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Jugendarbeitslosigkeit
"Da möchte man eigentlich nicht Jugendlicher sein"

Der Arbeitsmarktreformer Peter Hartz stellt gemeinsam mit weiteren Experten ein Maßnahmenpaket zur Jugendarbeitslosigkeit in der EU vor. Mit entwickelt hat es Christian Ege, ehemaliger Staatssekretär für Wirtschaft und Wissenschaft im Saarland. Im DLF-Interview schildert Ege die Kernidee und macht einen Vorschlag zur Finanzierung.

Christian Ege im Gespräch mit Manfred Götzke | 24.06.2014
    Zwei Auszubildende aus Spanien bei einer Firma in Karlsruhe
    Zwei Auszubildende aus Spanien bei einer Firma in Karlsruhe (picture-alliance / dpa / Uli Deck)
    Manfred Götzke: Wenn Jugendliche hartzen, dann meinen sie damit, dass sie gerade keinen Job haben oder keinen wollen – einfach mal ein paar Monate chillen mit Hartz IV. Kaum ein Name hat es schon zu so vielen Variationen gebracht wie der von Peter Hartz, dem Arbeitsmarktreformer und Namensgeber von Hartz IV. Jetzt ist Peter Hartz wieder da. Er will sich um die Millionen Jugendlichen kümmern, die zurzeit in Griechenland, Spanien oder Italien hartzen müssen, weil sie keinen Job finden. Auf einer Konferenz stellt er gemeinsam mit weiteren Experten ein Maßnahmenpaket zur Jugendarbeitslosigkeit in der EU vor. Mit entwickelt hat es Christian Ege, ehemaliger Staatssekretär für Wirtschaft und Wissenschaft im Saarland. Guten Tag, Herr Ege!
    Christian Ege: Ich grüße Sie, hallo, Herr Götzke!
    Götzke: Herr Ege, die EU, aber auch die Mitgliedsstaaten versuchen ja seit Jahren was zu tun für die verlorene Generation – in der Regel vergeblich. Was kann Ihr Konzept besser?
    Ege: Ich glaube, es kann schneller sein. Die Regierungen, das weiß ich aus der alten Verantwortung heraus, haben immer die Schwierigkeit, dass zwischen dem Zeitpunkt des Entschlusses denn auch Mittel freigegeben werden und den ersten Maßnahmen, die beginnen, gleich mal zwei Jahre vorbei gegangen sind. Und das sehen wir auch, das hat Kommissar Andor gestern auf dem Kongress hier in Saarbrücken deutlich gemacht, von den sechs Millionen europäischer Jugendgarantie sind gerade mal 600.000 Euro ausgezahlt. Was die Europatriots jetzt mit ihrem Konzept anbieten, sind konkrete Methoden, das sind IT-Tools, die verfügbar sind, die getestet sind, und es ist ein Austauschprogramm für Jugendliche ohne Arbeit. Weil der Grundgedanke ist, und das reduzieren wir, die Arbeitslosigkeit in den betroffenen Ländern und tauschen sie temporär, wohlgemerkt temporär, in Ausbildung und Beschäftigung in europäischen Gastländern, nämlich überall dort, wo die Wirtschaft derzeit einfach besser läuft.
    Götzke: Okay, die Idee ist also, spanische Jugendliche kommen für eine Ausbildung zum Beispiel nach Deutschland?
    Ege: Das wäre ein Beispiel, aber das geht genauso mit Italien, mit Österreich, mit den Niederlanden, mit Dänemark – überall dort, wo der Arbeitsmarkt ein bisschen besser läuft. Aber wir dürfen eines nicht vergessen: Hinter diesen Prozentzahlen verbergen sich Köpfe. Das sind Menschen, das sind junge Leute, die eigentlich eine Hoffnung wollen, die das, was sie können, zeigen wollen. Und denen muss geholfen werden. Und vergessen wir bitte nicht, dass in Deutschland das auch, obwohl es nur sieben Prozent sind, Jugendliche, das sind auch 240.000.
    Kernidee: Talentdiagnose
    Götzke: Eine Kernidee ist die Talentdiagnose, bei der herausgefunden werden soll, welche Talente die jungen Leute haben. Sie haben es ja gerade schon angedeutet, die haben Talente. Wissen junge Spanier nicht, was sie drauf haben, oder können die ihre Talente einfach nicht ausleben, weil es eben keine Jobs gibt in Spanien, Italien, Griechenland?
    Ege: Der absolute Engpass ist doch natürlich die Verfügbarkeit von Jobs. Wenn die Wirtschaft so in den Knien hängt, wie wir das auch mitbekommen hier in den deutschen Medien, wie das, was da in Spanien und Italien und in den betroffenen Ländern passiert, dann kann es einem schon Angst und Bange werden. Da möchte man eigentlich nicht Jugendlicher sein. Und deswegen denken auch viele darüber nach, selbst ihr Leben in die Hand zu nehmen und zunächst einmal für eine Zeit ins Ausland zu gehen. Ob das jetzt die Spanier oder die Portugiesen sind, die nach Süd- und Mittelamerika gehen, oder ob die Europäische Union, innerhalb der Europäischen Union man sich gegenseitig hilft. Wir müssen aber genau unterscheiden, was sind das dann für Jugendliche? Haben wir welche mit einer abgeschlossenen Ausbildung oder sind es diejenigen, die keine Ausbildung bisher begonnen habe, oder vielleicht noch die schwierigeren Fälle mit einer abgebrochenen Ausbildung. Und dann geht es um Talente. Was können die Leute? Selbst, wenn sie einen Abschluss haben, steht da zwar drauf, was sie studiert haben, was sie aber wirklich können, was sie ausmacht, was sie als Person leisten möchten, leisten wollen und auch wirklich auf die Straße bringen können, das steht da ja noch gar nicht, und die Talentdiagnostik kann dabei gerade helfen, diesen Fragen auf die Spur zu kommen, Antworten zu liefern.
