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Katholikentag 2016
"Ausgegrenzt wird hier niemand"

Am Mittwoch beginnt der 100. Katholikentag, diesmal findet er in Leipzig statt. Organisiert wird das Großtreffen engagierter Laien vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK). ZdK-Präsident Thomas Sternberg erklärt im Gespräch, warum der Islam ein zentrales Thema ist, was an Leipzig reizt und warum er die Entscheidung, AfD-Politiker nicht einzuladen, immer noch für richtig hält.

Thomas Sternberg im Gespräch mit Christiane Florin und Benedikt Schulz | 23.05.2016
    An der Spitze der katholischen Laienbewegung in Deutschland steht in den naechsten beiden Jahren der CDU-Politiker Thomas Sternberg. Die Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken waehlte den 63-jaehrigen Landtagsabgeordneten am Freitag (20.11.2015) in Bonn zum Nachfolger von Alois Glueck (CSU), der den Posten seit 2009 innehatte.
    Thomas Sternberg (CDU), Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK). (imago / epd)
    Benedikt Schulz: Welche Bedeutung der Katholikentag noch hat, darüber wollen wir sprechen mit Thomas Sternberg, er ist Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, dem Träger und Organisator des Katholikentags - er ist uns aus Münster zugeschaltet - Herr Sternberg, Guten Morgen!
    Thomas Sternberg: Guten Morgen, Herr Schulz.
    Schulz: Herr Sternberg, die Zahl 100 fordert regelrecht dazu auf, einen Blick in die Geschichte zu werfen. Der erste Katholikentag fand im Jahr 1848 statt, mitten in einer revolutionären Zeit, damals ging es in Mainz um knallharte politische Forderungen - worum geht es im Jahr 2016 in Leipzig?
    Sternberg: Ja, auch 2016 haben wir wieder sehr wichtige politische Themen auf der Agenda. Wenn ich denke, wie das Zusammenleben in Deutschland gefährdet wird durch populistische Äußerungen über Islam, über Zuwanderung, wie wir in Europa unseren europäischen Zusammenhalt zu verlieren drohen. Das sind schon absolut wichtige, große Themen, die wir zu beraten haben.
    Schulz: Ihr Leitwort auf diesem Katholikentag lautet: Seht, da ist der Mensch - ist das nun sehr umfassend oder ist das sehr nichtssagend?
    Sternberg: Ja, das ist einerseits natürlich sehr umfassend und könnte im Grunde genommen ein Motto sein für alle Katholikentage, die bisher waren, nur seine wirkliche Brisanz bekommt das ja eigentlich dadurch, dass es sich um ein Zitat aus dem Johannesevangelium handelt, mit dem Pilatus den gefolterten Jesus präsentiert, und er präsentiert diesen Gefolterten, den Leidenden mit dem Hinweis: Das ist der Mensch - Seht, da ist der Mensch. Und unser Blick auf den gefolterten, auf den leidenden Menschen ist zugleich für einen Christen der Blick auf seinen Herrn und Gott.
    Schulz: Wenn man sich die vergangenen Katholikentage anschaut, hat man jetzt nicht den Eindruckt, dass da knallharte Politik noch gemacht wird, sondern dass das Programm immer sehr umfassend ist, wenn nicht gar ein bisschen - ich sag's jetzt mal bösartig - beliebig ist. Was ist von den Katholikentagen der vergangenen Jahre überhaupt noch im Gedächtnis geblieben?
    Sternberg: Wenn man mal einen Blick in das schöne Buch, das Hubert Wolf zu den Katholikentagen gemacht hat, wirft und sieht, was in den Katholikentagen jeweils als Zeitansage zum Thema gemacht wurde, dann sieht man schon, dass die ihren wichtigen Ort in der Zeit gehabt haben, nur ein Unterschied ist ganz wichtig: Katholikentage waren im Anfang die Selbstverständigung von katholischen Vereinigungen, Verbänden - zunächst übrigens Männern - auf die Fragen der politischen Gegenwart. Das wird heute eher in den Stellungnahmen und Entscheidungen des Zentralkomitees in den Vollversammlungen gemacht. Im Katholikentag präsentiert sich ein pluraler, vielfältiger Katholizismus, der auf der Basis der Entscheidungen und der Festlegungen, die in den Vollversammlungen getroffen wurden, seine Themen aufarbeitet.
