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"Kasimir und Karoline" an Berliner Schaubühne
Wenige soziale Charaktere, viele Effekte

Es sind vor allem Einzelschicksale, die den österreichisch-ungarischen Autor Ödön von Horváth faszinierten. Sein Münchner Oktoberfeststück "Kasimir und Karoline" wurde jetzt an der Schaubühne in Berlin neu inszeniert - von dem jungen Schauspiel- und Opernregisseur Jan Philipp Gloger.

Von Hartmut Krug | 07.11.2014
    Horvaths Volksstück über Menschen, die mit ihren echten Gefühlen im falschen Leben scheitern, wird derzeit allerorten auf die Bühnen gebracht. Denn sein "Kasimir und Karoline" zur Zeit der Weltwirtschaftskrise 1929 auf dem Münchner Oktoberfest spielendes Stück wird durchzogen von Sätzen, in denen die Menschen das wirtschaftliche System verantwortlich machen für die Schlechtigkeit der Menschen und ihr eigenes elendes Leben. Da Kasimir gerade arbeitslos geworden ist, glaubt er, seine Freundin Karoline liebe ihn nicht mehr. Obwohl die nur ihren Spaß haben will auf dem Fest und die schlechte Laune ihres Freundes einfach nicht gebrauchen kann.
    Karoline: Wenn du so traurig bist, dann werd ich auch traurig.
    Kasimir: Ich bin kein trauriger Mensch.
    Karoline: Doch. Du bist ein Pessimist.
    Kasimir: Das schon. Ein jeder intelligente Mensch ist ein Pessimist. Du kannst natürlich leicht lachen. Ich habe es dir doch gleichgesagt, dass ich heut unter gar keinen Umständen auf dein Oktoberfest geh. Gestern abgebaut und morgen stempeln, aber sich heute amüsieren, vielleicht sogar noch mit lachendem Gesicht.
    Karoline: Ich habe ja gar nicht gelacht.
    Wer dieses Stück heute inszeniert, um zu zeigen, wie die Ökonomie durch den Neoliberalismus alles, auch jede menschliche Beziehung bestimmt, der muss das "HEUTE", in dem laut Horvaths Vorspruch sein Stück spielt, genau bezeichnen. "Das Oktoberfest kann durch andere Kunstparadiese ersetzt werden", hat Horvath gesagt. Weshalb Christoph Marthaler vor zehn Jahren das Stück in einem Wartesaal hat spielen lassen, in dem die Menschen alles bunte Leben durch einen großen Guckkasten bewunderten. Also nichts wirklich wahrnahmen, sondern sich alles nur vorstellten.
    Regisseur Jan Philipp Gloger lässt nun an der Berliner Schaubühne die Welt ganz draußen vor, selbst wenn man die schmale und leere Spielfläche vor schwarzer Wand als Clubszenerie verstehen wollte. Vor dieser Wand stellt er die Figuren in Kürzestszenen aus. Ausgespart bleiben nicht nur die beiden leichtlebigen Mädchen, sondern auch etliche Jahrmarktsbesucher, die Schausteller und viele von Horvaths Kurzszenen. Dessen Oktoberfest mit Hau den Lukas, Rummelplatz und Schaubuden wird ebenfalls nicht gezeigt. Weshalb der Darsteller des Kasimir in einer recht albernen Szene sowohl den Mann mit Bulldogkopf als auch die am ganzen Körper behaarte Juanita im leeren Raum vorzappeln muss.
    Moritz Gottwald ist als Kasimir ein zappelig melancholischer Denker, Jenny König eine lebensfroh liebe Karoline im schwarzen Glitzeroutfit. Wie sich die beiden erst in voller Verliebtheit aneinander klammern und dann durch ihre unterschiedlichen Wünsche auseinander treiben, das ist schauspielerisch durchaus ansehnlich. Und wie Sebastian Schwarz den kriminellen Merkl Franz wie einen prolligen Zuhälter hinstellt und seine auf High-Heels dahin lächelnde Freundin Erna abwechselnd drangsaliert wie erotisch betatscht, auch das überzeugt. Aber wie alles Schauspielerische eben nur rein handwerklich. Vollends zum Problem wird die irgendwie zeitlos heutige, sich zugleich irgendwie an Horvath orientierende Figurengestaltung dann beim Kommerzienrat Rauch dem Regierungsrat. Die beiden geilen älteren Herren werden als historische Karikaturen gezeigt. Zwar schaffen es vor allem Robert Beyer als Rauch, aber auch Ulrich Hoppe in der Streitszene mit seinem Freund, uns zu erheitern, - aber ihre Figuren agieren im zeitlosen sozialen Raum. Regisseur Gloger traut dem alten Horvath-Text leider nicht, aber er schafft ihm keine neue soziale Wirklichkeit.
    Dabei werden sogar Horvaths Szenenanweisungen sowie die Liedtexte auf die Wand projiziert. Doch sehen wir weder die Szenen so, wie sie beschrieben sind, was oft zu unfreiwilliger Komik führt, noch hören wir die alten, Stimmung machenden und kommentierenden Lieder. Dafür hat Kostia Rapoport eine elektronische Geräuschmusik geschaffen, die mit elektronischer Beliebigkeit laut aufraunt:
    Bei Horvath verraten sich die Menschen durch ihre Sprache. Bei ihm sind Sehnsuchtssätze Sprengfallen, und Fragen wirken wie Absagen. Mit Horvaths Sprache, mit ihrer melancholischen Genauigkeit und, ja, auch Brutalität wissen Regisseur Gloger und seine Schauspieler allerdings nicht viel anzufangen. Wenn Karoline am Schluss resigniert, dann liegt sie betrunken am Boden und stößt ihre Sätze nicht existenziell versonnen, sondern demonstrativ heraus:
    "Man hat halt oft so eine Sehnsucht in sich – aber dann kehrt man zurück mit gebrochenen Flügeln und das Leben geht weiter, als wär man nie dabei gewesen."
    Und schon trappelt der Zuschneider Schürzinger als komische Figur auf den Knien herbei und erklärt uns überdeutlich, wie elend es Karoline mit ihm wohl haben wird. Was bei Horvath die Sprache vermittelt, das müssen bei Regisseur Gloger ihre Handlungen tun. Die allerdings ihre Figuren in keiner Weise sozial charakterisieren, sondern eher auf Effekte setzen. Und so langweilt man sich bald in der kaum anderthalbstündigen Inszenierung.