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Kammermusik
Ludwig Thuille: Sonaten für Violine und Klavier

In seiner Wahlheimatstadt wurde Ludwig Thuille um die Wende zum 20. Jahrhundert zu einem führenden Kopf der sogenannten Münchner Schule. Bekannt war er weniger als Komponisten, sondern eher als Co-Autor einer einst sehr populären Harmonielehre. Die Geigerin Elisabeth Eibensteiner und ihre Mutter, die Pianistin Marlies Nussbaumer, haben zwei seiner Werke eingespielt.

Von Raoul Mörchen |
    Violine
    Eine Violine liegt auf einem Notenblatt. (picture alliance / Rolf Kremming)
    Heute geht es um die Musik eines Komponisten, den, wenn überhaupt, vermutlich nur die älteren Semester noch kennen. Und dann wohl auch nicht in erster Linie als Komponisten, sondern eher als Co-Autor einer einst sehr populären Harmonielehre: Ludwig Thuille heißt der Mann, der 1861 in Bozen geboren wurde, um in München zu einer der einflussreichsten und damals auch renommiertesten Persönlichkeit in der Musikwelt zu werden. Die ebenfalls aus Bozen stammende Geigerin Elisabeth Eibensteiner hat gemeinsam mit ihrer Mutter, der Pianistin Marlies Nussbaumer, die beiden Violinsonaten von Thuille eingespielt für das kleine Tiroler Label "Musikmuseum". Man muss selbst kein Tiroler sein und kein Lokalpatriot, um sich darüber zu freuen. Denn zumindest eine der beiden Sonate ist ein echtes Meisterwerk.
    (Musik: Thuille, Sonate op.1, I.)
    Heben wir uns das beste fürs Ende auf – und beginnen dort, wo auch Ludwig Thuille begonnen hat: hochbegabt und selbstbewusst, doch zugleich noch eingeschüchtert und begrenzt von den Vorbildern. Das ist keine Schande, denn als Thuille 1880 sein Opus 1 schrieb, eine viersätzige Sonate für Violine und Klavier, da ist er erst 18 Jahre alt. Im Jahr zuvor war er nach München gekommen als Student, hatte sich eingeschrieben an der Königlichen Musikschule beim berühmten, doch auch ein wenig langweiligen Komponisten Josef Rheinberger. Ihm widmete Thuille voller Hochachtung sein Gesellenstück und durfte damit prompt einen Erfolg feiern: Noch vor der Premiere wurde die Sonate als erstes seiner Werke von einem Münchner Verlag veröffentlicht. Thuille hatte es geschafft.
    (Musik: Thuille, Sonate op.1, I.)
    Der Erfolg kam nicht ganz überraschend. Ludwig Thuille, der früh seinen Vater verlor und in einer österreichischen Klosterschule aufwuchs, hatte schon als Schüler mit seiner Begabung auf sich aufmerksam gemacht. Eine Gönnerin finanzierte ihm Privatstunden beim Pianisten und Komponisten Joseph Pembauer in Innsbruck, der Thuille schließlich gut vorbereitet zu Rheinberger nach München schickte. Thuille hatte einiges schon angesammelt an Wissen und Handwerk; man darf durchaus Staunen darüber, wie versiert und sicher hier ein junger Mann seinen offiziellen Einstand gab mit einer Sonate, die alles richtig macht, die einen starken Willen und Einfallsreichtum verbindet mit formaler Klarheit. Und die doch eben gefangen ist in den Schemen der akademischen Lehre. Da wird brav, wie bei Mozart und Beethoven, die Exposition wiederholt, Formteile werden ordnungsgemäß mit Doppelstrichen geschieden, wirklich substanzielle Materialverarbeitung bleibt der Durchführung vorbehalten, und wenn der junge Thuille in der Reprise des ersten Satzes das Hauptthema von Moll nach Dur wendet, schreibt er, wie die Alten, ganz artig "Maggiore" darüber. Am besten gelingt Thuille das Finale. Dessen Volkstümlichkeit bindet er ein in einen dichten Kontrapunkt – und setzt damit ein Zeichen für die Zukunft.
    (Musik: Thuille: Sonate op.1, IV.)