    Christiane Florin: In dem eben erwähnten Buch von Hubert Wolf ist auch von dem legendären Katholikentag 1968 in Essen - ausführlich die Rede. Da hieß ein Slogan, der auf Transparenten von Frauen hochgehalten wurde: Wir reden nicht über die Pille, wir nehmen sie. Aktueller Anlass war damals die Enzyklika Humanae Vitae unter anderem zur Empfängnisverhütung, ist so viel Protest eigentlich noch vorstellbar oder sind die katholischen Laien, auch die jungen, brav geworden?
    Sternberg: Es hat sich unendlich viel verändert seit '68, '68 markierte einen ganz eindeutig feststellbaren Bruch, einen Bruch zwischen der Lehramtsverkündigung in Fragen von Sexualmoral, Partnerschaft und Ehe, und im Leben der Gläubigen - übrigens ein Bruch, der eigentlich erst jetzt mit der Schrift "Amoris laetitia" begonnen wird zu heilen, wo man plötzlich erkennt, hier nähert sich das Lehramt wieder an das Leben der Gläubigen an, dieser Bruch ist '68 im Katholikentag ganz, ganz deutlich geworden. Nein, braver nicht geworden, nur die Frontstellungen, die damals '68 galten, hier ein aufmüpfiges Laientum und dort ein ziemlich betonierter Episkopat, das sind nicht mehr die Fronstellungen, die wir heute haben. Heute geht es eher um die Frage, wie können wir als katholische Kirche mit etwa dreißig Prozent Bevölkerungsanteil gemeinsam mit unseren evangelischen Glaubensgeschwistern - also etwa sechzig Prozent Bevölkerungsanteil - unsere Themen vermitteln, durchsetzen, wie können wir werben, für das, was uns trägt, und für unsere Positionen. Das geht nicht mehr mit Hierarchie, das geht nicht mehr mit Durchsetzen, das geht nicht mehr mit Gewalt, sondern das geht mit Überzeugung, mit klarem Auftreten und mit Diskussion und Debatte.
    Florin: "Unsere Themen" sagten sie gerade, welche sind das?
    Sternberg: Ja unsere Themen - zum Beispiel war das im vergangenen die große Doppelgesetzgebung Palliativmedizin, Hospizversorgung und die geschäftsmäßige Assistenz beim Suizid, die sogenannte Sterbehilfedebatte. In dieser Debatte haben Kirchen, glaube ich, schon sehr viel beizutragen gehabt, aber eben im geduldigen Erklären und Argumentieren.
    Schulz: Werfen Sie für uns einen Blick nach vorne auf die kommende Woche, auf die jetzt laufende Woche - was denken Sie wird bleiben vom 100. Katholikentag in Leipzig, welcher Satz wird im Gedächtnis bleiben?
    Der 100. Deutsche Katholikentag findet vom 25. bis 29. Mai 2016 unter dem Leitspruch "Seht, da ist der Mensch" in Leipzig statt.
    Der 100. Deutsche Katholikentag findet vom 25. bis 29. Mai 2016 unter dem Leitspruch "Seht, da ist der Mensch" in Leipzig statt. (picture alliance / dpa / Jan Woitas)
    Sternberg: Zwei Themen werden sicherlich im Gedächtnis bleiben: einmal die Frage des Dialogs mit dem Islam; wir werden in der Vollversammlung vor dem Katholikentag, also morgen schon, einen Text präsentiert bekommen von unserem Arbeitskreis Christen und Muslime zum Thema Gewalt in Bibel und Koran, Gewalt bei Muslimen und Christen, der eine ganz eindeutige Absage an die Gewalt darstellt, übrigens unterschrieben von prominenten Muslimen in diesem Land, das hoffentlich zu einer Versachlichung der öffentlichen Debatte beitragen wird. Und zum anderen die große Frage der Positionierung von katholischer Kirche in einer sehr stark säkularen Umwelt, unser Themenbereich Mit und ohne Gott, - in einer Stadt, in der 4,3 Prozent katholisch sind, knapp 20 Prozent überhaupt getauft, allerdings stark wachsende Gemeinde - wie kann man sich in einem solchen Umfeld glaubhaft präsentieren und wie kann man da die Frage von Gott wachhalten.
