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Kulturkämpfe in der Schule?

Als Referendarin mit Kopftuch unterrichtete sie süddeutsche Grundschüler. Als Lehrerin soll sie es nicht. Fereshta Ludin streitet seit 1998 mit Kultusbehörden und Gerichten. Was am Anfang so aussah, als habe Baden-Württembergs Kultusministerin Annette Schavan das sogenannten "Kruzifixurteil" - religiöse Bekenntnisse gehören nicht in die Schule - von einem christlichen auf ein islamisches Symbol übertragen, hat eine höchst ambivalente Eigendynamik entwickelt. Dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom September 2003, wonach das Kopftuch nicht verboten ist, solange die Bundesländer keine entsprechenden Gesetze verabschiedet haben, folgte die Debatte über die Entscheidung jedes einzelnen Landes. In Baden-Württemberg wird Ende März ein Verbotsgesetz im Landtag eingebracht - fünf weitere Länder (Bayern, Berlin, Bremen, Hessen und Niedersachsen) haben ähnliches angekündigt.

Moderation: Jürgen Wiebicke |
    Im Dezember 2003 meldete sich Bundespräsident Rau zu Wort mit seiner Mahnung, das Kopftuch nicht als religiöses Zeichen per se zu nehmen, sondern "von Fall zu Fall zu entscheiden", ob eine Lehrerin mit Kopftuch geduldet werden könne oder nicht. Der Islam gehöre nun einmal zur religiösen Gegenwart in Deutschland; Deutschland sei kein laizistisches Land wie Frankreich, das Kopftücher für Lehrerinnen und Schülerinnen untersagt hat.

    Aber - wie sieht das eigentlich an der Basis aus? Kann eine Lehrerin mit Kopftuch den Schulalltag empfindlich stören... unter welchen Umständen ist die - welche? - dahinter verborgene Haltung schädlich - und für wen? Sind eindeutige Verbote in der Praxis sinnvoll in einer Gesellschaft, die vielleicht fünf Millionen muslimische Familien integrieren soll? Treibt man deren Kinder ins Ghetto islamischer Schulen... etwa in die islamische Grundschule in Berlin, in der die an einer deutschen Universität ausgebildete Fereshta Ludin inzwischen unterrichtet?

    Und wie sieht es bei den Schülerinnen aus: Stören Schülerinnen mit Kopftuch - oder nur dann, wenn sie sich aufgrund ihrer Religion dem Unterricht, etwa dem Sportunterricht verweigern? Andrerseits gibt es auch Kinder aus christlichen Minderheitenkirchen, deren Religion es verbietet, eine Klassenfahrt mitzumachen oder anders als zum Lobe Gottes zu singen...

    Muss Religion als Begründung für eine partielle Verweigerung in der Schule grundsätzlich abgewiesen werden - oder gilt das nur für Muslime, weil das Kopftuch nicht nur ein religiöses, sondern auch ein politisches Symbol ist - unabhängig vom Willen der Trägerin?

    Gesprächspartner:

    Gerhard Mayer, Schulrat beim Schulamt Düsseldorf

    Fritz Sperth, Rektor der Hauptschule Innenstadt, Tübingen.
    Seine Schule errang im Wettbewerb um den Hauptschulpreis 2003 unter dem Motto "Integration von Zuwandererkindern durch die Hauptschule" den 3. Platz

    Literatur zum Thema:

    Frauengeschichten. Musliminnen in Deutschland erzählen aus ihrem Leben
    von Dorothee Palm, Shahin Aawani

    Die vergessene Macht. Frauen im Wandel der islamischen Welt
    von Fatema Mernissi, Karla Ewerhardy, Edgar Peinelt

    Die Angst vor der Moderne. Frauen und Männer zwischen Islam und Demokratie
    von Fatima Mernissi (Luchterhand)

    Islam in der Schule
    von Thorsten Anger

    Links zum Thema:

    Interkulturelle Bildung in Niedersachsen

    Bundespräsident Rau zum Kopftuchstreit:

    Stoiber greift Rau an

    Thierse stellt sich gegen Rau

    Argumente im Überblick

    Baden Württemberg legt Gesetz zum Kopftuchverbot vor

    Ev. Landeskirche in Württemberg zu Kopftuchurteil des BVG

    GEW zu Kopftuchurteil (1)
    GEW zu Kopftuchurteil (2)

    "Spiegel"

    Porträt Fereshta Ludin

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