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Kurt Eisner 1867 - 1919. Eine Biographie

Sein Bild in der Geschichte ist extrem verzeichnet; zur Karikatur des Bohemjen, der ein politischer Abenteurer war; zur Grimasse eines in der Öffentlichkeit agierenden Dilettanten; zur Fratze des landfremden Juden, der Bayern ins Unglück gestürzt hat - Kurt Eisner, der am 8. November 1918 die Monarchie der Wittelsbacher gestürzt und die bayrische Republik ausgerufen hat, wird auch in anderer Hinsicht einseitig gesehen: seine Ermordung am 21. Februar 1919, als er nicht einmal vier Monate im Amt Regierungszeit war, rückt ihn in die Sphäre eines vergeblichen Märtyrers seiner Sache, als wäre er vor allem von seinem Ende zu sehen und hätte keine Biographie gehabt.

Wilfried F. Schoeller | 01.05.2001
    Eben darum geht es dem Münchner Archivar Bernhard Grau in seiner umfangreichen biographischen Darstellung Kurt Eisners: den Lebensgang des Freigeist und Sozialdemokraten, politischen Publizisten und Literaten zu ermitteln und zu sichern. Mit seinem rund 650 Seiten umfassenden Buch. der ersten Biographie Kurt Eisners, die diesen Namen verdient, gelang es ihm. aus dem Schlagschatten der schwärmerischen Parteinahme und der verzeichnenden Vorurteile herauszutreten.

    Eisner stammt aus einem liberalen, gutbürgerlichen Elternhaus. Sein Vater war in Berlin Fabrikant von Militär-Effekten, freilich scheint der geschäftliche Erfolg altmählich ausgeblieben zu sein, so dass die vermutlich wohlhabende Familie in finanzielle Engpässe geriet. Der 1867 geborene Kurt Eisner durchlief das altsprachliche Gymnasium; schon früh scheinen sich ein gewisser literarischer Ausdruckswille bemerkbar gemacht zu haben. Der Abituraufsatz wurde bemängelt: Die Sprache ist klar. leidet aber an einem zu großen Bilderreichtum.

    Eisner studierte in Berlin Literaturgeschichte und Philosophie, wobei ihm die Begründung für die Wahl des zweiten Fachs anscheinend schwer fiel. Einigermaßen verlegen wand sich der Gymnasiast in seinem schriftlichen Lebenslauf:

    Immerhin interessiere ich mich für diese Sphinxwissenschaft so außerordentlich, dass ich hinfürder im Dienste dieser rätselhaften Göttin zu stehen mich entschlossen habe.

    Er hat sich als "Kritizist" verstanden, bewegte sich auf den idealistischen Bahnen Kants Ware alles abgelaufen wie geplant, so hätte Eisner bei dem charismatischen Germanisten Erich Schmidt promoviert. Das Thema über den Romantiker Achim von Arnim und eine ausgedehnte Materialsammlung waren schon vorhanden, aber das Ziel einer wissenschaftlichen Karriere rückte in unerreichbare Ferne, als er, offensichtlich wegen Geldnot, sich als Journalist verdingte und in ein Depeschenbüro Herold eintrat. An der Berliner Universität wurde er mit dem antisemitischen, nationalistischen Feldzug konfrontiert, den Heinrich von Treitschke unter begeisterter Zustimmung von Studenten und Offizieren herbeiredete. Von Eisner sind unmittelbare Äußerungen nicht bekannt, doch dürfte bei der Entwicklung seines Sozialismus die Hoffnung des Juden auf Emanzipation in der egalitären, demokratischen Gesellschaft verbunden gewesen sein. Das früheste Zeugnis für ein erwachendes politisches Interesse, das aus der damaligen akademischen Welt verbannt schien, findet sich in einem Brief des Zweiundzwanzigjährigen als Kritik der sich ausbreitenden Sozialdemokratie:

    Das Schlimme hierbei ist, dass hier nicht auf Denken und Wissen gegründete Überzeugung Sozialdemokraten macht, sondern die Unzufriedenheit, welche sich weder über Wege noch Ziele klar ist, sondern blind ins Ungewisse treibt, nach Neuem strebend, weil ihr das Alte unerträglich scheint, die Unzufriedenheit, welche nicht Reformation, sondern Revolution gebiert... Wenn man in diese Betrachtungen gerät, vergeht einem Romantik und Bildersprache.

