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Kampf gegen Doping
Per GPS-Ortung zur Kontrolle

Dass sich deutsche Athleten für unangemeldete Dopingkontrollen in Zukunft freiwillig per GPS orten lassen könnten, ist schon länger in der Diskussion. Jetzt hat die NADA konkrete Pläne vorgelegt, die bei vielen Sportlern auf Zustimmung treffen - wenn auch eher aus Pragmatismus.

Von Bastian Rudde | 21.12.2014
    Der Leichtathlet Markus Rehm wirkt wie ein sehr organisierter Mensch. Dieses Jahr ist der unterschenkelamputierte Weitspringer Deutscher Meister bei den Nicht-Behinderten geworden. Wenn er nicht trainiert oder bei Wettkämpfen ist, arbeitet Rehm als Orthopädietechniker. Volles Programm. Doch es kommt noch etwas dazu, das er immer einplanen muss: "Wo bin ich gerade, dass die Dopingkontrolle mich auch antrifft?"
    Als Top-Athlet muss Markus Rehm fast rund um die Uhr für unangemeldete Dopingtests zur Verfügung stehen. In einem Internet-Kalender namens ADAMS muss er deshalb drei Monate im Voraus angeben, wann er wo ist. Ändert sich etwas, muss er ADAMS aktualisieren. Auch kurzfristig. Und das kann zu einem Problem werden, sagt Rehm.
    "Wie soll ich das machen? Wenn mein Kunde mich anruft: ‚Hör mal zu, meine Prothese ist gerade kaputt gegangen.' Da ich Orthopädietechniker bin, dann muss ich da schnell rausfahren - und dann kann ich nicht darüber nachdenken, kann ich jetzt rausfahren? Ich muss ja erst mal in ADAMS eintragen. Und wenn ich dann über so ein GPS-System geortet werden kann, ist mir das recht!"
    Freiwilliges GPS-Ortungssystem geplant
    Ein Ortungssystem für Spitzenathleten, das einem Kontrolleur automatisch anzeigt, wo der Sportler ist. Markus Rehm fände das praktischer, als mühevoll den ADAMS-Internet- Kalender zu pflegen. Neu ist dieses Gedankenspiel nicht, aber es ist seit kurzem nicht mehr hypothetisch. Denn die Nationale Anti-Doping-Agentur will ein freiwilliges Ortungssystem einführen. Vorstandsmitglied Lars Mortsiefer hat einen groben Zeitplan.
    "Es geht natürlich darum, auch erst mal Feldtests und Feldstudien zu machen, auch wie das bei den Athleten ankommt. Aber es ist jetzt das Ziel auch, im nächsten Jahr das Ganze voranzubringen und zu einer Marktreife werden zu lassen."
    Konkret geht es um ein Ortungssystem, das der Leichtathlet Jonas Plass entwickelt hat. Denn auch er findet: Mit der Individualität des Lebens kann ein Online-Kalender in Excel-Anmutung nicht mithalten: "Also vielleicht passiert der Freundin irgendetwas, man muss sie kurzfristig ins Krankenhaus bringen und ist dann dementsprechend im Krankenhaus und nicht wie angegeben im Stadion, um da zu trainieren. Und wir haben da eben eine bessere Lösung", glaubt Plass. Und zwar in Form eines streichholzschachtelgroßen Senders, den der Sportler bei sich trägt. Den soll der Kontrolleur Plass' Plänen zufolge mit GPS und anderen Technologien orten können, wenn er den Athleten trotz dessen Angaben im ADAMS-Internet-Kalender nicht findet. Und zwar nur dann. Ein dauerhaftes Tracking soll es nicht geben, betont Plass. Denn er weiß: GPS-Ortung, dieses heikle Thema ruft schnell Kritiker auf den Plan - so wie Basketball-Nationalspieler Heiko Schaffartzik.
    "Ich denke, dass Einzige, was damit vergleichbar wäre, ist die elektronische Fußfessel, die es in Deutschland nur für Sexual- und Gewaltstraftäter gibt. Das heißt, wenn man sich dazu bereit erklären würde, würde man sich mit diesen Menschen auf eine Stufe stellen."
    Eine drastische Ansicht, mit der Heiko Schaffartzik nicht alleine da steht. Andere Athleten entgegnen, dass sie durch die ADAMS-Angaben im Internet ohnehin schon enorm viel Privatsphäre aufgeben. Da mache es jetzt auch kaum einen Unterschied mehr, wenn sie einen Sender bei sich tragen. Jonas Plass wollte wissen, wie viele Athleten ein Ortungssystem prinzipiell befürworten - und hat nach eigenen Angaben knapp 900 Spitzensportler befragt. Etwa 200 schrieben zurück, sagt Plass: "So pi mal Daumen kann man sagen: Ein Drittel ist dagegen, zwei Drittel wünschen sich ein solches System und wären bereit, sich orten zu lassen."
