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Kopftuch-Zwang und Viel-Ehe

Ramsan Kadyrow, Präsident der Teilrepublik Tschetschenien, demonstriert nach außen ein straffes Regiment. Nach innen biegt er sich russisches Recht zurecht: Er propagiert islamische Gesetze, billigt die Viel-Ehe und setzt auf den Zwang zum Kopftuch.

Von Robert Baag | 17.03.2011
    Jacha ist neunzehn Jahre alt und studiert Wirtschaftswissenschaften an der Universität der tschetschenischen Hauptstadt Grozny. Wie ihre Kommilitoninnen trägt auch sie ein langes Kleid, eine Bluse mit langen Ärmeln. Ihr Haar verhüllt eine sogenannte "Kosynka", eine Art Kopftuch, Es fällt allerdings vergleichsweise knapp aus. - Vielleicht ein bisschen Koketterie in einem eigentlich bösen Spiel, als das hübsche Mädchen mit den feinen Gesichtszügen das seit dem vergangenen Sommer in der Nordkaukasus-Republik geltende Kopftuchgebot für Frauen auf ihre Weise rechtfertigt?

    "Ich finde mein Kopftuch sehr stilvoll. Es steht mir gut und gefällt mir sehr. - Und dann: Unsere Jungs mögen eben lieber Mädchen mit Kopftüchern. - Wir Mädchen aber haben es eben sehr gern, euch Männern zu gefallen..."

    Die Vorgeschichte kommt indes weit weniger freundlich daher: Vor etwas über einem halben Jahr hat Republiks-Oberhaupt Ramzan Kadyrow eine Rückkehr zu den sogenannten "traditionellen Werten" Tschetscheniens angeordnet. Die "Kosynka" und überhaupt eine "züchtige Bekleidung" für alle Frauen und Mädchen gehören für ihn dazu. Wer sich nicht daran hält, riskiert von seinen Männern belästigt, beschimpft und sogar angegriffen zu werden. Über dreißig solcher Fälle kennt allein Tatjana Lokschina vom Moskauer Büro der unabhängigen Organisation "Human Rights Watch". Junge Mädchen seien von aggressiven Halbwüchsigen und Kadyrows Ordnungskräften auf offener Straße aus sogenannten "Paintball"-Gewehren beschossen worden:

    "Parallel dazu hat man in der Stadt Flugblätter verteilt. dort war zu lesen: 'Heute schießen wir mit Farbkugeln auf euch. Das ist zur Warnung! Zwingt uns nicht, entschiedenere Maßnahmen anzuwenden!' - Alle Frauen, mit denen wir gesprochen haben, haben diesen Text ganz klar so verstanden: Das nächste Mal, wenn wir euch ohne Kopftuch erwischen, werden wir aus echten Waffen auf euch schießen."

    Zu wehren wagen sich die Frauen schon längst nicht mehr, erzählt Lokschina. Sie hätten einfach große Angst:

    "Aber noch größere Angst haben sie um ihre Familien. Sie sagen: 'Ich trage dieses Kopftuch, um meine Familie zu schützen. Denn wenn man mich öffentlich angreift, mit erniedrigenden Schimpfworten beleidigt, wenn man mich sogar schlagen sollte, dann dürfen mein Vater, mein Bruder das nicht hinnehmen. Sie werden etwas machen, die Leute zur Rechenschaft ziehen müssen. Das aber kann für meine Familie insgesamt mit großen Unannehmlichkeiten enden.'"

    Einst Untergrund-Kämpfer, seit sieben Jahren aber Moskaus Statthalter in Tschetschenien, herrscht Ramzan Kadyrow mit eiserner Hand über seine russische Teilrepublik. Zu den angeblich "traditionellen Werten tschetschenischer Moral", die zu befolgen er seinem Volk nachdrücklich empfiehlt, gehört für ihn auch die Viel-Ehe. - Zwar liebe er seine Frau, meint Kadyrow breit lächelnd, aber:

    "Wenn ich eine andere sehe, die schöner ist als sie, warum soll ich dann heimlich mit ihr sündigen? Der Islam erlaubt mir, auch sie zu heiraten, wenn meine erste Frau nicht dagegen ist, ich gesund bin und es mir finanziell leisten kann. - Ich bin zwar gerade nicht auf der Suche. Aber wenn ich eine finde, sage ich nicht 'nein'..."

    Der Kreml in Moskau möge sich endlich einmischen und Kadyrows ungenierte Rechtsbrüche abstellen, fordert "Human Rights Watch"-Vertreterin Rachel Denber. Sogar eine Gefahr für den inneren Zusammenhalt Russlands sei denkbar, wenn künftig auch andere Republiksoberhäupter und Gouverneure - Kadyrows Vorbild folgend - einfach so der russischen Verfassung und anderen Bundesgesetzen widersprechende "mündliche Anordnungen" für ihre Territorien in die Welt setzten. - Moskau sei verantwortlich dafür, dass die Gesetze der Föderation überall durchgesetzt würden.

    Für die politische Spitze in Moskau sei etwas ganz anderes viel wichtiger, meint dagegen ironisch Svetlana Gannuschkina. Kadyrow, so die "Memorial"-Menschenrechtlerin, wiederholt doch die ganze Zeit, dass "Russland unser Mütterchen ist und Wladimir Wladimirowitsch Putin unser Väterchen!"