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Klangbrücken
Vom Maghreb nach Europa

Während Grenzen eher verstärkt als abgebaut werden, bauen Musiker Klangbrücken vom Maghreb nach Europa. Dazu gehört die in einem Flüchtlingscamp aufgewachsene Aziza Brahim, die marokkanische Sängerin Oum und das Avram Ensemble um Schirin Partowi.

Von Thekla Jahn | 01.07.2016
    Die Sängerin Aziza Brahim
    Die Sängerin und Musikerin Aziza Brahim (Deutschlandradio / Thekla Jahn)
    "Die Ney ist eigentlich Wüste pur. Wenn man die hört, taucht man sofort ab in eine ganz weite, meditative Welt, in unglaublich schöne, dem Europäer eher mal fremde, aber sehr angenehme Klänge".
    Schirin Partowi, die im Iran geborene und in Deutschland aufgewachsene Sängerin und Musikerin, spürt mit ihrem Avram Ensemble dem nach, was die Menschen, die Kulturen verbindet. Gerade in Zeiten, in denen sich die Völker, die Religionen wieder voneinander entfernen, sei es wichtig Klangbrücken zu errichten. Und genau daran arbeitet nicht nur diese multiethnische Gruppe, sondern auch die marokkanische Sängerin Oum und die aus der Westsahara stammende Musikerin Aziza Brahim
    Musik "Sultaniyegah" – Avram
    Orientalische, sephardische und spanische Musiktraditionen finden beim Avram Ensemble zueinander – eine Reminiszenz an das multikulturelle, mittelalterliche Andalusien. Damals - nach der islamischen Eroberung im 8. Jahrhundert - lebten in Südspanien Juden, Moslems und Christen bis zur Reconquista im 15. Jahrhundert friedlich zusammen: ein Schmelztiegel und eine Blütezeit der Kulturen. Heute, und noch dazu in einer globalisierten Welt, sei das völlig anders:
    "Es ist eine unglaubliche Einseitigkeit und Armut in der Kultur und darin wachsen ganze Generationen auf. Es wird unendlich viel Musik konsumiert, weil Musik ein Weg über die kleinen engen Grenzen hinaus ist, aber es findet sich sehr wenig Vielfalt."
    Kultureller Reichtum
    Doch wer möchte, kann sie finden, die Musik, die den Blick weitet. Das Avram Ensemble lebt vom kulturellen Reichtum seiner Mitglieder, die aus Marokko, aus Israel, dem Iran und Deutschland stammen und in unterschiedlichen Musikgenre zuhause sind.
    Die Sängerin und Musikerin Schirin Partowi, rechts und links je drei Musiker des Avram Ensembles
    Das Avram Ensemble um die Sängerin und Musikerin Schirin Partowi (Schirin Partowi/Artur Wiens)
    Avram – der Name des Ensembles – kommt übrigens von Abraham und Abraham war der Vater aller drei monotheistischen Religionen: des Judentums, des Christentums, des Islam. Das Avram Ensemble sucht nach den Gemeinsamkeiten und die finden sich in alten Schriften, Dichtungen, auch im Alten Testament: z.B. im Hohelied der Liebe von König Salomon, das Schirin Partowi zu dem Stück Hinach Yafa inspirierte.
    Auf der Suche sein
    "Hinach Yafa spricht davon, dass sich zwei Liebende suchen. Und dieses: auf der Suche sein, Getrenntsein vom anderen, in großer Sehnsucht sich befinden, das ist ja ein unglaublich aktuelles Lebensthema, das kennt jeder. In der Liebe erlebt sich jeder stark und das ist ein wunderbares Bild für das, was eben auch das ganze Menschsein prägt, dieses: seine Liebe suchen, Ganzsein, sich verbinden mit der Welt und in Glück und Zufriedenheit zu sein."
    Der Text des Liedes ‚Hinach Yafa‘ beginnt im hebräischen Original und geht dann über in die arabische Übersetzung.