    Florin: Herr Sternberg, Thema werden diejenigen sein oder sind schon diejenigen, die nicht auf dem Katholikentag sind. Sie haben Anfang Februar die AfD ausdrücklich von Podien ausgeschlossen. Jetzt haben wir einige Landtagswahlen später, tut Ihnen das leid?
    Sternberg: Das Ganze ist ein viel älterer Beschluss, der stammt schon aus dem letzten Herbst, als die Programme endgültig gemacht wurden. Damals ging es um Fragen der Flüchtlinge. Da die Katholikentagsleitung die Referenten bei den großen Podien aussucht nach der Frage, was man qualifiziert zum Thema beizutragen hat, und nicht etwa Parteiführungen einlädt oder Parteien einlädt, hat man damals gesagt, wir sehen bei der AFD nichts, was ein qualifizierter Beitrag zur Flüchtlingsfrage sein könnte. Deshalb hat man damals gesagt, wir werden die vielen Hunderttausenden katholischen und evangelischen Männer und Frauen, die sich in der Flüchtlingsarbeit ehren- und hauptamtlich engagieren, nicht dadurch düpieren, dass wir diesen Parolen eine Plattform, ein Podium bieten. Natürlich kommen die Themen vor, natürlich wird mit AfD-Mitgliedern auch gestritten. Ich selber habe gerade ein großes Gespräch mit Gauland gemacht, aber das heißt noch nicht, dass die auf den Podien des Katholikentags vertreten sein müssen.
    Schulz: Also tut es Ihnen nicht leid?
    Sternberg: Wie gesagt, man kann die Sache so oder so entscheiden. Ich stehe zu der Entscheidung, die ich übernommen habe, und ich halte die auch sehr vertretbar.
    Florin: Sie haben es gerade selber angesprochen und es ist auch im Editorial der "Zeit"-Beilage "Christ und Welt" zu lesen, es wird in dieser Woche ein Streitgespräch erscheinen zwischen Ihnen und Herrn Gauland. Warum setzen Sie sich mit einer Zeitung mit einem AfD-Mann zusammen, auf einem Katholikentag, der auch Forum sein will, aber nicht?
    Sternberg: Ich habe bei der Planung, in die ich natürlich im Detail auch gar nicht eingegriffen habe, kein Forum gefunden, in dem ein solches Gespräch sinnvoll gewesen wäre, man hätte das Ganze natürlich als große Schauveranstaltung auch auf dem Katholikentag machen können, why not. Aber ich weiß auch nicht, was das bringt. Wir haben in den Prinzipien der Katholikentagzusammenstellung immer die Regel gehabt, dass man über Themen, über Sachfragen diskutiert und nicht möglich kontroverse Stimmen aufeinanderhetzt. Hier gilt nicht das Talkshowprinzip, sondern hier gilt das Prinzip, der gemeinsamen Suche nach der besten Lösung.
    Florin: Aber das ist das schon mal anders gewesen, es gibt ja in der katholischen Kirche Christen, gerade auch Publizisten, die zum Beispiel sehr deutlich gegen die Homo-Ehe schreiben, gegen Gendermainstreaming, gegen das geltende Abtreibungsrecht. Da gibt es inhaltlich durchaus Schnittmengen mit der AfD und in Regensburg waren einige von diesen Katholiken ja auch auf Podien, in Leipzig nicht. Kommen nur diese Personen nicht vor oder tatsächlich auch diese Positionen nicht?
