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Kein Platz für Riten

Seit 1987 müssen staatliche Krankenkasse in Frankreich für Beschneidungen aus religiösen Gründen keine Kosten erstatten. Als Verstümmelung gilt der Akt in der öffentlichen Meinung aber nicht. Im Zuge der Debatte in Deutschland wird aber auch in Frankreich über Beschneidungen diskutiert.

Von Suzanne Krause | 20.07.2012
    Am vergangenen Dienstag moderiert Christophe Jakubyszyn beim Privatsender RMC, Radio Monte Carlo, die allmorgendliche Diskussionssendung mit den Hörern. Das Thema: die Debatte in Deutschland zur rituellen Beschneidung. Und RMC fragt seine Hörer, ob sie in Frankreich in Anbetracht der Rechte der Kinder für ein Verbot der religiös bestimmten Beschneidung männlicher Säuglinge wären. Per SMS nehmen viele an der gleichlautenden Umfrage teil: 82 Prozent sprechen sich für ein Verbot aus, berichtet Christophe Jakubyszyn, Redaktionsleiter bei RMC.

    "Ich wollte wissen, ob es auch in Frankreich zu einer solch hitzigen Debatte kommen könne, falls hier der richtige Nährboden, wie beispielsweise ein Gerichtsurteil wie das aus Köln, vorhanden wäre. Das Hörerinteresse an der Fragestellung war immens, bei der SMS-Umfrage stimmte die Mehrheit der Entscheidung des deutschen Gerichts zu, die religiöse Beschneidung Minderjähriger zu ahnden. Bei den Höreranrufen hingegen war, und das hatte ich erwartet, die Stimmung weitaus gemäßigter."

    Jakubyszyn verweist darauf, dass die männliche Beschneidung in der öffentlichen Meinung in Frankreich nicht als verstümmelnder Akt gilt. Viele muslimische Anrufer hätten jedoch Befürchtungen geäußert, dass eine ähnliche Debatte wie in Deutschland auch in Frankreich aufkommen könnte – mit dem Ziel, die muslimische Gemeinde einmal mehr negativ ins Rampenlicht zu stellen.

    "Bei der Umfrage und auf der Webseite von RMC haben sich massiv unsere Hörer aus der sehr rechten politischen Ecke eingebracht. Und für ein Beschneidungsverbot gestimmt, um damit Stimmung zu machen -gegen die Muslime im Land und keinesfalls gegen die jüdische Gemeinde."

    Beim Thema rituelle Beschneidung ist Linda Weil-Curiel Expertin. Die Pariser Anwältin vertritt seit nunmehr dreißig Jahren unzählige Opfer der weiblichen Genitalverstümmelung vor Gericht. Mit Erfolg. Weil-Curiel hat dazu beigetragen, dass die französische Präventionspolitik heute weltweit als federführend gilt. Mittlerweile gibt es im Land kaum noch neue Fälle von sexuellen Verstümmelungen – und sie werden von den Gerichten konsequent als Verbrechen geahndet. Auch die männliche Beschneidung ist in Frankreich gesetzlich verboten, gilt aber lediglich als Straftat.

    "Seit Langem erhalte ich immer wieder Anrufe von Männern, die in ihrer Kindheit beschnitten wurden und mich nun um juristische Hilfe bei einer Klage bitten. Leider aber ist da kaum etwas zu machen, weil einfach die Verjährungsfrist schon verstrichen ist. Das ist ein großes Hindernis."

    Ist die körperliche Unversehrtheit von Kindern bedroht oder beschädigt, müssen Ärzte in Frankreich die Fälle behördlich melden.

    "In Frankreich wurde 1987 per Dekret geregelt, dass die staatliche Krankenkasse für Beschneidungen aus religiösen Gründen keine Kosten erstattet. Mancher Arzt hingegen macht sich zum Komplizen religionsbewusster Eltern. Er stellt ein medizinisches Gutachten aus, laut dem der Eingriff wegen einer angeblichen Vorhautverengung notwendig sei. Da ereiferte sich eines Tages ein Mediziner: Es sei doch ein Unding, dass es im Land Millionen Fälle von Jungen mit Vorhautverengung gäbe. Ironisch wollte er damit klarmachen, dass viele Ärzte einfach das Gesetz umgehen."

    Eine Beschneidung aus religiösen Gründen hält Anwältin Weil-Curiel nur dann für gerechtfertigt, wenn der Betreffende sein Einverständnis geben kann. Also volljährig ist.

    "Diese Bereitschaft der Erwachsenen, Kindern, objektiv gesehen, wehzutun, kann ich nicht hinnehmen."

    Seit zwei Jahren mobilisiert ein winziger Verein in Frankreich gegen die männliche Beschneidung, getreu dem Vorbild der immer breiter werdenden Bewegung in den Vereinigten Staaten. Auf seiner Webseite präsentiert er das jüngste amerikanische Kampagnenposter. Es zeigt einen grimmig dreinblickenden Säugling. Umrahmt von den Worten: "Ihr wollt mir was wegschneiden? Da ziehe ich nach Deutschland um!"

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