    In ästhetischer Hinsicht war Eisner ein Anhänger des Naturalismus, der sich mit Zola und Ibsen auch in Deutschland durchsetzte und mit der Freien Bühne ein von einem Gefühlssozialismus mit idealistischer Begründung, in dem die Eigentumsfrage noch unwichtig war und in dem die bürgerliche Verantwortung an oberster Stelle stand. Er schrieb einen Essay über Nietzsche, der weniger Abrechnung mit ihm ist als Selbstvergewisserung aus der Distanz:

    Ein packendes Schauspiel, aber keine weisende Lehre, Rammenlodem, aber kein Stemeleuchten - das ist uns Friedrich Nietzsche.

    Eisner arbeitete als Redakteur nirgendwo langer als sieben Jahre. Er hat, obwohl ein glänzender Journalist und brillanter Formulierer, den Journalismus nur als Teil seiner Möglichkeiten begriffen, nie als das Ganze' er wollte, nachdem seine politischen Überzeugungen sich gefestigt hatten, auch als Politiker wirken und geriet dadurch immer wieder in einen Zwiespalt. Seine Vorbehalte gegen das Pressewesen hat er 1914 zusammengefasst:

    Diese Redakteure sind Privatangestellte gesellschaftlicher Unternehmungen, nichts anderes, wie Bankbeamte, Warenhausverkäufer oder Fabrikchemiker. Sie sind nicht Vorkämpfer einer Sache, der sie leidenschaftlich ergeben sind, sondern unlustige müde Techniker für die Erzeugung des geistigen Teils der Zeitungen, deren beste Vertreter höchstens ein gewisser literarischer Ehrgeiz beseelt. Sie dürfen keine Charaktere sein, das wäre störend; man fordert nur fachliche Routine von ihnen. Sie sind allenfalls Werkzeuge für die Ausstattung des Zeitungsgeschäfts.

    Es ist ein düsteres Fazit, das der Journalist Kurt Eisner über seinen Stand zog. Allerdings fasst es Erfahrungen zusammen, die er, schwankend zwischen Politik und literarischem Ehrgeiz, selbst gemacht hat. Leider hat der Biograph Bernhard Grau kein rechtes Verständnis für die originäre schriftstellerische Leistung Eisners, für seinen einen Pol, der auch übermütige Scherze, schneidende Satiren, atmosphärisch dichte Impressionen enthält.

    Anderthalb Jahre lang arbeitete Eisner für die »Frankfurter Zeitung" als Nachtredakteur und ging dann nach Marburg, um gegen einen führenden Antisemiten zu streiten und ein Lokalblatt voranzubringen Parallel schrieb er Glossen. Polemiken und Essays für Berliner Zeitschriften unter zwei Pseudonymen. Er hat in Marburg sichtbare Erfolge erzielt, aber sie wurden zunichte, als er wegen eines Majestätsbeleidigungsprozesses 1897/98 für neun Monate ins Gefängnis musste. In einem seiner "Provinzialbriefe" von Marburg aus hatte er die Bilanz eines Herrschers boshafterweise in der Ich-Form fingiert:

    Auch ich schulde den Völkern die fällige Botschaft, die sie von mir verlangen, weil sie mich insgeheim verachten, so sehr sie mich auch mit tönenden Zungen preisen. Denn es ist nicht Verachtung meines Könnens und Wollens, wenn sie mit gelassener Ehrfurcht wie ein Selbstverständliches von mir die teeren Worthülsen entgegennehmen, gleich als ob nichts so natürlich wäre. wie dass ihr höchster Repräsentant nichtige Worte stammle und ewig dieselben kläglichen drei Töne von sich gebe, die unsere Kinder den Kugelwagen aus buntem Blech entlocken, indem sie sie den Boden entlang ziehen. Wäre ich nicht Herr, meine Knechte würden mich nicht zum Vorsitzenden eines Rauchklubs erwählen, wenn ich nicht Neueres und Klügeres zu sagen verstände.