    Sternberg: Soweit ich sehe ist hier keine Position wirklich ausgegrenzt oder ausgeschaltet worden, es sei denn, es sind wirklich eindeutig menschenfeindliche Parolen, die auf einem Katholikentag so nichts zu suchen haben. Ausgegrenzt wird hier niemand und ausgegrenzt ist auch niemand worden. Ich finde, man sollte die Sache auch nicht zu hoch ziehen. Wir haben hier eine Sammelbewegung, die eine Partei werden kann, aber zurzeit noch keine Partei ist, Frau Petry hat nur einen einzigen Wunsch: Möglichst jeden Tag auf der Titelseite einer Zeitung gemeinsam mit andern Parteiführern zu stehen. Wenn Sie wieder lesen, was heute an Unfug auf den Zeitungen steht, dass sie (Frauke Petry) Probleme hat überhaupt mit dem Kopftuch in diesem Land. Ich frag mich, wie man in den bayerischen Dörfern mit den alten Frauen nächstens umgeht.
    Florin: Aber es ist eine Partei, die zweistellige Wahlergebnisse erzielt. Sie sind auch noch Politiker, CDU-Politiker in Nordrhein-Westfalen. Das kann Sie doch nicht zufrieden stellen zu sagen: "Die kommen jetzt hier nicht vor, wir möchten denen kein Podium bieten". Sie möchten der denen doch sicher auch was entgegensetzen.
    Sternberg: Frau Florin, wir haben einen sogenannten "Weißen Fleck", das ist eine Veranstaltung, die noch gefüllt werden kann bis zum letzten Tag. Wir sind gerade dabei ganz aktuell eine Veranstaltung vorzubereiten mit unseren Freunden und Partnern aus den europäischen Nachbarländern, aus Frankreich, aus Österreich, aus Polen und Ungarn, in denen wir die Frage stellen, wie das mit rechtspopulistischen Bewegungen und dem neuen Aufkommen von Nationalismus ist und wie wir als katholische Männer und Frauen damit umgehen. Das heißt diese Themen werden selbstverständlich sehr intensiv behandelt und kommen vor. Aber das heißt noch nicht, dass man deswegen das Spitzenpersonal hier auf die Podien holen müsste, noch in letzter Minute. Und was die zweistelligen Wahlergebnisse angeht, ich bitte da doch um Vorsicht. Der hohe Prozentsatz ist in Sachsen-Anhalt erzielt, einem sehr kleinen Land, in dem vor einigen Jahren die DVU, die später mit der NPD fusionierte, mal 12,9 Prozent bekommen hat. In Baden-Württemberg sind die Republikaner zwei Jahre hintereinander mit zweistelligen Wahlergebnissen im Parlament gewesen. Also deswegen: Vorsicht, das kann alles eine wirkliche Partei werden, es kann aber genauso aufblühen und vergehen, wie es etwa die Piraten waren.
    Schulz: Das ZdK ist die Vertretung der in Verbänden organisierten katholischen Laien in Deutschland. "Laien", dieses Wort klingt nicht so selbstbewusst. Wie selbstbewusst sind Sie?
    Sternberg: Wir sind da schon ganz selbstbewusst. Dieser Ausdruck Laien ist eine Merkwürdigkeit in der katholischen Kirche. Unter Laien werden sogar hochqualifizierte Theologieprofessoren angesehen, wenn sie nicht eine klerikale Weihe haben. Das kann man alles leicht abschwächen. Wir sind Gläubige, wir sind sehr selbstbewusst. Wir wissen, so wie der Papst in seiner Schrift "Evangelii Gaudium" geschrieben hat: Die Gläubigen sind zunächst einmal die weitaus größte Mehrheit des Gottesvolkes, in deren Dienst eine kleine Minderheit steht, nämlich die geweihten Amtsträger. Und ich glaube, das ist ein klares Selbstbewusstsein, mit dem man hier vertreten kann.