    Götzke: Wie soll das dann konkret aussehen? Soll das ein Tool im Internet sein oder gibt es da einen Experten, der vor Ort ist und sich das dann, den Jugendlichen genau anschaut?
    Ege: Es ist beides. Das Tool ist längst entwickelt, das ist auch in praktischen Projekten mit Langzeitarbeitslosen sogar getestet worden, also die allerschwierigsten Fälle. Und das beruht auf Fragebögen, die online dann ausgefüllt werden können, aber wir haben die Erfahrung in den Projekten gemacht, dass es noch besser ist, gerade in einem ersten Schritt, wenn bei den Betroffenen, bei den Teilnehmern ein bisschen Unsicherheit herrscht, dass man nicht die Leute allein an den Computer setzt, um das auszufüllen, sondern dass man das in einer Gruppe vorbereitet. Das hilft, und die Überlegung, die wir anstellen, ist, mit diesen Tests schon im Heimatland zu beginnen, um einfach die Hürde möglichst niedrig zu machen, sich auf so einen Prozess einzulassen. Vergessen wir nicht, wir sprechen von jungen Leuten, die sind teilweise 18 bis 20 Jahre alt, nicht die Überflieger und hohen Talente, die zu den Universitäten der Welt wollen nur, sondern es sind ganz normale Menschen, für die das einen riesengroßen Schritt darstellt.
    Götzke: Sie haben auch Ideen für neue Beschäftigungsformen entwickelt in den Regionen, in denen Jobs fehlen. Welche könnten das sein?
    Beschäftigungsradar für Dienstleistungsberufe
    Ege: Ja, wir haben ein Beschäftigungsradar entwickelt für Dienstleistungsberufe. Das funktioniert letztendlich wie eine Landkarte, die wir im Browser im Internet abrufen können, nur mit der Spezialität, dass aufgrund von Big Data im Hintergrund eine Wahrscheinlichkeit dargelegt werden kann, für welche Dienstleistungen in welchem Haus, weil das ist anonym, welcher Bedarf auch besteht. Das heißt, früher, wenn man beispielsweise einen Lieferservice aufbauen wollte, ist man in ein Wohngebiet gegangen und hat Zettel in den Briefkasten geworfen und darauf gehofft, dass jemand sich dann meldet auf der Telefonnummer, die angegeben war. Heute, und das kann das Tool, weiß man, an welcher Tür man klingeln und freundlich fragen kann.
    Götzke: Ob man da Babysitten kann, irgendwie der Omi beim Einkauf helfen kann et cetera.
    Ege: Den Garten machen, was auch immer.
    Götzke: Peter Hartz und Sie haben jetzt Vorschläge gemacht – wird es einen neuen Gerhard Schröder geben, der die neuen Hartz-Reformen auf EU-Ebene umsetzen wird?
    Ege: Wir suchen diesen Machtprotagonisten noch. Es ist auch ganz wichtig, diese Unterstützung in Europa zu erfahren, weil die Lösungen sind da. Wir konnten vor der europäischen Politikprominenz gestern, also Arbeitsminister aus mehreren EU-Ländern, der Arbeitskommissar, Herr Weise von der Bundesagentur war da, Bundesjustizminister Maas. Wir konnten deutlich machen, dass die Lösungen, die vorliegen und die wir jetzt um europäische Best Practice ergänzen wollen, dass die direkt einsetzbar sind. Man muss sie eigentlich nur in andere Sprachen, in europäische Sprachen und Kulturen übertragen. Und das funktioniert aber nur mit Geld, und um dieses Geld – in diesem Fall geht es natürlich um öffentliche Mittel zunächst mal – darüber müssen sich einfach Machtprotagonisten kümmern und sagen, ja, sie wollen das, weil sie dann schneller vorankommen, als das mit der Jugendgarantie bisher – und zwar ein guter Ansatz, aber leider nicht schnell genug geklappt hat.
    Götzke: Sie sind mit der Zahl zitiert worden, 215 Milliarden Euro müsste das alles kosten, um die Jugendarbeitslosigkeit, das Problem in Ansätzen zu lösen. Davon sind die EU-Protagonisten ja ganz weit entfernt, das ausgegeben zu wollen.
    Neuer Weg zur Finanzierung
    Ege: Dafür brauchen wir auch den neuen Weg. Was ich eben erklärte, waren die Projekte, die direkt umgesetzt werden können. Um das Gesamtproblem der Jugendarbeitslosigkeit in Europa zu lösen, muss man eine einfache Rechnung aufmachen. Wir haben fünfeinhalb Millionen Jugendliche ohne Job, wir haben pro Jugendlichem einen Durchschnittssatz von 40.000 Euro angesetzt, den eine Ausbildung über drei Jahre inklusive Kost und Logis, Sprachkurs, was alles dazu gehört, Mobilitätskosten, ausmacht. Und dort kommt man auf diese Summe. Das muss nicht allein die Politik beitragen, würde sie auch gar nicht. Im Zweifelsfall würde sie sogar Schulden machen, das wollen wir ja gerade nicht, sondern da müssen sich Unternehmen beteiligen. Da können sich aber auch Privatleute beteiligen. Wir denken an einen innovativen Finanzierungsfonds, wir nennen es Ausbildungszeit-Wertpapier
    Götzke: Experten um Peter Hartz haben einen Plan gegen die Jugendarbeitslosigkeit in Europa vorgelegt. Mit entwickelt hat ihn Christian Ege. Danke schön!
    Ege: Gerne. Auf Wiederhören, Herr Götzke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.