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Kolumbien
Reintegration für Ex-FARC-Guerilleros

Das Aussteigerprogramm der kolumbianischen Regierung richtet sich nicht nur an Ex-FARC-Mitglieder, sondern auch an Deserteure anderer illegaler bewaffneter Gruppierungen in dem Land. Die Behörden erwarten eine Vielzahl von Personen, die ihren Weg zurück in die Gesellschaft finden wollen.

Von Anna Marie Goretzki | 15.03.2014
    Eine kleine Autowerkstatt im Süden Bogotás. Vor der Tür schiebt sich der Verkehr der 8-Millionen-Einwohner-Metropole vorbei. Edwin repariert den Elektromotor einer Autolüftung. Der 30-Jährige hat sich auf Autoelektronik spezialisiert. Heute, in seinem zweiten Leben. Früher führte er ein illegales Leben im Namen des Terrors. Edwin war dreieinhalb Jahre FARC-Milizionär: Er lieferte den sogenannten "Revolutionären Streitkräften Kolumbiens" Informationen, die Menschen den Tod brachten, organisierte Geldtransporte und bewachte Minenfelder. Seit einem Jahr allerdings ist er sein eigener Chef, und - ganz legal:
    "Wenn ich hier so in meiner Werkstatt arbeite und jemand erfährt, was ich früher gemacht habe, gratulieren mir die Leute. Das ist schön. Obwohl ich bei der FARC war, Schlechtes getan habe, der Gesellschaft so geschadet habe.. Jetzt gehe ich einen anderen Weg und diene den Menschen. Aber ein schwarzer Fleck bleibt."
    Reintegrationsagentur bereitet auf gesellschaftliches Leben vor
    Dass Edwin heute als Autoelektroniker arbeiten kann, verdankt er der staatlichen Reintegrationsagentur. Sechseinhalb Jahre lang ist er in einem speziellen Wiedereingliederungsprogramm auf das Leben in der Gesellschaft vorbereitet worden: Er erhielt eine Ausbildung, ist von Psychologen begleitet und unterstützt worden und zum Schluss bekam er vom Staat ein Startkapital von rund 3000 Euro. Jetzt will er mit seiner neuen Freundin Jaqueline ein ganz normales Leben führen: Mittags bringt sie ihm jetzt immer das Essen in die Werkstatt.
    Edwin möchte nur mit seinem Vornamen genannt werden: Zu groß ist auch fast acht Jahre nach seiner Desertion die Angst vor der Guerilla-Organisation. Deswegen spricht er nur nach Feierabend über seine Zeit als FARC-Milizionär, und zwar auch erst dann, nachdem er den Rollladen der Werkstatt geschlossen hat und ein paar Straßen weiter zu Hause angekommen ist.
    Er setzt sich auf sein Bett, die einzige Sitzgelegenheit. Die große Narbe auf seinem Unterarm erinnert ihn immer wieder an seine FARC-Zeit:
    "Das ist passiert als ich einen Kurs besucht habe, um zu lernen, wie man Minen herstellt. Am ersten Tag haben wir mit Säuren hantiert. Man kocht sie in Pfannen und ich hatte Pech: und sie verbrannte mich.Was blieb, war die Verbrennung auf dem Arm."
    FARC: Wer abhaut, wird getötet
    Als Jugendlicher interessierte sich Edwin für Waffen. Sie waren es auch, die ihn auf die FARC aufmerksam werden ließen. Aber die Waffen waren nicht der einzige Grund, weshalb er sich verpflichtete. Gemeinsam mit drei Geschwistern wuchs er in einer sehr isolierten Gegend der Provinz Caquetá auf. Seit er arbeiten konnte, half er auf den Koka-Plantagen seines Vaters. Zukunftschancen sah er wenige. Sich der FARC anzuschließen, schien noch die beste Alternative zu sein. Als seine Freundin, die er bei der FARC kennenlernt, schwanger wird, beginnt Edwin umzudenken:
    "Da kapierte ich auf einmal und habe mich gefragt: was soll aus meinem Kind werden, wenn es auf die Welt kommt? Nein, Schluß, dachte ich.. Aber: Es gab kaum Optionen. Wir hörten von Desertionen, aber wir hörten auch: wer abhaut, wird getötet."
    Er und seine Freundin flüchteten trotz ihrer Angst. Die FARC an ihren Fersen. Er hört vom staatlichen Wiedereingliederungsprogramm und beschließt, sich den Behörden zu stellen und sich wieder in die Gesellschaft eingliedern zu lassen:
    Ausbildung und psychosoziale Beratungen
    "Das Ziel des Programms ist, sich ausbilden zu lassen, wieder zu einem Menschen zu werden, denn von den FARC kommt man als Tier zurück, das vom Leben in der Zivilgesellschaft nichts mehr weiß. Ich habe Erfolg gehabt, meine Ausbildung und die psychosozialen Beratungen abgeschlossen.”
    Am nächsten Tag besucht Mauricio Bermúdez Edwin in seiner Werkstatt. Der Psychologe war im letzten Abschnitt des Programms Edwins persönlicher Mentor. Es ist eine Art Abschiedsbesuch.
    "Ich glaube, dass das ein Reifungsprozess für Edwin war, er ist gewachsen. Er hat die Beziehung zu seiner Familie wieder hergestellt und gestärkt, durch seine Ausbildung hat er jetzt das nötige Wissen und die Fertigkeiten, um seine Firma zu führen.”
    Die Beziehung zur Mutter seiner zwei Kinder hat die Turbulenzen der vergangenen Jahre nicht überstanden. Den Kontakt zu seinen Kindern hält er dennoch aufrecht. Er spart für ein Haus, will seine Kinder eines Tages zu sich holen.
    Eingliederung gestaltet sich schwierig
    Das Aussteigerprogramm richtet sich nicht nur an Ex-FARC-Mitglieder, sondern auch an Deserteure anderer illegaler bewaffneter Gruppierungen in Kolumbien. Im vergangenen Jahr befanden sich in Kolumbien knapp 31.000 Personen im staatlichen Wiedereingliederungs-Programm. Eine erste Bilanz von Román Ortiz, ein spanischer Politologe und Sicherheitsexperte, der seit vielen Jahren in Kolumbien lebt, fällt dazu vorsichtig positiv aus:
    "Es ist sehr schwierig, Menschen wieder in das zivile Leben einzugliedern, die in vielen Fällen noch minderjährig waren, als sie sich der terroristischen Organisation angeschlossen haben, und zu deren zentralen Aufgaben es gehörte, Gräueltaten zu verüben. Aber wenn man diese ganzen Schwierigkeiten in Betracht zieht, dann, finde ich, muss man klar anerkennen, dass dieses Modell im Fall Kolumbiens ein echter Erfolg ist."
    Schätzungen zufolge sind noch rund 8.000 aktive FARC-Guerilleros aktiv. Nach einem möglichen Friedensbeschluss zwischen der kolumbianischen Regierung und FARC erwarten die Behörden eine Flut von Personen, die ihren Weg zurück in die Gesellschaft finden wollen. Ihnen möchte Edwin eines mit auf den Weg geben:
    "Macht es", sagt er. "Ihr riskiert keinerlei Gefahr!" - Edwin weiß, was er sagt - aus eigener Erfahrung.