    Aber Sie haben vorhin gesagt, wir wären die Vertretung der Verbände. Das sind wir nur mit einem Teil. Traditionell ist das Zentralkomitee der Zusammenschluss der Vereine und Verbände, weil die in der katholischen Kirche immer eine entscheidende Rolle gespielt haben, auch noch spielen. Aber wir haben ein zweites Bein. Das zweite Bein sind die Räte und die Ratsvertretungen, das heißt, diejenigen, die vom Pfarrgemeinderat, der lokal gewählt wird, über die Diözesanräte in den Diözesen, dann als Delegierte in der Vollversammlung des ZdK vertreten sind. Das heißt, wir haben die Vertretung einerseits der gewählten Pfarreiebene und Gemeindeebene, und andererseits der Verbände, Einrichtungen, Organisationen.
    Schulz: Sprechen wir über die Minderheit in der Kirche, die Amtsträger. In der Geschäftsordnung des Zentralkomitees steht ja festgeschrieben, dass die Deutsche Bischofskonferenz die Wahl des Präsidenten bestätigen muss. Vor wenigen Jahren ist schon einmal ein Kandidat gescheitert am fehlenden guten Willen der Bischöfe. Die katholischen Laien, das war doch einmal eine Kontrastbewegung zur Amtskirche. Sie sind doch recht brav geworden inzwischen.
    Sternberg: Ach, dass das jemals eine Kontrastbewegung gewesen ist, glaube ich nicht. Ich bin immer der Meinung gewesen, dass das Zentralkomitee auch in seiner Geschichte nicht eine Art Personalvertretung oder Betriebsrat der katholischen Kirche ist. Mein Kirchenbild ist ein völlig anderes. Mein Kirchenbild ist so, dass wir als Christen einen Dienst zu leisten haben, auch an und in der Gesellschaft, auch in der Politik. Dieser Dienst ist gemeinsam zu erbringen. Und es machen die mit, die mitmachen. Ob die nun Bischof sind oder Kleriker, Ordensmann, Ordensfrau, ob das Mann, Frau, jung, alt ist. Die machen mit, die diesen Dienst mittun. Und wenn jemand zurückbleibt, bleibt er zurück. Das ist ein anderes Kirchenbild als die Vorstellung, es gebe hier eine geschlossene Laienschaft und dort eine geschlossene sogenannte Amtskirche. Diese Bilder funktionierten vielleicht einmal, aber heute sicher nicht mehr.
    Florin: Aber wie unabhängig können Sie sein, wenn bei einer so wichtigen Personalentscheidung die Bischofskonferenz ein entscheidendes Wort mitzureden hat?
    Sternberg: Dann müsste man auch fragen: Wie selbstständig sind unsere Bischöfe, wenn die Ministerpräsidenten der Länder zustimmen müssen? Normalerweise ist das ein Formalvorgang. Wie bei den Zustimmungen der Ministerpräsidenten zu den Bischofsernennungen auch. Dass es hier einmal so merkwürdig ausgegangen ist, das hat sehr spezifische eigene Gründe gehabt. Also ein absolut singulärer Fall.
    Abbildungen von bekannten Persönlichkeiten sind am 04.05.2016 in Leipzig (Sachsen) auf Transparenten zum kommenden Katholikentag zu sehen. Der 100. Deutsche Katholikentag findet vom 25. bis 29. Mai 2016 unter dem Leitspruch 'Seht, da ist der Mensch' in Leipzig statt.
    100 bekannte Persönlichkeiten zum 100. Katholikentag (dpa-Zentralbild)
    Florin: Wirkt dieser Schock nicht noch bis heute nach, disziplinierend?
