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Kunst
Napoleons Raubzug durch Europa

Schon immer haben Herrscher ihre Macht gerne mit Kunst ausstaffiert. Die historisch bedeutsamsten Kunstraubzüge fanden zu römischen und zu napoleonischen Zeiten statt. Und auch heutzutage wird noch über Grenzen hinweg um Kunstwerke gestritten.

Björn Stüben | 27.12.2013
    Eine Sensation! Bei vierzehn Millionen Euro erfolgte im Februar 2009 in Paris der Zuschlag. Ein bronzener Rattenkopf, über drei Jahrhunderte alt und vom anglofranzösischen Invasionsheer 1860 aus dem alten Sommerpalast in Peking entwendet, ging auf der Versteigerung der Sammlung von Yves Saint-Laurent und Pierre Bergé an einen anonymen Telefonbieter, hinter dem sich allerdings der chinesische Staat verbarg. An die Zahlung der enormen Summe war jedoch nie gedacht worden. China verlangte durch diesen Akt vielmehr offiziell das Diebesgut zurück, zu dem auch noch der Kopf eines Kaninchens gehörte.
    Pierre Bergéreagierte prompt. Er verlangenur drei Dinge von der chinesischen Regierung, nämlich dass sie die Menschenrechte und die Freiheit Tibets anerkenne und den Dalai Lama empfange. Danach stände der Rückgabe der bronzenen Tierköpfe von seiner Seite her nichts mehr im Wege, argumentierte Bergé kämpferisch.
    Doch Frankreich ist bekanntlich in Sachen Kunstraub schon lange kein unbeschriebenes Blatt mehr. Im Namen der Revolution von 1789 bemächtigten sich die Franzosen des Kulturgutes der von ihren Truppen überrannten Nachbarstaaten in bis dahin unbekanntem Ausmaß, wie die französische Kunstgeschichtsprofessorin Bénédicte Savoy erläutert:
    "Die Deutschen sprechen vom napoleonischen Kunstraub, die Franzosen sprechen von 'les saisies révolutionaires', also 'revolutionäre Beschlagnahmungen'. Dazwischen, wie immer, liegt irgendwie die Wahrheit. Schon zwei Jahre nach der Revolution kommen erst mal die Bestände der Kirche, des Klerus, des Adels in die nationalen Sammlungen einerseits und dann mit den Revolutionskriegen kommt man auf die Idee, und zwar im Parlament auf die Idee, dass man doch diese Praxis der Verstaatlichung von Kunstwerken doch einfach auch exportieren könnte und die Kunst dahin zurückbringen soll, wo sie hingehört, nämlich in das Land der Freiheit, weil Kunst ein Produkt der Freiheit ist."
    Napoleaon als Kunstverschlepper
    Und dies bedeutete vor allem, die Werke der Kunst, die in den königlichen Sammlungen bisher nur einem erlesenen Kreis von Betrachtern zugänglich waren, endlich dem Volk präsentieren zu können. Das Musée Napoleon, der heutige Louvre, öffnete 1794 seine Tore für jedermann, angereichert mit Hunderten beschlagnahmter Werke unter anderem aus Deutschland.
    "Was Napoleon gemacht hat, zunächst als Général Bonaparte, ist, dass er eben wie alles was er gemacht hat, diese Praxis mit Kommissionen, die sich intern bekriegt haben etc., rationalisiert hat und in seiner Zeit als er Kaiser war auch in Deutschland in den großen deutschen Sammlungen ganze Gemäldesäle, dreihundert Gemälde, hundertfünfzig Antiken eingepackt werden konnten und nach Paris verschleppt werden konnten - Sie merken, ich sag' schon verschleppt."
    Der erste Direktor des Louvre Dominique-Vivant Denon, von Zeitgenossen auch das "Auge Napoleons" genannt, hatte sorgsam die Auswahl beim Kunstraub getroffen. Unzählige antike Meisterwerke wie etwa die Laokoon-Gruppe zogen als Beutekunst aus Italien in den Louvre ein, was einige europäische Intellektuelle durchaus nicht unberührt ließ, wie Savoy unterstreicht:
    "Als der französische Kunstraub in Italien in Rom, in Norditalien gewütet hat, da waren die Intellektuellen in Weimar, Goethe, Schiller alle sofort da und haben sich beschwert und fanden das eine Vergewaltigung des europäischen Kunstkörpers, so ungefähr. Und als aber hier die Sammlungen betroffen wurden, also in Kassel, Braunschweig, Schwerin, Berlin, dann waren die alle ganz still."
    Im Verlust erkennt man die eigenen Werte
    Nach Napoleons Fall 1815 gelangten dann fast alle zuvor erbeuteten Werke wieder zurück in ihre Herkunftsländer. Doch der Blick der Zeitgenossen auf die heimgekehrte Beutekunst hatte sich Savoy zufolge verändert.
    "Wenn man sich die Frage des Kunstraubes als Frage des Kulturtransfers im tiefen Sinne stellt, dann gab es schon eine positive Folge dieses erzwungenen Transfers von Kunstwerken. Das gilt ganz besonders für die Werke der altdeutschen Malerei. Als sie hier weggenommen wurden von den französischen Kommissaren, hatten sie keinen musealen Wert, die waren nicht ausgestellt. Dann kommen sie nach Paris. Sieben Jahre lang bleiben sie in Paris und dann berichten die Deutschen die ganze Zeit, oh, das interessiert die Pariser. Die finden Cranach und Dürer sehr spannend. Und als diese Werke dann wieder frei sind oder wo der Augenblick ist, dass man sie wieder zurückbekommen kann, dann sind das die Ikonen der Nation. Und das ist passiert, weil sie weg waren. Also im Verlust erkennt man die eigenen Werte."
    Die umstrittenen Tierköpfe aus Bronze haben inzwischen doch wieder den Weg nach China gefunden. Der Geschäftsmann François Pinault hatte sie zuvor von Bergé erstanden und als Begleiter bei einem offiziellen Staatsbesuch dem potenten Handelspartner China als Gastgeschenk medienwirksam überreicht. Von den acht antiken Säulen, die seit 1794 einige stattliche Gewölbe im Louvre tragen, nachdem sie kurz zuvor von napoleonischen Truppen aus der Grabrotunde Karls des Großen im Aachener Dom gerissen worden waren, spricht heute jedoch niemand mehr - bisher zumindest nicht.