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Kolumne "Schnauze Wessi"
"Am Ende geht’s um Völkerverständigung

Mit seiner Kolumne "Schnauze Wessi", inzwischen in Buchform erschienen, macht sich Autor Holger Witzel nicht nur Freunde. Denn Witzel recherchiert den Fundus an Missverständnissen zwischen Ost und West und setzt seinen verbalen Stinkefinger auf wunde Punkte.

Von Heike Schwarzer | 22.03.2012
    Das mit dem Titel der Kolumne – na gut ... leicht geht er Holger Witzel nicht über die Lippen.

    " ... es fällt mir schwer, weil ich das Wort Wessi sonst nicht benutze. Schnauze ist nicht so schwer, man könnte auch Fresse oder fuck you sagen ... man kann ruhig auch mal derb sein. Mich stört Wessi und Ossi mehr."

    Weil es – auch 20 Jahre nach dem Mauerfall – einfach nicht passt. Witzel pflegt den Worten gegenüber eine gesunde Skepsis. Vielleicht normal für einen, der zu Ostzeiten Abiverbot hatte und den wilden Punk lebte. Und dennoch, warum eigentlich nicht. Wessi

    " ... das ist im Grunde auch nur ein westlicher Marketingtrick."

    Und den hat der Leipziger, 1968 geboren, ganz gut drauf. "Schnauze-Wessi" – seine Netz-Kolumne auf stern.de ist inzwischen schon so etwas wie eine Marke. Geschätzt im Osten, gelesen – vor allem – im Westen. Trotz Pöbeleien:

    "Nur so kriegt man Aufmerksamkeit. Ich glaube im Westen kriegt man nur Aufmerksamkeit, indem man draufhaut, indem es mal richtig bitter und böse kommt und mit nem bisschen Glück passiert dann vielleicht was."

    Im besten Falle: nachdenken. Und zwar richtig, nicht nur mal so an der Oberfläche. Witzel hält viel von der neuen Freiheit. Und die hat ihn gelehrt – ganz à la Bundespräsident Gauck – auch selber zu denken. Und das tut er, äußerst pointiert.

    "Meine größte Sorge war immer, dass es ostalgiemäßig missverstanden wird. Das hat auch mit meiner Biografie zu tun, dass natürlich niemand die DDR wiederhaben will."

    Aber selbst das wird im Westen gern missverstanden.

    "Nur weil man den Westen nicht so toll findet, heißt das nicht, dass man die DDR wieder haben will."


    Für viele – kein Thema mehr. Witzel aber macht andere Erfahrungen: Ost und West und überhaupt der Fundus an Missverständnissen, Witzel bringt sie auf den – wunden – Punkt. Er recherchiert genau, bevor er seine - verbalen - Stinkefinger darauf setzt und schmerzhaft bohrt. Seit gut zwei Jahren, jede Woche neu. Und unterhaltsam nur für vorurteilsfrei aufgeklärte Leser in Ost und West – die lachen können, auch über sich selbst. Themen gibt’s genug:

    "Ost-West-Partnerschaften, Subventionsverschwendung, Neonazis."

    Und natürlich Erziehung und Frauen in Ost und West sind Dauerbrenner bei "Schnauze Wessi".

    "Warum sind Arbeitslosenzahlen gesunken, was hat das mit den Billigarbeitskräften zu tun und Teilzeit. Da kann ich schon auch richtig Wut bekommen."

    Und die lässt er raus, übertrieben und zugespitzt. Nein, der Netzkolumne von Holger Witzel entströmt kein Verwöhnaroma, und doch: eigentlich ist Verständigung ihr Ziel ...

    "Ja, am Ende geht’s um Völkerverständigung. Es war mir schon wichtig, dass man sich nichts ausdenkt, dass man nicht rumalbert, Späße macht über die Klischees, dass man mit Fakten arbeitet, die sich nicht einfach wegwischen lassen."

    ... und jetzt schwarz auf weiß im Taschenbuch gleich gar nicht. "Schnauze Wessi" goes print. Dabei weiß Holger Witzel, mit seinem ostdeutschen Minderheitenstatus beim "Stern" genau, dass nicht mal alle Kollegen in Hamburg verstehen, was er so schreibt. Warum also noch ein Buch zur Netzkolumne?

    "Die Klickzahlen waren sicher ein Grund. Und dann, dass man im Westen, auch wenn man sich selbst beleidigen lässt, gern noch ein bisschen Geld verdient. So ist das nun mal."
    Buchcover: Holger Witzel "Schnauze Wessi"
    Buchcover: Holger Witzel "Schnauze Wessi" (Gütersloher Verlagshaus)