Donnerstag, 02. Mai 2024

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Kulturkampf ohne Kampfkultur

Am Sonntag wird in Serbien ein neuer Präsident gewählt. Insgesamt neun Kandidaten kämpfen um das höchste Staatsamt, doch nur zwei scheinen wirkliche Chancen zu haben: Amtsinhaber Boris Tadic und der Nationalist Tomislav Nikolic. Viele Medien ergreifen für den einen oder anderen Kandidaten mehr oder weniger offen Partei. Nur ein Sender fühlt sich einer unabhängigen Information verpflichtet - der Sender B92. Mirko Schwanitz berichtet.

14.01.2008
    Vorbei sind die Zeiten, da Tausende Belgrader ihrem Unmut gegen die Regierung mit Trillerpfeifen und Kochtöpfen Luft machen. Zwischen damals und heute liegt der Sturz Milosevics, der Mord an Premier Zoran Djindic und der Verlust aller mit ihm verbundenen Hoffnungen. Nüchtern konstatiert Sasa Mirkovic die Situation in seinem Land vor den Präsidentschaftswahlen.

    "Generell ist der Einfluss der Tycoone auf unser politisches System und die Medienlandschaft enorm. Sie sind sogar im Vergleich mit westlichen Maßstäben so reich, dass sie nicht nur Teile der Industrie kontrollieren, sondern auch die Politik und das Finanzsystem. Sie bestimmen, was veröffentlicht werden kann und welche Informationen verbreitet werden."

    Sasa Mirkovic ist Mitbegründer des einstigen Rebellensenders B92, der maßgeblich am Sturz des Milosevics beteiligt war. Heute ist Mirkovic Programmdirektor und B92 ein kleiner Medienkonzern, dessen Unabhängigkeit allen Parteien in Serbien ein Dorn im Auge ist.

    "Die Ermordung unseres Premierministers war furchtbar. Sie hat die demokratische Entwicklung gestoppt und das hat unserer Gesellschaft sehr geschadet - in finanzieller aber auch in moralischer Hinsicht."

    Auf dem durch Desinformation geprägten serbischen Medienmarkt, ist B92 die einzige zuverlässige Nachrichtenquelle. Um alle Altersgruppen zu erreichen, steht B92 jeden Tag aufs Neue vor einem schwierigen Spagat, meint Tomislav Grujic, Musikredakteur von B92.

    "Wir versuchten schon immer neue Musik zu spielen, interessierten uns für neue Formen der Musik. Viele Ältere konnten unsere Musik nur schwer ertragen. Einige sagten: "Ihr seid großartig, aber Eure Musik ist das Schrecklichste, was ich je gehört habe." Der andere Teil unserer Hörer meinte dagegen, "Eure Musik ist toll. Aber könntet Ihr vielleicht etwas weniger Nachrichten bringen."

    Doch nicht nur bei den elektronischen Medien ist B92 die Stimme des anderen, des demokratischen Serbien. Auch mit einem eigenen Verlag versucht der Sender Einfluss zu nehmen auf die Entwicklung eines selbstkritischen Bewusstseins. Dass dies durchaus gelingt, zeigt auch das Interesse an einem Buch zweier B92-Journalisten. Ihr Titel "Kriminalität, die Serbien veränderte", erlebte bereits mehrere Neuauflagen.

    Ein Stockwerk über der Musikredaktion sitzt Lydia Kusovatz, Leiterin des Verlages von B92:

    Sasa Mirkovic nimmt uns mit in Richtung Stadtzentrum. Er zeigt uns zahlreiche Kioske, in denen neben Lizenzausgaben westlicher Magazine, auch Bücher mit den Konterfeis von gesuchten Kriegsverbrechern zu haben sind.

    "In diesem Umfeld ist die Existenz von B92 extrem schwierig. Wir sind die einzige seriöse Nachrichtenquelle. Wir berichten als einzige über Kriegsverbrecher oder andere Kriminelle, über Drogenschmuggel oder Finanzdelikte. Deshalb haben wir nach wie vor viele Feinde."

    Das Team von B92 wird auch nach der Präsidentschaftswahl weitermachen. Denn egal wer gewinnt, es wird der Falsche sein, meint Sasa Mirkovic

    "Es ist richtig enttäuschend zu sehen, dass Serbien noch nicht einmal ein Assoziierungsabkommen mit der EU geschlossen hat, - nur wegen Mladic und Karadzic. Gleichzeitig haben wir das Problem, immer mehr Territorien zu verlieren. Unsere Politische Elite hat einfach nicht den Mut, der Bevölkerung die Wahrheit zu sagen."

    Die Wahrheit ist, dass es die Politik der serbischen Politiker war, die nun zum Verlust des Kosovo führt. Die Wahrheit ist, dass nicht ein einziger ernsthafter Versuch unternommen wurde, die Kriegsverbrecher zu fassen. Aussagen, wie sie nur bei B92 zu hören sind. Wir aber, sagt Mirkovic zum Abschied, spüren sehr deutlich, dass sich unter der Oberfläche wieder etwas tut, das unsere Stimme gehört wird. Das macht uns Hoffnung.