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Karl Ove Knausgård in Hamburg
"Eine ungeheure Vergegenwärtigungskraft"

Der norwegische Schriftsteller Karl Ove Knausgård hat mit seiner sechsbändigen Autobiografie für Furore gesorgt. Knausgård habe eine Radikalität in der Offenheit in Bezug auf die eigene Person, sagte der Literaturkritiker Volker Hage im DLF. Jemand der so seine Schwächen offenbare, sei für den Leser extrem, bedeute Identifikation. Knausgård sei fast so eine Art Popstar.

Volker Hage im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske |
    Karl Ove Knausgård, norwegischer Autor in Finnland am 29. September 2011.
    Der norwegische Autor Karl Ove Knausgård (picture alliance / dpa / Antti Aimo-Koivisto)
    Doris Schäfer-Noske: Eigentlich waren wir ja heute zu einem ganz anderen Thema verabredet. Sie waren gestern Abend in Hamburg in einer Buchvorstellung. Sie hatten nämlich eine der heiß begehrten Eintrittskarten für die Lesung des Norwegers Karl Ove Knausgård. Der Hype um diesen Mann erinnert jedenfalls an Harry Potter. Und gleichzeitig erscheinen in den Feuilletons hymnische Besprechungen. Dabei hat sich Knausgård gar keine Geschichte ausgedacht, sondern seine Bücher handeln von ihm selbst. Im auf sechs Bände angelegten Projekt "Min Kamp", das im Deutschen natürlich nicht mit "Mein Kampf" übersetzt wird, sondern je nach Band "Sterben", "Lieben", "Spielen", "Leben" und jetzt "Träumen" heißt, in diesem Projekt legt Knausgård schonungslos alles offen, was er getan hat, wie er gelitten hat, was ihm passiert ist, auch Dinge, die man nicht so gerne zugibt. Wie groß war denn gestern Abend der Hype?
    Volker Hage: Es war bis auf den letzten Platz besetzt, eine große Gemeinde. Er ist fast so eine Art Popstar. Hinterher waren die Schlangen natürlich unendlich lang, die ihn zum Signieren baten, wo er dann saß und ein Buch nach dem anderen signierte. Und diese Konzentration, die da gespürt wurde, das hat natürlich schon mit dem zu tun, was Sie gerade gesagt haben: diese Offenheit in Bezug auf die doch Radikalität in der Offenheit auf die eigene Person. Das scheint, ein Faszinosum zu sein, dass man doch immer hinter den Geschichten auch die Person sieht. Und dieser weltweite, inzwischen ja wirklich weltweite internationale Hype, wie Sie sagen, der ist natürlich wirklich schon ein Phänomen, übrigens auch für ihn selber. Er versteht es, glaube ich, bis heute nicht. Das hat er auch ganz glaubwürdig gemacht. Er wollte das Buch, die Bücher, die dann daraus wurden, eigentlich für wenige Leser schreiben und es hat ihn völlig überrollt und er taumelt, glaube ich, da immer noch ein bisschen durch die Gegend und auch durch seine Freunde und Bekannten, die ihn zum Teil ja auch ganz böse dafür rügten.
    "Wie im Rausch muss er da durchgearbeitet haben"
    Schäfer-Noske: Ist es eine Art Reality-Fernsehen in der Literatur und woran liegt das? Ist es diese Identifikationsmöglichkeit mit diesem Antihelden, oder ist es auch die Sprache, die einen süchtig macht?
    Hage: Ich glaube erst mal, das ist das Erste, was Sie sagen, diese Identifikation. Jemand der so seine Schwächen offenbart, ist natürlich für den Leser immer jemand, wo man denkt, ein bisschen kenne ich das auch, aber oh Gott, das ist ja sehr extrem. Das ist in der Literatur ja immer ein Effekt, egal ob jetzt reine Fiktion oder eher autobiografisch. Das ist ja immer eine Mischung. Ich denke, die Frage nach dem Stil, das ist vielleicht für ihn dann in dem Moment nicht ganz so wichtig. Es ist tatsächlich diese ungeheure Vergegenwärtigungskraft, die er hat, und er hat diese 4.000 Seiten ja tatsächlich in drei Jahren geschrieben. Wie im Rausch muss er da durchgearbeitet haben. Es ist schon unverständlich, wenn man denkt, Marcel Proust, an den er oft ja erinnert, der hat ja über Jahre einfach sich nur auf dieses Projekt konzentriert, über viele, viele Jahre. Da ist der Stil im Vordergrund, natürlich auch die gesellschaftliche Darstellung. Bei ihm ist eher diese intime Darstellung im Vordergrund. So würde ich es mal vorsichtig formulieren.
    Schäfer-Noske: Wirkt denn dieser Bekenntniszwang, gepaart mit dieser schonungslosen Offenheit, die Sie angesprochen haben, nicht auch exhibitionistisch oder narzisstisch?
    Hage: Ja, aber das geht darüber fast weit hinaus. Ja natürlich, das ist es, gar keine Frage. Das weiß er auch. Aber man kommt, wie das eine Kollegin von der "FAZ" geschrieben hat: Wenn man sich so nackt stellt, ist es fast schon wieder wie bekleidet. Wenn man ihn da sieht am Abend, ist er ein Schriftsteller, und man denkt einfach irgendwie gar nicht, das ist ja auch die Person, die er beschreibt. Es stimmt ja auch nie ganz, das wissen wir ja. Es ist in dem Moment, wo man schreibt, wo man erinnert, immer auch eine Fiktion, das ist gar keine Frage.
    Schäfer-Noske: Volker Hage war das. Er war gestern Abend dabei, als Karl Ove Knausgård in Hamburg den neuesten Band seiner Romanreihe vorgestellt hat.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.