    Bisheriges System nur bedingt alltagstauglich
    "Ich habe auch an dieser Umfrage teilgenommen, weil es mir relativ wichtig ist. Und ich muss sagen: Ich habe mich dafür ausgesprochen", sagt Beachvolleyball-Olympiateilnehmerin Katrin Holtwick. Auch sie hält ADAMS nur für bedingt alltagstauglich.
    "Es ist zwar ein System, das in Anführungsstrichen flexibel ist, weil es eine App davon gibt und man es online aktualisieren kann. Aber trotzdem! Ich meine, man muss halt immer im Blick haben, ob das, was man online eingetragen hat, jetzt wirklich der Fall ist. Ob ich jetzt gerade wirklich beim Training bin oder ob wir das Training noch mal ne halbe Stunde nach hinten verschoben haben, weil irgendjemand im Stau stand. Und bei Flugreisen, wo dann halt mal Verspätung ist - da merkt man dann auf einmal im Flieger: Oh nein, Shit!"
    Denn wer nicht da ist, wo er laut seinen Angaben sein sollte, dem droht eine Verwarnung, ein "Strike". Drei Strikes können eine Sperre nach sich ziehen - und das, ohne nachweislich gedopt zu haben. So ist es kürzlich Volleyball-Nationalspieler Philipp Collin ergangen. Er wurde für ein Jahr gesperrt. "Ich habe nicht gedopt, ich bin nur verpeilt", sagte Collin danach. Ein Argument pro GPS, sagt dessen Nationalmannschaftskollege Jaromir Zachrich: "Denn das würde einfach sehr viel Arbeit ersparen und sehr viele Missverständnisse im Vorfeld gar nicht erst entstehen lassen."
    Fast 350 Strikes wurden letztes Jahr festgestellt. Hinter wie vielen versäumten Dopingkontrollen tatsächlich eine betrügerische Absicht steckte, weiß keiner. Fest steht aber, dass viele Sportler haben Angst, dass es auch sie mal einen Strike kassieren - schlichtweg, weil sie vergessen haben, ADAMS in der Alltagshektik zu aktualisieren. Ihre Zustimmung zu GPS hat also viel mit Pragmatismus zu tun. Jaromir Zachrich findet aber: Wer sich freiwillig orten lässt, sollte nicht mehr verpflichtet sein, ADAMS zu benutzen.
    "Ich sehe nicht so ganz den Sinn darin, wenn ich sowieso schon ein GPS-Ortungssystem habe, das funktioniert und in dem ich angepeilt werden kann, wenn es denn mal dringend ist, dass ich dann täglich immer noch angeben muss, was ich wann, wie, wo mache. Das ist in manchen Augen ziemlicher Humbug."
    GPS-Ortung nur als Ergänzung zum bisherigen System
    So soll es nach den Überlegungen der Nationalen Anti-Doping-Agentur aber sein. GPS als freiwillige Ergänzung zu den ungeliebten ADAMS-Angaben im Internet. Als Sicherheit, dass ungemeldete Kontrollen ohne Probleme stattfinden können. Allerdings spricht NADA-Vorstand Lars Mortsiefer von der Möglichkeit, dass ADAMS zumindest entschlackt werden könnte.
    "Natürlich wird ADAMS zunächst nicht abgeschafft. Aber es wird natürlich erleichtert, aufgefunden zu werden, sodass auch das eine oder andere an Information nicht mehr in das System eingetragen wird, sondern vom GPS-System aufgefangen wird. Aber: Grundsätzlich gilt erst mal ADAMS. Und darüber hinaus versuchen wir jetzt, einen ersten Schritt zu machen, ein zusätzliches Tool anzubieten."
    Wohin auch immer dieser Schritt führen mag - Weitspringer Markus Rehm findet: Jede Diskussion, wie die Organisation unangemeldeter Dopingkontrollen vereinfacht werden kann, sollte geführt werden. Also auch die aktuelle über eine freiwillige GPS-Ortung: "Also ich möchte als Athlet ja auch wirklich transparent sein und will sagen, ich stehe gegen Doping auf. Aber es muss einem Athleten auch die Möglichkeit gegeben werden, das mit möglichst wenig Aufwand zu machen."