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Kampf gegen Steuerflucht

Multinationale Konzerne sollen den Steuerbehörden in Zukunft Bericht erstatten müssen, in welchen Ländern sie Gewinne erwirtschaften und Steuern zahlen. So haben es die Staats- und Regierungschefs der acht wichtigsten Industriestaaten auf dem G8-Gipfel in Nordirland beschlossen.

Von Wolf-Sören Treusch | 19.06.2013
    Eine Billion Euro, schätzt die EU, würden ihren Mitgliedsländern jährlich an Steuereinnahmen entzogen. Auf Deutschland übertragen wären das 150 Milliarden. Michael Sell, Leiter der Steuerabteilung beim Bundesfinanzminister, sagte gleich zu Beginn der Veranstaltung: Er wisse nicht, wie viel es sei.

    "Wir haben keine belastbaren Zahlen. Wenn ich wüsste, wo genau aggressiv Steuerverlagerung im Einzelfall stattfindet oder Steuerhinterziehung, würden wir es sofort abstellen."

    Doch er ist überzeugt, dass dieser Zustand bald der Vergangenheit angehören wird. Ausdrücklich lobte der Finanzexperte der Bundesregierung den Beschluss, der soeben auf dem G8-Gipfel getroffen wurde, wonach der automatische Informationsaustausch zukünftig weltweiter Standard werden soll. Jeder Staat kann dann gezwungen werden, Kontodaten herauszugeben.

    "Es wird das Steuervermeidungsproblem vielleicht nicht gelöst. Es wird das Steuerhinterziehungsproblem stark eingedämmt. Weil niemand mehr durch Nicht- Daten seine Einkünfte verschleiern kann."

    Auch in der EU sollen künftig nicht nur Zinsinformationen, sondern alle Arten von Kapitaleinkünften an das Heimatland eines Kontobesitzers gemeldet werden. Lorenz Jarass, Professor an der Hochschule Rhein/Main in Wiesbaden, hält die Transparenzoffensive der G8-Staaten für einen großen Erfolg, vorausgesetzt sie wird umgesetzt.

    "Viele Tochtergesellschaften der großen international tätigen Konzerne können ganz legal vermeiden, irgendwelche Angaben im Bundesanzeiger zu veröffentlichen, und jeder Bäckermeister und jedes mittelständische Möbelgeschäft ist dazu verpflichtet. Und das muss aufhören, dass die Konzerngesellschaften nichts veröffentlichen müssen und die mittelständischen Gesellschaften müssen veröffentlichen."

    Ob auf diese Weise tatsächlich die Steuerschlupflöcher auf den Cayman-Islands, in den Niederlanden oder wo auch immer in der Welt gestopft werden können, darauf wussten auch die Kongressteilnehmer in Berlin keine Antwort. Lorenz Jarass ist allerdings überzeugt: Die Bemessungsgrundlage der Unternehmensbesteuerung zu ändern, das sei ein erster, notwendiger Schritt.

    "Die Wertschöpfung ist die Summe aus in Deutschland erwirtschafteten und ausbezahlten Löhnen, Schuldzinsen und Lizenzgebühren. Und genau das sollten wir in Deutschland besteuern. Das wäre eine Lösung, wie wir EU-konform und ohne die Notwendigkeit von internationaler Abstimmung ein wesentliches Problem in Deutschland lösen könnten, und damit würden wir auch die Steueroasen systematisch austrocknen, denn die Steueroasen leben doch genau davon, dass in Deutschland erwirtschaftete Schuldzinsen und in Deutschland erwirtschaftete Lizenzgebühren in Deutschland steuerfrei in diese Steueroasen transferiert werden."

    Richtig, sagt auch Michael Sell, Leiter der Steuerabteilung beim Bundesfinanzminister, die steuerlichen Bemessungsgrundlagen müssten geändert werden, aber nicht allein national, sondern EU-weit. Und da habe man zwar durchaus Fortschritte erzielt, aber:

    "Der große Block wird sein: Wie teile ich den Kuchen entsprechend auf? Da zeichnen sich schon jetzt nahezu unlösbare Probleme ab. Und das Ganze auf weltweiter Basis einzuführen, ist etwas, was vielleicht meine Tochter erleben wird, wenn sie sich auch für Steuern entscheidet."

    In einem waren sich alle Kongressteilnehmer einig: dass sich die große Politik des Themas Steuerflucht annehme, das zumindest sei ein riesiger Fortschritt.