Costanza ist dem Selbstmord nahe. Ihr Mann Gernando hat sich, so glaubt sie, einfach aus dem Staub gemacht und vergnügt sich irgendwo in der Ferne. Weil sich Costanza mehr tot als lebendig fühlt, sich schon fast in der Unterwelt befindet, entsteigt sie in Herbert Kapplmüllers pfiffig erdachter Bühne bei ihrem ersten Auftritt gewissermaßen ihrem eigenen Sarg. Jedenfalls hebt sie ein Holzbrett in der Form eines Sargdeckels und sie kommt vom Keller in das Erdgeschoss eines quaderförmigen nach drei Seiten offenen Hauses.
In die Rückseite des Sargdeckels ritzt sie mit dem Schwert ihres einstigen Geliebten eine Inschrift, in der sie diesen als Verräter und Grund ihres bevorstehenden Todes verewigt. Lisa Stumpföggers Inszenierung von Haydns "L’isola disabitata", die unbewohnte Insel, ist voll von solchen subtilen und intelligenten Anspielungen. Sie deuten den zeitlos mythischen Hintergrund dieses kleinen Psychodramas von 1779 auf ein Libretto des legendären Pietro Metastasio an.
Unter dem Motto "Der ferne Geliebte" veranstaltet die Kammeroper Schloss Rheinsberg in diesem Jahr zum ersten Mal Osterfestspiele. Der neue künstlerische Direktor Georg Quander möchte sich jedoch keinesfalls etwa mit den gleichzeitig stattfindenden Festtagen an der Staatsoper unter den Linden in Berlin messen.
"Wir haben hier in Rheinsberg ganz bewusst zu Ostern Festspiele aufgelegt, die auf die Geschichte des Ortes rekurrieren, auf den berühmten Musenhof, der hier unter dem preußischen König Friedrich und vor allem seinem jüngeren Bruder Heinrich existiert hat, und da ist eben in zeitgenössischen Berichten dargestellt, dass es ein breites Kulturangebot war, einen Tag gab es Oper, dann Schauspiel, einen Ball, das haben wir noch nicht, dann gab es ein Konzert usw."
Die Osterfestspiele Rheinsberg wollen spartenübergreifend Veranstaltungen anbieten. So fügen sich unter das Motto "Der ferne Geliebte", das sich natürlich auf den Titel von Beethovens bekanntem Lied "An die ferne Geliebte" bezieht, zum Beispiel ein Schauspiel-Abend mit Peter Hacks Monolog "Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe" oder eine Lesung aus dem Briefwechsel der entfernten Lieblingsgeschwister Friedrich der Große und Wilhelmine von Bayreuth.
Miniatur-Robinsonade mit Happy-End
Briefe konnten sich die vier Protagonisten in Haydns Oper "L’Isola disabitata" nicht schreiben. In dieser Miniatur-Robinsonade hat es Costanza auf eine Insel verschlagen. Ihr Gatte Gernando hatte sie und ihre kleine Schwester Silvia nach einem Schiffbruch dorthin retten können, verschwand dann aber spurlos, weil er von Piraten entführt worden war. Costanza leidet, aber ihre inzwischen zum Teenie herangewachsene Schwester genießt das Leben an dem offensichtlich paradiesischen Ort. Nach 13 Jahren kehrt Gernando mit seinem Freund Enrico zurück. Er findet die von Costanza in Stein gemeißelte Inschrift und möchte nichts als sterben. Enrico begegnet derweil der kessen Silvia, die beiden verlieben sich. Verwirrungen klären sich, einem Happy End steht nichts mehr im Wege.
Haydns zweiteilige 90-minütige Oper zeigt formal eine große Nähe zum Melodram. Alle Szenen gehen nahtlos ineinander über, die zahlreichen Rezitative sind ausschließlich vom Orchester begleitet. Mit einem faszinierenden Reichtum an musikalischer Gestaltung illustriert und kommentiert Haydn die Seelenstürme seiner vier Figuren, die Lebensmüdigkeit von Costanza und Gernando und die vergnüglichen adoleszenten Spielchen von Silvia und Enrico. Ein wenig überraschend, dass der renommierten Lautten Compagney Berlin unter Wolfgang Katschner in ihrer meist espritvollen Begleitung doch einige Ungenauigkeiten in Intonation und Zusammenspiel passierten. Aus dem jungen Sänger-Quartett beeindruckten Jerica Steklasa als Silvia mit einem hellen, frischen Sopran, aber vor allem Eddie Mofokeng als Enrico mit seinem herrlich kernigen, warmen und noblen Bariton.
Lisa Stumpfögger inszenierte mit ihrer auch schauspielerisch höchst lebendigen, aber immer behutsamen Regie Theater auf dem Theater. Ein großer, gerüstartiger, mobiler Quader fungierte als Hauptspielort und war ein kleines barockes Kulissentheater. Vier Tänzer der "Kinder Ballett Kompanie Berlin" spielten und tanzten zuweilen als Äffchen und ein Reh verkleidet Elemente der Handlung nach. Das sorgte ganz unaufdringlich für Abwechslung und psychologische Verdeutlichung der Emotionen.
Vielversprechender Start in eine neue Ära
Haydns "Unbewohnte Insel", die am kommenden Wochenende noch einmal in Rheinsberg zu erleben ist, war für den neuen künstlerischen Direktor der Kammeroper Schloss Rheinsberg Georg Quander ein vielversprechender Start in seine Amtszeit. Dass die Kammeroper und die ebenfalls in Rheinsberg beheimatete Musikakademie 2014 nach dem Willen der Landesregierung organisatorisch unter ein Dach gestellt wurden und Georg Quander jetzt als künstlerischer Direktor berufen wurde, rief den Zorn des Gründers der Kammeroper, des Komponisten Siegfried Matthus hervor, der nichts von der Fusion hält und eine Verwässerung des Profils der Kammeroper befürchtet. Georg Quander betont, dass beide Institutionen nach wie vor ihr Profil behalten, und dass möglicherweise, aber doch eher in ferner Zukunft sich Synergieeffekte ergeben könnten. Dabei schätzt Quander das von Siegfried Matthus entwickelte Konzept der Förderung junger Sänger in der Kammeroper Schloss Rheinsberg.
"Das sind ja alles Sänger, die fertig sind mit ihrer Gesangsausbildung, die teilweise schon Bühnenerfahrung, aber wenn mit kleineren Partien, die noch nie irgendwo eine große Partie normalerweise gesungen haben, die hier die Chance bekommen, sich mal auszuprobieren, Publikumsreaktionen zu erfahren und das unter professioneller Anleitung mit Orchestern, mit erfahrenen Dirigenten und Regisseuren, das finde ich ein sehr gutes Konzept, das behalten wir selbstverständlich bei."
Inhaltlich neu ist bei Georg Quander zunächst einmal das thematisch ausgerichtete Osterfestival. Für die Kammeroper und ihr Sommerfestival setzt Georg Quander sogar ähnlich wie Siegfried Matthus auf weniger bekanntes Repertoire. Und das auch, weil die Stimmen der jungen Sänger für größere dramatische Partien noch reifer werden müssen. Georg Quander:
"Deswegen eignen sich eher Opern bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts als aus dem späten oder dem 20. gar, auch das ist ein Versuch ein Repertoire anzubieten, was außerhalb dessen liegt, was in Berlin und Hamburg sowieso stattfindet."