat gehalten werden, also nicht rauchen, nicht Feuer anstecken und auch nicht laut Remmidemmi gemacht werden. Nun, der Geist des Ruhetages soll vorherrschend sein."
Mit dem Kerzenzünden der Frauen beginnt der Schabbat. Danach gehen die Gäste zum Gebet in die kleine Synagoge im Kellergeschoss. Nach dem Kiddusch, dem traditionellen Segensspruch über einen Becher Wein, geht es zurück nach oben, man wäscht sich rituell die Hände, nimmt im Speisesaal an der festlich gedeckten Tafel Platz, und es wird ein Fünf-Gänge-Menü serviert.
"Mitarbeiter sind nicht jüdisch um Gäste zu bewirten"
Das "Eden Park" ist das einzige Hotel in Deutschland, in dem regelmäßig Schabbat gefeiert wird. Manchmal melden sich jüdische Gäste aus dem Ausland an, die vorübergehend beruflich in Deutschland zu tun haben. Sie möchten gern, wie sie es von zu Hause gewohnt sind, den Schabbat richtig feiern. Am Freitag reisen sie an und bleiben bis Sonntag, erzählt Hotelchefin Erika Brätz. Als sie vor 19 Jahren im "Eden Park" anfing, war vieles neu für sie. Denn sie selbst ist nicht jüdisch – genauso wie ihre Kollegen.
"Alle Mitarbeiter unseres Hauses sind nicht jüdisch. Denn wir möchten ja gerne unsere Gäste bewirten, und das können wir nur, wenn wir nicht jüdisch sind. Sonst könnten wir am Schabbat oder an den jüdischen Feiertagen nicht arbeiten."
Der Maschgiach achtet darauf, dass alles koscher ist
Ein Mitarbeiter des Hotels allerdings ist jüdisch – ja er muss es sogar sein: der Maschgiach. Er achtet im Auftrag des Rabbiners darauf, dass nichts geschieht, was den jüdischen Speise- oder sonstigen Gesetzen widerspricht. Er sorgt dafür, dass alles koscher – also zum Verzehr geeignet – ist, was ins Haus, in die Küche und letztlich auf die Teller der Gäste kommt. Er gibt die Bestellungen auf, nimmt die Lieferungen entgegen, und hin und wieder schaut er dem Koch über die Schulter.
Erika Brätz erklärt: "Unser Maschgiach, der Herr Grünwald, ist jeden Tag da. Er hat seinen eigenen Aufgabenbereich, damit auch wirklich gewährleistet ist, dass alles koscher ist – das muss er ja entsprechend kontrollieren. Er ist in der Küche, er bereitet auch den Betsaal vor, das muss ja alles vorbereitet werden. Oder wenn Gäste Fragen haben, steht er auch zur Verfügung. Der gehört bei uns zum Hotel dazu."
Mancher Gast isst im "Eden Park" zum ersten Mal in seinem Leben ein koscheres Gericht. Nicht wenige sind überrascht, wie gut es hier schmeckt, denn gemeinhin gilt die koschere Küche nicht als Haute Cuisine. Wie viele jüdische Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion ist auch Ina Lewin erstaunt.
Bad Kissingen ursprünglich ein Ort des Abspeckens
Sie sagt: "Koscheres Essen macht man mit sehr wenig Fett. Man darf nicht Butter oder Sahne zusammen mit Fleisch verwenden. Und wir sind es gewohnt, Fleischprodukte mit Sahne zu verfeinern. Deswegen schmeckt das auch besser. Aber der Koch, der hier arbeitet, war zehn Jahre in Israel, und deswegen kocht er sehr, sehr gut."
Um gut zu speisen, kamen früher die wenigsten Gäste nach Bad Kissingen. Im Gegenteil: Viele wollten abspecken. So erzählt man sich, Deutschlands Reichskanzler Otto von Bismarck habe bei seinen Kuraufenthalten in Bad Kissingen innerhalb von drei Wochen 50 Pfund verloren.