    Musik "Hinach Yafa" – Avram
    "Das Arabische ist sehr melodiedominiert, es gibt keine Mehrstimmigkeit. Es gibt eigentlich das Harmonische in der uns bekannten Weise dort nicht. Es gibt ein starkes rhythmisches Element und das Melodische und von daher kommt das Harmonische als neues Element eigentlich dazu."
    Eine Symbiose, die beide Musiktraditionen bereichert.
    Unzählige Tonarten
    "Die orientalische Musik ist ganz stark geprägt von den Tonarten. Es gibt unzählig viele Tonarten. Das ist bei uns ja armselig mit Dur und Moll und unseren Kirchentonarten, die wir aus der alten Musik kennen. Also da gibt es einen unendlichen Reichtum und eine unglaubliche Vielfalt."
    Und so entstehen die Stücke von Avram: zu europäisch geprägten harmonischen Gerüsten suchen die orientalisch orientierten Musiker die passenden Tonarten. Gelebtes, gespieltes Miteinander.
    Musik "Buscando La Paz” – Aziza Brahim
    Auch Aziza Brahim sucht mit ihren Musiker nach gemeinsamen Wegen und mit ihren Texten nach Frieden.
    Dieses Volk will Frieden.
    Es fordert ihn seit Jahrzehnten ein.
    Doch Jahr um Jahr
    scheint sich der besagter Friede
    weiter zu entfernen.
    Aziza Brahim gehört zum Volk der Sahrawi – ein Volk, das im Bewusstsein der Weltöffentlichkeit fast nicht mehr existiert. Einst Kolonie der Spanier, beanspruchte Marokko nach dem Tod des Diktators Franco das Gebiet der Westsahara und annektierte es weitgehend.
    "Die Hoffnung stirbt nicht"
    "Mein Volk wartet sein 40 Jahren auf eine Resolution, die den Westsahara Konflikt befriedet.Es ändert sich nur, ja nur tröpfchenweise etwas. Aber die Hoffnung stirbt nicht. Ich war nie in der Westsahara. Aber ich hoffe eines Tages, den Boden betreten zu können, auf dem meine Eltern und Großeltern geboren sind."
    Aziza Brahim selbst wurde in einem Flüchtlingslager geboren, in der Nähe der algerischen Stadt Tinduf. Dorthin flohen die Sahrawis 1976. Weit mehr als 170.000 Menschen leben noch immer in den Flüchtlingscamps.
    "Ohne eigene Perspektive"
    "Heute sterben viele Flüchtlinge im Meer, damals starben viele in der Wüste. Sie wurden brutal attackiert von den Marokkanern mit verbotenen Waffen wie Napalm und weißem Phosphor. Viele Kinder starben, Frauen und Männer. Oft, wenn ich Flüchtlingscamps wie Idomeni sehe, Syrer, die vom Stacheldraht daran gehindert werden nach Europa zu kommen, dann kommen all diese Ungerechtigkeiten, die schrecklichen Erlebnisse aus der Zeit, in der meine Familie im Camp lebt, wieder zurück."
    Die marokkanische Sängerin Oum steht am 11.11.2012 beim Taragalte-Festival in Mhamid El-Ghizlane im Süden Marokkos auf der Bühne am Mikrofon.
    Die marokkanische Sängerin Oum (AFP)
    Mittlerweile lebt Aziza Brahim in Spanien, sie fand einen Bürgen, dank ihrer Musik konnte sie das Lager verlassen. Zehn ihrer Geschwister und ihre Mutter sind nach wie vor in Tinduf – abhängig von Hilfsorganisationen, ohne eigene Perspektive.
    Musik "Calles de Dajla" – Aziza Brahim
    "In ‚Calles del Dajla‘ imaginiere ich eine Rückkehr der Sahrawi in ihr Land, die Westsahara und die Feiern der Unabhängigkeit in den Straßen von Dajla. Dajla ist die zweitwichtigste Stadt unseres Landes, das aktuell von Marokko okkupiert ist. Ich habe versucht, beim Komponieren die beiden Dajlas zusammenzubringen. Denn im Flüchtlingscamp in Tinduf haben die Straßen Namen der wichtigen Städte, die besetzt sind. Ich habe eine Melodie gewählt, die vereint und die sich über einen Desert-Rock legt."
