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Kirchliche Akademien
Offene Debatte, geschlossene Häuser

In evangelischen und katholischen Akademien wird normalerweise über religiöse, ethische und gesellschaftspolitische Fragen diskutiert. Gesprächsstoff gäbe es gerade reichlich, aber die Umstellung auf digitale Formate fällt schwer.

Von Mechthild Klein | 04.05.2020
Die evangelische Akademie in Bad Boll (Baden-Württemberg), aufgenommen am 21.08.2012.
Die kirchlichen Akademien verlegen ihre Bildungsangebote wegen Corona ins Netz (Picture Alliance / dpa / Stefan Puchner)
"Abgesagt!" – "Die Tagung muss leider ausfallen." Oder: "Verschoben in den Herbst." Die meisten Veranstaltungen auf den Websites der evangelischen und katholischen Akademien sind derzeit gecancelt.
"Ja, das ist ja auch für uns eine Ausnahmesituation, diese Corona-Krise, die uns ja heftig erreicht hatte. Wir hatten ja ein schönes halbes Jahr geplant, mit überbuchten Tagungen. Wir mussten auf einmal ab Mitte März alles plötzlich absagen. Das war schon ein Schock, kann man sagen", sagt Stephan Schaede, Direktor der evangelischen Akademie Loccum in Niedersachsen.
25 Tagungen hat er gerade abgesagt. Aber nun habe sich die Akademie berappelt und versuche, die Bildungsarbeit anders auf die Beine zu stellen. Podcasts werden produziert, mit längeren Interviews. Und wie viele Akademien hat auch Loccum auf ihrer Website Blogs eingerichtet, in denen die Studienleiter über aktuelle Themen schreiben.
Digitale Formate sind für viele eine Herausforderung
Ähnlich sieht es auch in der evangelischen Akademie Bad Boll in Baden-Württemberg aus:
"Auf der anderen Seite müssen wir ständig viele Tagungen absagen und den Kontakt herstellen und versuchen, neue Termine zu finden, die dann im neuen Jahr stattfinden. Und zugleich sind wir dabei, und das ist eine Herausforderung für alle Akademien und für alle Bildungsträger, wie man im Moment digital unterwegs sein kann. Wo denn doch unser Markenzeichen ist, dass wir für Begegnung stehen, für persönliche Begegnung und Vernetzung stehen. Da sind wir alle Lernende", so Jörg Hübner, Direktor der ältesten deutschen evangelischen Akademie Bad Boll.
Er hat gerade alle Hände voll damit zu tun, die rechtlichen Fragen zu klären. Wie etwa Seminare und Tagungen digital stattfinden, ohne dass die Daten abgegriffen werden können. Wichtig sei ihm auch die Teilhabe der Menschen im Digitalen, die Interaktivität. Doch bis Mitte Juni sind in Bad Boll alle Termine weitgehend abgesagt.
Hübner erzählt: "Wir sind jetzt dabei, zum Beispiel eine Tagung mit dem Sozialministerium vollkommen digital aufzustellen. Das ist eine große Herausforderung, weil dann eben eine Fülle von technischen Fragen zu stellen ist. Wir sind dabei. Aber wir merken auch, die Digitalisierung greift wirklich um sich. Und wir hätten vielleicht in der Vergangenheit noch stärker uns damit beschäftigen können."
"Eine Diskussion via Post ist halt einfach schwierig"
Alle Häuser der knapp 40 katholischen und evangelischen Akademien in Deutschland sind geschlossen. Teilweise bis Anfang Mai oder manche auch bis Mitte Juni. Einige Akademien schafften es, einen Teil ihrer Veranstaltungen digital anzubieten. So beispielsweise die Stadtakademie der evangelischen Kirche in Frankfurt unter dem Hashtag #SofaAkademie, aber auch die der atholischen Kirche in Frankfurt mit Joachim Valentin. Der Direktor der Akademie im Haus am Dom hat seine Einrichtung digital komplett neu aufgestellt. Er hat sich mit Zeitungen, Rundfunk und mit digitalen Plattformen vernetzt. Seine Podcasts oder Filme der kleinen Diskussionen finden sich auf Youtube und Spotify wieder. Offline erreicht die katholische Stadt-Akademie im Jahr rund 30.000 Leute.