    Sternberg: Ob er nachwirkt? Disziplinierend schon gar nicht. Ich habe ehrlich gesagt keine Probleme. Ich glaube, dass die deutsche katholische Kirche sich erheblich verändert hat durch die Jahre 2010, dem Jahr der großen Aufdeckung der Missbrauchsskandale und der Thematisierung dieser Missbrauchsskandale aus den 70er Jahren zumeist, und dann das Jahr 2014 mit der großen Diskussion über das Vermögen und das Geld der Bistümer. Diese Jahre haben aufgerüttelt, da hat es einen Gesprächsprozess gegeben der Deutschen Bischofskonferenz, der deutlich gemacht hat: Wir können miteinander diskutieren, wir können miteinander reden. Und übrigens nicht zuletzt auch unser wunderbarer neuer Papst, der eine Bewegung in die Kirche bringt, mit der wir vor einigen Jahren noch nicht rechnen konnten. Wenn ich denke: Wir hatten am 29. April in Münster den bundesweiten Tag der Diakonin. Da wurden die Frauenverbände immer schräg angesehen, dass sie hier mit einer solchen Vehemenz auf den Diakonat der Frau pochen. Und zwei Wochen später verkündet der Papst vor Ordensfrauen in Rom, dass er genau das jetzt etwas intensiver prüfen werde.
    Florin: Was hat er denn da genau in Rom verkündet? Er hat eine Kommission angekündigt, die diese Frage prüft. Mehr noch nicht. Meinen Sie, da kommt ein Diakonat für die Frau heraus, so wie das Diakonat für den Mann schon ist, also mit Weihe und allem Drum und Dran?
    Sternberg: Er will prüfen, ob das schon frühchristlich da war. In der katholischen Kirche spielt immer eine große Rolle bei Neuerungen, ob etwas eine wirkliche Novitas ist, also ein wirklich neuer Gedanke, oder ob es das schon mal gab. Das Zweite Vatikanische Konzil hat sich ganz wesentlich auf frühchristliche Positionen bezogen in der Argumentation für Erneuerungen. Es ist eine ganz wichtige Frage beim weiblichen Diakonat, ob es das schon gab oder nicht. Nachweislich gibt es bis ins Mittelalter - ich habe im 6. Jahrhundert noch eine Stelle, wo die Heilige Radegunde von Poitiers vom Bischof von Noyon offensichtlich mit Handauflegung geweiht wird. Diese Weihen gab es, und wenn man das jetzt prüft und feststellt: Diese Weihen gab es, dann sehe ich da schon einen Weg. Das Argument, der Frauendiakonat würde den Weg öffnen zum Priestertum der Frau, da glaube ich, steht diese Frage nicht zur Debatte im Moment. Und das Zweite Vatikanum hat auch die Zölibatsverpflichtung für einen Klerikerstand - für die Ständigen Diakone- aufgehoben. Und auch das hat keine Folgewirkungen gehabt bis heute.
    Schulz: Lassen Sie uns über die Laienorganisationen sprechen. Die verlieren, wie die katholische Kirche insgesamt, an Zulauf. Wo steht die Basis im Jahr 2016?
    Sternberg: Die Frage des Zulaufs ist eine schwierige. Ich habe manchmal den Eindruck, dass da etwas herbeigeredet wird, das so nicht immer stimmt. Die Zahl der Katholiken ist natürlich zurückgegangen, aber wir sind vor allem anteilsmäßig deutlich weniger geworden. Aber es gibt auch das andere: Wir haben uns hier im Westen angewöhnt, in den starken katholischen Regionen immer vom noch zu sprechen. Das geht noch und jenes geht noch. Wir sind diese Woche in Leipzig, in einer Stadt, in der die katholische Gemeinde sehr stark wächst. Die sind jetzt bei 4,3 Prozent, angewachsen von 3,8 in den letzten Jahren. Ich war vor ein paar Wochen bei einem Sonntagsgottesdienst dort, da sagt der Pfarrer: "Wir haben in der Messe eine Wiederaufnahme und eine Taufe, das ist bereits die sechste Taufe an diesem Wochenende." Das heißt, eine stark wachsende Gemeinde und es tut gut zu sehen. Glaube kann auch in diese Richtung gedacht werden. Glaube ist nicht etwas Aussterbendes, sondern unter neuen Verhältnissen nicht mehr milieugebunden, nicht mehr durch Umgebung eingefordert. Sondern als Überzeugungschristentum hat dieses Christentum, da bin ich fest von überzeugt, seine Zukunft.