    Wenn sich der Wind in die Wüste begibt, dann bewegt sich der Sand und es beginnt zu tönen. Nomadenvölker wie die Sahrawi lauschen den Schwingungen, spüren ihnen nach.
    Aziza Brahim hat das Lied des Sandes in eine Ballade gefasst mit arabischer Melodie.
    Töne der Sahara
    "Für mich war es wichtig, die Töne zu evozieren, die wir kannten, als wir noch als Nomaden frei in der Wüste umherziehen konnten. Und sie mit den Geräusche zu kontrastieren, die zu hören sind auf dem Weg von tausenden und abertausenden Emigranten, die von südlich der Sahara kommen –nach Europa."
    Musik "En el canto de la arena” – Aziza Brahim
    Im Lied des Sandes hallt das Metall der Ketten nach,
    das Geheul der Wellen
    und das Zischen des Stacheldrahtes an der Grenze.
    Im Lied der Dünen wird der Feuereifer der Schlachten wahrnehmbar,
    das Geplätscher der Brunnen
    und das Echo der alten Karawanen.
    Windrose – hebe an zu dieser Wehklage
    Wüstenrose – halte der Witterung stand
    Im Lied des Sandes
    dröhnen die Trommeln des Schmerzes.
    Mit ihnen beginnt das Gebet
    und die Stille der Vollmondnacht.
    Die Musik von Aziza Brahim wurzelt in der Tradition der Haul – der Nomaden der Westsahara - die bei uns in Europa nahezu unbekannt ist. Sie orientiert sich aber auch an der Tuaregkultur. Mit dem senegaleschen Perkussionisten Sengane Ngom, dem umtriebigen katalanischen Schlagzeuger Aleisch Tobias und den spanischen Gitarristen und Bassisten ihrer Band feilt sie an ihren multikulturellen Arrangements. Ihr Album ‚Abbar el Hamada‘ – ‚Durch die Wüste‘ – ist seit Monaten ganz oben in den World Music Charts, im Mai war es sogar auf Platz eins.
    Der Kampf der Frauen
    Aufgewachsen mit einer Großmutter, die eine der wichtigsten Poetinnen und Sängerinnen der Sahrawi und eine der Schlüsselfiguren im Freiheitskampf des Nomadenvolkes ist, glaubt sie an die segensreiche Kraft, die in der Solidarität von Frauen liegen kann.‘Baraka‘– hat sie deshalb eines ihrer traditionell inspirierten Stücke genannt.
    "Es ist ein Lied, das ich dem Kampf der Frauen gewidmet habe, weil Frauen ein Segen sind für diese Welt, weil wir pazifistisch sind, nicht alle, aber die Mehrheit ist friedliebend und versöhnlich.
    Musik "Baraka" – Aziza Brahim
    Sie spielen eine Rolle die Frauen
    überall auf der Welt,
    sie müssen Kinder bekommen,
    sie aufziehen, sie unterweisen
    Mit zweifelsohne bewundernswerten Kräften
    gebären sie Kinder
    oder auch nicht,
    ziehen sie auf und unterrichten sie
    Begeisterungsfähige Frauen
    trotzt in der Demokratie
    den historischen Widernissen
    in Einigkeit und Gleichheit
    Auf eine ganz andere Weise als Aziza Brahim steht die marokkanische Sängerin Oum für ein selbstbestimmtes Bild der Frau in Nordafrika.
    Angefangen hat Oum im Gospelchor, dann kam sie über Musikvideos zum Hiphop und zu R´n B. Auf ihrem aktuellen Album ‚Zarabi‘ webt sie aus traditionellen Rhythmen der Berber und Hassanimusik einen neuen, populären und von Jazzelementen durchwirkten Teppich: ‚Zarabi‘ eben – so heißen in Marokko neue Teppiche aus alten Textilien.
    Musik "Jini" - Oum
    Die Nacht, an deren Stimmung du erinnerst,
    Ist eine Welle, die ihr Salz auf dem Sand verteilt.
