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Klangkunst in Münster
Videobäume und elektronische Musik

In Münster findet jeden Monat ein Picknick der besonderen Art statt: das audiovisuelle Picknick. Die Events werden meist in einem kleinen Club veranstaltet, in der vergangenen Woche kamen die Freunde der Installationskunst erstmals in einem Theater zusammen.

Von Sebastian Witte | 13.01.2014
    Wilko Franz und Sven Stratmann bauen Bäume. Sie sägen Äste aus Holzplatten und richten Beamer aus. Auf den stilisierten Gewächsen und einigen Leinwänden sollen später am Abend Filme und Grafiken laufen. Fünf Bäume werden dann beim Konzert auf der Theaterbühne stehen und mit Projektionen beleuchtet.
    "Diese Bastelei und Sachen zu bauen macht schon Spaß. Es ist ein Projekt, das einen handwerklich auch fordert."
    Für jedes audiovisuelle, kurz AV, Picknick bauen die beiden Münsteraner ein neues Bühnenbild. Jetzt sind sie mit ihrem Event zum ersten Mal in einem Theater. Hier ist alles viel größer, als in dem kleinen Club, indem sie sonst ihre Picknicks machen. Die Grundidee ist aber dieselbe. Die Zuschauer liegen auf Picknickdecken und zu experimenteller Live-Musik laufen auf den Objekten und Leinwänden Licht-Projektionen. Die Visuals. Diesen visuellen Anteil entwirft Sven Startmann.
    "Ich komme aus dem Bereich Film. Das, was ich hier mache, geht in die Richtung Motion Graphics. Wir versuchen, dass das nicht alles so elektronisch aussieht. Wir wollen auch organische Sachen dabei haben."
    Stratmann verändert live zur Musik die Filme, die auf den Installationen gezeigt werden. Er lässt sich dabei von den Konzerten inspirieren. Er sitzt am Laptop und lässt vorproduzierte Clips laufen. Die kann er dann mit einem Programm interaktiv verzerren und übereinander legen. Die Mischung aus Bild und Ton greift beim Picknick damit sehr gut ineinander. Die Künstler und Bands, die hier auftreten, unterstreichen zusätzlich das ungewöhnliche Konzept. Veranstalter Wilko Franz versucht diese Musik selbst zu beschreiben.
    "Wir haben viele Musiker, die ungewöhnlich sind für normale Konzert-Locations. Die Musik ist meistens eine Mischung aus elektronisch und akustisch. Wir suchen gezielt Sachen raus, die mit Bildern und Filmen funktionieren. Sehr viel ist instrumental. Wir streifen da Bereiche wie das neoklassische und viel elektronische Musik. Wir legen uns aber auch nicht fest."
    Der Pianist Martin Kohlstedt kommt grade im Theater an und baut seine Synthesizer auf. Er sitzt zwischen den zwei Meter hohen Sperrholz-Bäumen und freut sich auf das Picknick.
    "Bei meinen eigenen Konzerten ist es so, dass sich die Leute ihren Film im Kopf machen. Hier ist es glücklicherweise der Fall, dass sich hier ein Wald hochzieht. Man kann mit den Visuals anstiften zu Gedanken und das ist für mich heute das erste Mal, dass so viel vorgebaut ist."
    Die Musik der drei Künstler und Bands, die am Abend spielen werden, ist stellenweise verträumt, aber auch nicht leicht zu greifen. Ist das der Sound einer Subkultur oder der von hochkulturellen Theatergängern?
    "Ich würde sagen, wir befinden uns hier in einer Subkultur. Die Auswahl der Künstler geht heute in etwa eine Richtung. Alles sehr introvertierte Sachen. Was die Auswahl angeht, ist es heute eher E-Musik. Ich kenn das aber auch nur von der GEMA, darum will ich gar nicht viel Beisteuern zu der Unterteilung."
    Wilko Franz fällt die Differenzierung auch schwer. So richtig interessiert sie ihn aber auch nicht. Er freut sich einfach über die Möglichkeit das Pumpenhaus Theater nutzen zu können.
    "Es macht Spaß, dass man größere Sachen machen kann. Wir hatten auch Respekt davor, dass man hier ein paar mehr Leute für das Ganze begeistern muss. Aber es passt sehr gut zu unserem Projekt. Dieses theatrale Umfeld wird dem Ganzen schon sehr gerecht. Das ist für uns ein richtiger Luxus!"
    Noch bangen die Veranstalter am Nachmittag aber um die Zuschauerzahlen. Drei Tage haben sie hier im Theater aufgebaut und hoffen jetzt, dass genug Leute der Einladung zum Picknick folgen.
    Ein paar Stunden später füllen sich die Theater-Tribüne und der Picknickbereich aber schnell. Sven Stratmann steht zwischen den Videobäumen und kann noch nicht fassen, dass das Picknick fast ausverkauft ist.
    "Es sind total viele Leute da. Hat jede Erwartungshaltung gesprengt. Jetzt haben alle Picknickdecken mit und wollen auf dem Boden sitzen. Wir müssen gucken, dass wir alle Leute unter kriegen! Wir sind jetzt bei 200 Leuten. 250 sind das Maximum."
    Kurz drauf geht das Licht im Saal aus. Das Publikum besteht aus Zuhörern zwischen 20 und 40. Viele haben Picknickkörbe, Wein und Brot dabei. Das Konzert fängt an und die Leute starren gebannt auf die Leinwände, die Bäume und die Musiker. Zu hektischen Elektro-Sounds rotieren grafische Formen auf der Bühne. Die Bäume scheinen zu brennen und flackern im Takt. In der ersten Pause gibt es im Keller kleine Zaubershows und an der Bar legt ein DJ auf. Das Publikum ist angetan vom Gesamtkonzept.
    "Die Atmosphäre ist sehr gut und die Musik war schön. Die Leute essen, trinken, hören zu. Ist sehr entspannt. Wirklich ein Picknick."
    "Die Atmosphäre finde ich ganz prima. Mit diesen hellen Bäumen, die so leuchten. Das hat was Gespenstisches."
    Auch Wilko Franz genießt den Abend. Er ist sogar etwas erstaunt, dass so viele Leute grade bei der stellenweise sehr fordernden Musik zugehört haben.
    "Ich hoffe, dass sich die Leute entspannen können. Es ist einfach viel voller, als wir das sonst immer hatten. Heute mussten wir Leute nach Hause schicken. Ansonsten sollte man sich aber freuen!"
    Das AV Picknick im Theater funktioniert! Für Sven Stratmann und Wilko Franz ist klar, dass sich ihre kleine Nischenkultur auch hier behaupten kann. Für die beiden ein guter Start ins neue Picknick-Jahr. Der nächste Veranstaltungsort steht übrigens auch schon fest: Es wird ein Münsteraner Planetarium.