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Kriegsdrama
Flucht aus dem Getto

Der Film "Lauf Junge Lauf" erzählt die wahre Geschichte von Yoram Friedman, der als neunjähriger jüdischer Junge aus dem Warschauer Getto flieht und sich quer durch Polen schlagen muss. In der Verfilmung des Regisseurs Pepe Danquart ist dessen sorgfältiger Blick als Dokumentarfilmer zu erkennen.

Von Josef Schnelle | 17.04.2014
    Zeitzeuge Yoram Fridman und Hauptdarsteller Andrzej Tkacz posieren bei einem Fototermin für den Film "Lauf Junge lauf".
    Der Zeitzeuge Yoram Fridman zusammen mit dem Hauptdarsteller des Films "Lauf Junge Lauf". (picture alliance / dpa / David Ebener)
    "He Du, hast Du einen kleinen Jungen gesehen? Der muss hier vorbei gerannt sein." – "Wenn Du dich gut versteckst und still hältst, kann ich Dich hier rausbringen. Wenn Du im Getto bleiben willst, musst Du jetzt runter steigen."
    Das Kriegsdrama "Lauf Junge Lauf" basiert auf der wahren Lebensgeschichte von Yoram Fridman - als Jugendbuch aufgeschrieben von Uri Orlev. Erzählt wird von einem neunjährigen jüdischen Jungen, der sich nach seiner Flucht aus dem Warschauer Getto quer durch Polen durchschlagen muss, um den Holocaust und den Krieg überstehen zu können. Dabei droht ihm ständig Ungemach auch von polnischer Seite. Er hat einen polnischen Namen angenommen und darf sich auch sonst nicht verraten. Alles solle er vergessen, nur nicht, dass er ein Jude sei, hat ihm sein Vater eingeschärft. Tief in seiner Seele versteckt natürlich. Mehr als einmal wird der Junge fast entdeckt. Er muss immer wieder all sein Geschick und seine Überlebensintelligenz aufwenden, um einem ungewissen Schicksal zu entgehen.
    "Name?" - "Jurek Staniak." - "Bist Du ein Jude?" - "Nein." - "Hose runter! Und was ist das?" - "Ich hab eine Entzündung gehabt und musste operiert werden."
    Diesmal wird ihm seine Notlüge geglaubt. Aber das ist längst nicht immer sicher.
    Die Nazis haben Kopfprämien auf die entlaufenen Jungs ausgesetzt. Und so birgt jede neue Begegnung für Yoram ein tödliches Risiko. Einmal findet er bei einer Bäuerin Zuflucht, die ihm die wichtigsten Überlebensstrategien einbläut, zum Beispiel wie man fehlerfrei katholisch betet und dass er bei den Bauern als Tagelöhner arbeiten, aber niemals zu lange an einem Ort bleiben soll. Drohend ist noch der Unterton so mancher Sympathiebekundung.
    "Gnädige Frau, der Junge ist Waise und hat niemand. Er sucht Arbeit. Er hat uns heute auf dem Feld schon sehr geholfen." – "Ach nee, wen hammer denn da? Da haben mir meine Leute doch glatt einen Bären aufgebunden." – "Du kennst den Jungen?" – "Natürlich, das ist ein Jurek, ein Jurek Staniak. Ich hab gleich gewusst, dass das ein ganz intelligentes Bürschchen ist."
    Blick des Dokumentarfilmers Pepe Danquart
    Regisseur Pepe Danquart ist von Hause aus Dokumentarfilmer. Er hat sich mit spannenden Sportdokumentationen über die Eisbären Berlin, die Tour de France und über Extremkletterer einen Namen gemacht. Zuletzt sorgte er mit dem hintergründigen politischen Porträt "Joschka und Herr Fischer" 2011 für Aufsehen. Der sorgfältige Blick des Dokumentaristen ist auch bei diesem fiktiven Film zu erkennen. Detailgenauigkeit bewahrt ihn immer wieder vor zu viel Pathos, das in der Geschichte eigentlich angelegt ist und allzu leicht den stilistischen Ton des Films in Kitsch verdrehen könnte.
    Leider bemüht sich die Musik des Films von Stefane Moucha nach Kräften, dem entgegenzuwirken, ist oft viel zu dick aufgetragen und kontraproduktiv. Mehr stille Szenen hätten dem Film gut getan. Ein Grundproblem vieler deutscher Filme. Das Zwillingspärchen Andrzej und Kamil Tkacz (Katsch), das sich die Hauptrolle teilt, rettet mit seinem schnörkellosen Spiel dann doch den Film, der insgesamt ein eindrucksvolles Beispiel des Genres ist zu dem Roman Polanski die Blaupause lieferte. Polanski selbst war als Kind aus dem Krakauer Getto geflüchtet und überlebte unter ähnlichen Umständen wie der kleine Held dieses Films.
    Polanski hat seine Erfahrungen 2005 in Stil und Stimmung in seine Oliver-Twist-Verfilmung einfließen lassen und damit Maßstäbe gesetzt. Pepe Danquart orientiert sich sehr viel expliziter an den Zeitumständen. Die Dichte und beeindruckende Schärfe von Polanskis Film erreicht er zwar nie, doch ist ihm durchaus ein facettenreicher, vielschichtiger Film gelungen, der übrigens auch mit Unterrichtsmaterial in Schulvorstellungen angeboten wird.
    Keine Klischees und kein Kitsch
    "Lauf Junge Lauf" schafft es, eine Zeit der Unordnung, Angst und Bedrohung lebendig zu machen, ohne in Klischees und Kitsch zu verfallen. Eine große Hilfe ist dabei der Wald, den Danquart zugleich archaisch und sehr konkret abbildet. Für die vagabundierenden Kinder ist er ein wahrer Schutzschild und insgeheim eine Figur, die im Film mitspielt.
    "Warst Du tatsächlich noch nie im Wald?" - "Ich war schon im Wald aber nie so lange. Ab und zu mal zum Spielen oder zum Pilzesammeln. Gewohnt hab ich hier nie." - "Wenn es den Wald nicht geben würde, hätten sie uns schon längst. Die Deutschen haben Angst vor dem Wald wegen der Partisanen."