    Florin: Zum Thema Wachstum hat der in Deutschland nicht ganz unbekannte frühere Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst an diesem Wochenende etwas gesagt. Der ist ja jetzt in Rom sozusagen für Wachstum zuständig. Der sagte, die religiöse Einweisung dürfe nicht auf das "Verkürzte oder das Kuschelige" reduziert werden. Hat er Recht? Ist der Katholizismus in Deutschland zu kuschelig.
    Sternberg: Die Äußerung kannte ich noch gar nicht. Danke für die Information.
    Florin: Er hat einen Vortrag gehalten in Rom.
    Sternberg: In einem Punkt ist es sicher richtig: Man darf das Christentum nicht reduzieren auf einen nur noch lieben Gott, dem einfach alles egal ist und auf ein Christentum, das nicht auch Widerständigkeiten und Reibungen hat. Der Glaube ist nicht reibungslos, es gibt Forderungen, Härten, Dinge, an denen man sich abarbeiten muss. Ich hoffe nicht, dass die große Klage des Hiob irgendwann einmal so wegargumentiert wird, dass man sagt, das ist alles völlig beliebig, völlig egal, völlig gleich. Das ist es natürlich nicht. Christentum ist ein Anspruch, und dieser Anspruch muss schon da sein. Sie haben eben den Ausdruck "Einweisung" gebraucht, schon der Ausdruck scheint mir etwas schwierig zu sein. Es geht mir eher darum, dass Christen deutlich machen, was sie trägt in ihrem sozialen Dienst. Und dass erst die Frage kommt, was sie trägt, und dann erst über Gott gesprochen wird und nicht primär, wie das in einigen Sekten üblich ist, zunächst einmal über Gott und über den Glauben gesprochen wird. Bei den Christen steht der Dienst an erster Stelle.
    Florin: Katholikentage waren auch immer der Ort für innerkirchliche Auseinandersetzungen. Es ging oft um die klassischen Reizthemen, wir haben sie angesprochen: Sexualmoral, Rolle der Frau. Ist jetzt mit Franziskus alles gut oder haben Sie auch Kritik an diesem Papst?
    Sternberg: Natürlich ist mit dem Papst nicht alles gut. Aber ich habe sehr wenig Kritik an diesem Papst. Wenn ich Kritik habe, dann die, dass ich die Hoffnung habe, dass diese wunderbaren Ankündigungen, die er macht und diese Bewegung, auch in Strukturen umgesetzt wird. Dass zum Beispiel das Stützen der Bischofskonferenzen auch einen Niederschlag im Kirchenrecht findet, denn die Bischofskonferenzen waren einmal vom Konzil theologisch verankert worden, wurden dann 1983 vom Kirchenrecht geradezu kurz gemacht. Das muss jetzt auch Niederschlag finden, das gilt für eine ganze Reihe weiterer Dinge, ich habe die große Hoffnung, dass er uns erhalten bleibt und dass es uns auch gelingt diese Bewegung in Strukturen umzusetzen.
    Schulz: Sie sind ausgebildeter Bäcker, in der Bibel gibt es ja diverse Anklänge ans Bäckerhandwerk, zum Beispiel im Sauerteig-Gleichnis, was können Sie davon heute noch gebrauchen als ZdK-Präsident?
    Sternberg: Ich bin immer sehr gerne Handwerker gewesen und eins ist mir ganz wichtig dabei, die große Vorsicht, unsrer Diskurse, unsrer Debatten, unsre Gespräche zu reduzieren auf einen Kreis, von denen, die das alles eigentlich besser wissen, besser reflektieren, oder zumindest glauben, dass so zu tun. Ich bin mir im Klaren darüber, dass Glaube etwas ist, der alle Menschen betrifft und der nicht nur in der theologischen Reflexion passiert, sondern der vor allem da passiert, wo Frömmigkeit, Glaube und Dienst praktiziert wird.
    Schulz: Herr Sternberg, vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.