    Und die Nacht vergeht,
    und das Meer zieht sich zurück
    und ich verharre im Traum
    und empfinde das Salz, Anmut und Wonne
    Oum ist in Marokko ein Star. Für ihr Album ‚Zarabi‘ ging sie mit ihren Kollegen in die Wüste, um dort Musik zu empfinden - und zu erschaffen. Dominiert von der arabischen Laute Oud öffnen sich ihre Arrangements den Einflüssen anderer Kulturen wie etwa der karibischen, die im folgenden Stück immer stärker Raum greift. An den Perkussionsinstrumenten: der in Köln lebende Marokkaner Rhani Krisha und an der Trompete: der kubanische Jazzmusiker Yelfis Valdes.
    Musik " N´Nay" - Oum
    Rhani Krisha, der Perkussionist von Oum, spielt schon lange bei internationalen Touren in der Band von Sting, ist mit Jazzgrößen wie Klaus Doldinger aufgetreten, und beteiligt sich, neben vielen anderen Projekten, auch beim Avram Ensemble. Und das ist nur eine Verbindung der beiden. ‘N´Nay‘, das eben gehörte Stück von Oum, adaptiert den Text des Gedichtes ‚Höre die Ney‘ von dem persischen Mystiker Rumi. Auch das Avram Ensemble um Schirin Partowi läßt sich immer wieder von diesem Gelehrten und Dichter des 13. Jahrhunderts inspirieren.
    "Er sagt: Liebe, nur die Liebe. Wir haben kein anderes Werk. Das mag naiv klingen oder einfältig, aber wenn man ergründet, was dahinter steckt, ist es eine Lebenshaltung, die – so denke ich - der einzige Weg ist für den Menschen, das Leben gut zu gestalten."
    "Ich bin der Spurlose, der Uferlose"
    Aus diesem Gedanken heraus hat Schirin Partowi das Stück ‚Essence of Love‘ geschrieben.
    "Ich bin nicht Moslem, ich bin nicht Jude, ich bin nicht Parse, ich bin nichts von alledem. Mein Weg ist eben der, der keine Spuren hinterlässt. Ich bin der Spurlose, der Uferlose. Ich komme nicht vom Norden, vom Süden, vom Osten, vom Westen. Ich bin eigentlich die Seele, die ihren Geliebten sucht, und in dem bin ich ganz und in dem bin ich in meiner Kraft."
    Musik "Essence of Love” – Avram Ensemble
    Filigrane Klangbrücken zu bauen, sich über Melodien aufeinander zu zubewegen, den harmonischen Unterbau zu finden und über rhythmische Ideen die Brücke flexibel zu halten, schwingen zu lassen – das versucht das multiethnische Avram Ensemble ebenso wie die aus der Westsahara stammende Aziza Brahim oder die marokkanische Sängerin Oum. Dabei spielt die Wüste für alle eine große Rolle. Schirin Partowi:
    "Die Wüste ist ein ganz starkes Bild mit ihrer unerbittlichen Grausamkeit und die Wüste ist uns allen unglaublich nah gerückt. Wir haben Lebensfragen und Lebensaufgaben zu meistern, die uns alle ein stückweit in die Wüste schicken, wo man sich hinterfragen muss, wie es die Gelehrten und Mystiker immer schon getan haben. Ich muss erstmal in die Wüste gehen, um zu mir zu kommen.
    Musik "Hoch über alles Wissens Schranken" - Avram Ensemble
    Hoch über alles Wissens Schranken ist ein Gedicht des christlichen Mystikers Juan de la Cruz aus dem 17. Jahrhundert. Es beschreibt den Weg des Gelehrten, der merkt, dass er mit Philosophie und Theologie und aller Wissenschaft irgendwann an Grenzen stößt.
    "Es geht darum, eine Kraft in sich zu entwickeln, die Wege eröffnet. Das Leben ist Weg und auch wenn der Weg durch die Wüste geht, der geht auch aus der Wüste wieder raus."
    Musik "Sultaniyegah" – Avram
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