Valentin sagt: "Die spannende Frage ist jetzt, ob wir unser Publikum, das verschiedene Altersstufen und Medien-Gebräuche umfasst, mit in den digitalen Dialog bekommen. Da haben wir ja so etwas wie eine Blasen-Situation, über die gerne auch geredet wird. Die Jungen sind auf Instagram, Tik Tok und Spotify. Die Alten, da sind wir froh, wenn wir sie mit Mail erreichen. Die müssen wir eigentlich anrufen. Dann müssen wir Post schicken. Das haben wir bisher nicht gemacht, weil eine Diskussion via Post halt auch ein bisschen schwierig ist."
Auch die Frankfurter Akademie im Haus am Dom setzt auf Web-Seminare – sogenannte Webinare, bei denen die Zuschauer via Handy-Bildschirm oder Laptop mitdiskutieren können, in einem digitalen, geschützten Raum. Rund 100 Leute könnten pro Seminar teilnehmen. Allerdings sei die technische Vorbereitung dafür umfangreich, sagt Joachim Valentin. Es laufe über Anmeldungen.
"Es ist auch nicht so einfach gegen Angriffe und Trolle zu verteidigen. Das ist im Moment unser Problem."
Die Akademien schärfen ihren Blick auf Soziales
Vor allem aber müssen die Akademien ihre Studienprogramme umarbeiten, die sie schon fertig hatten. Die Bildungshäuser haben zwar unterschiedliche Ausrichtungen, kritische Debatten möchten aber die meisten führen. Jetzt sei eine neue Streit- und Debattenkultur gefordert, sagt Joachim Valentin:
"Ich glaube, das fängt jetzt schon an, und ich glaube, dass vieles heute anders gesehen wird, auch soziale Fragen. Wer ist wichtig in unserer Gesellschaft? Die Lebensmittel-Verkäuferin, der Müllfahrer oder der Hedgefondsmanager? Ich glaube, dass die Debatten geführt werden und auch nachhaltig geführt werden müssen, damit wir nicht, wenn alles rum ist, wieder in denselben Trott verfallen wie vorher. Die Gefahr ist, glaube ich, relativ hoch. Dann hätten wir wenig gelernt aus der Krise."
Kassiererinnen mit Schutzmasken in einem Supermarkt in Jena.
Die Akademien wollen vermehrt die Frage danach stellen, wer unsere Gesellschaft trägt (imago images/Kevin Voigt/Xinhua)
Ähnlich sieht es sein Kollege Michael Reitemeyer vom Ludwig-Windthorst-Haus, der katholischen Akademie im niedersächsischen Lingen.
"Die Art und Weise wie wir wirtschaften werden wir im Ausklang dieser Krise, beziehungsweise auch jetzt schon, noch einmal sehr, sehr sorgfältig unter die Lupe nehmen müssen. Wir müssen sehr genau gucken, welche Menschen warum durchs Raster gefallen sind. Ich denke da an die vielen Kulturschaffenden", so Reitemeyer.
"Wie groß ist die Systemrelevanz der Kirche?"
Doch nicht nur die gigantischen Ausgaben rücken in den Blick, wenn der Bund in Deutschland Milliarden Euro als Corona-Krisenhilfe umverteilt an Wirtschaft und Unternehmen. Die Verteilungsgerechtigkeit wird ein zentrales Thema für die Akademien sein, denn die Kosten werden vermutlich an die Steuerzahler zurückgegeben.
"Ich glaube, dass wir natürlich diskutieren werden und diskutieren müssen über die Frage: Was ist in unserer Gesellschaft wie viel wert", sagt Stephan Loos, Direktor der Katholischen Akademie in Hamburg. Wichtig sei aber auch ein neuer Blick auf die Kirchen selbst, eine innerkirchliche Diskussion.
"Ich konnte nicht vernehmen, dass es gesellschaftlich einen großen Aufschrei darüber gab, dass wir jetzt wochenlang keine Gottesdienste feiern konnten. Wir werden aber auch uns fragen müssen auf kirchlicher Seite: Wie groß ist denn die Systemrelevanz der katholischen Kirche für diese Gesellschaft?"
Das heißt nicht, dass es eine Krisen-Theologie braucht oder gar eine Corona-Dogmatik, sagt Loccumer Akademie-Direktor Stephan Schaede: "Ich glaube, dass die evangelische Theologie, die Kirche, ganz gut gewappnet sind, um mit Krisen umzugehen. Was wir brauchen, ist allerdings eine starke theologische Deutung der Krise aus verschiedenen Perspektiven heraus."
Die Akademien hoffen auf die baldige Rückkehr zu den Face to Face-Begegnungen vor Publikum. Eines ist jetzt schon sicher: Die digitale Begleitung und die neuen Formate werden Teil der Akademiearbeit bleiben. Es ist auch eine Aufwertung des heimischen Sofas.