    Ein Label mit dem Namen "Musikmuseum", eine "Landesmuseen-Betriebsgesellschaft" aus Tirol als Produzent, und zwei Musikerinnen aus Bozen, die Sonaten spielen eines Komponisten aus Bozen: Das verströmt doch sehr den Duft der Provinz und deutet nicht darauf hin, dass man sich als Ortsfremder für diese CD überhaupt interessieren müsste. Und wäre auch nur diese eine erste Sonate darauf, man könnte die Sache tatsächlich den Einheimischen überlassen und den Sammlern. Doch gibt es da eben noch eine zweite Sonate, zwanzig Jahre nach dem Opus 1 vollendet, und die ist tatsächlich ein Meisterwerk. Wieder setzt der Eröffnungssatz an mit einer präludierenden Einleitung, man rechnet schon mit Schema F, doch dann entspinnt sich aus dieser Einleitung eine so packende, dichte, leidenschaftliche und originelle Musik, dass man sich nur noch eines fragt: Warum man dieses Stück noch nie gehört hat.
    (Thuille, Sonate op.30, I.)
    In seiner Wahlheimatstadt wurde Ludwig Thuille um die Wende zum 20. Jahrhundert zu einem führenden Kopf der sogenannten Münchner Schule - neben Richard Strauss, Max von Schillings oder Max Reger. Besondere Ansehen genoss er als Lehrer. Thuille stand im Ruf steht, anders als andere ganz besonders Individualismus und Persönlichkeit zu fördern: Ernest Bloch, Walter Braunfels und Hermann Abendroth zählten zu seinen Schülern. Wenn man Thuilles fiebrige Sonate irgendwie verorten will in dieser Stadt München, stellt man sich eine Aufführung am besten in den düsteren, von Schmuck und exotischem Dekor überladen Salons der Malerfürsten Lehmbruck oder Stuck vor, die man heute ja noch besichtigen kann. Denn Thuille huldigt in seinem Opus 30 nicht dem vermeintlich heiteren und hellen Münchner Klassizismus, sondern dem romantischen Symbolismus am Fin-de-Siecle, wo die Luft durchdrungen ist von schwerem Parfum, einer Epoche, in der Hysterie, Müdigkeit und Neurose zum Stigma werden der Bourgeoisie – und Kunst wie diese ihr Spiegel und Fluchtpunkt.
    (Thuille, Sonate op.30, II.)
    Der erste Satz der zweiten Violinsonate erschlägt einen fast mit seiner Intensität – und er treibt seine beiden Interpretinnen, die Geigerin Elisabeth Eibensteiner und ihre Mutter Marlies Nussbaumer, zu Höchstleistungen: Sie stürmen durch das Allegro Appassionato mit einer Wucht und klanglichen Kraft, die nicht Erfahrung und technische Souveränität allein geschuldet ist. Dazu gehört auch Mut und Bereitschaft zum Risiko. Dem gelegentlichen Leerlauf des Jugendwerks hatten die beiden nur wenig entgegen zu setzen: Hier aber lassen sich Eibensteiner und Nussbaumer beflügeln von der Energie, die Thuille auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft entfesselt. Die Temperatur sinkt auch im schwärmerischen Adagio nicht wesentlich; das Finale, in dem der Komponist die Harmonik bis an ihre Grenzen zwingt, komprimieren die Musikerinnen so fest, dass zwischen die vielen Noten kein einziges Haar mehr passt.
    (Musik: Thuille, Sonate op.30, III.)
    Das Finale der Violinsonate Opus 30 von Ludwig Thuille – gemeinsam mit der Sonate Opus 1 aufgenommen von der Geigerin Elisabeth Eibensteiner und ihrer Mutter, der Pianistin Marlies Nussbaumer. Die neue Platte ist erschienen beim Tiroler Label "Musikmuseum" und wurde Ihnen vorgestellt von Raoul Mörchen.
    Vorgestellte CD:
    "Ludwig Thuille: Sonaten für Violine und Klavier"
    Elisabeth Elbensteiner, Violine
    Marlies Nussbaumer, Klavier
    Label: Musikmuseum 27 CD 13026
    EAN: 907900700146
    Label Code: 27002