    Eisner hat vor Gericht abgestritten, dass damit Wilhelm II. gemeint sei, aber wen anders sollten die Polizeibehörden sich denn als monarchistischen Popanz vorstellen? Nach der Haft stand er wieder vor dem Nullpunkt seiner Existenz. Dabei hatte er sich von Marburg aus durchaus eine gewisse Stellung aufgebaut. Er war mit dem jungen Philipp Scheidemann bekannt. Franz Mehring hatte seine Nietzsche-Arbeit rezensiert. Er hatte sich, mit einem Vorrat an neukantianischen Grundüberzeugungen. die vor allem von dem Philosophen Hermann Cohen stammten, seinen Weg vom "Gemüthssocialisten" zum Parteipolitiker genommen, wie er 1896 schrieb:

    Wir müssen uns zur Sozialdemokratie flüchten, selbst wen wir ihre wirtschaftlichen und taktischen Grundanschauungen nicht teilen. Sie ist die einzige Zuflucht aller Idealisten, um sie kreisen die Sympathien der Gesund-Gebliebenen. Denn hier finden sie Grundsätze, Konsequenz und Begeisterung, und wenn sie Deutsche sind. außerdem die Tradition der klassischen deutschen Zeit.

    Eine eher illusionäre Erwartung, die Kurt Eisner bald in Schwierigkeiten bringen sollte und die nicht mit der traditionellen Kulturfeindschaft der Sozialdemokratie rechnete. Manche in der Partei sahen in ihm mit seiner Wendung gegen die sozialistische Orthodoxie und gegen revolutionäre Rhetorik ein trojanisches Pferd. Kant und Marx. bürgerliche Aufklärung und Materialismus zu versöhnen, sah er als sein intellektuelles und moralisches Programm an. Damit blieb er in der Partei, der er 1898 beigetreten war, ein Fremder. Im Alter von 31 Jahren erhielt er immerhin ein verlockendes Angebot: politischer Redakteur beim "Vorwärts". Wilhelm Liebknecht, kurze Zeit danach verstorben, holte ihn 1900 zum Zentralorgan der SPD - wegen seiner scharfen Klinge und seiner politischen Kompetenz. August Bebel schätze ihn anfangs und der Publizist Maximilian Karden umriss seine Stellung als politischer Journalist:

    Eisner war die blankste Feder des deutschen Socialismus, eine in Feierstunden fast tyrannisch spitze, das vielleicht farbigste, im grazilen Schwung kräftigste Talent unserer Presse; und darum gewohnt, rundum fast nur benörgelt, niemals an die goldenen Göttertische zugelassen. Neun Dutzend Abgeordnete, doch kein Sitz für Diesen. Nicht einmal die Leitung des 'Vorwärts', dem nur er, vor und nach ihm Keiner, die ganze Gemeinde der Geistigen erwarb, wurde ihm gegönnt.

    Eisner versuchte, das Parteiblatt für eine breite Leserschaft zu öffnen, orientierte sich an den Standards der bürgerlichen Presse, wollte (und sollte) alle Strömungen innerhalb der Partei abbilden. In der Kampagne um den Königsberger Prozess, wo ein von der SPD unterstützter Schmuggel von Schriften ins Zarenreich verhandelt wurde, was schließlich zu einem Urteil wegen Geheimbündelei führte, übernahm er in einer umfangreichen Artikelfolge selbst die Berichterstattung. Daraus entstand das noch heute fesselnde Buch "Der Geheimbund des Zaren" von 1904.

    Eisner kritisierte das Ritual der Parteitage, organisierte Mitte 1905 auf dem Höhepunkt der Marokkokrise, als eine dramatische Verwicklung mit Frankreich drohte, im Namen des "Vorwärts" in Berlin eine eigene Friedenskundgebung, auf der der berühmte französische Sozialistenführer Jean Jaurès auftrat. Er beanspruchte für die Redaktion innerhalb der Partei eine politische Stellung, wollte nicht nur "Tintensöldner sein und - und rief erbitterten Widerstand hervor. Der Kampf gegen Eisner in der SPD wurde vor allem vom linken Flügel betrieben. Man warf ihm «Revisionismus" vor, ein Etikett, das auch später noch lange an ihm klebte. Einer seiner erbitterten Gegner war Franz Mehring- Eisner verwahrte sich heftig gegen dessen Attacken in einem Brief an August Bebel:

    Ich habe mit der revisionistischen Gruppe nie etwas zu tun gehabt, sie, wo ich Gelegenheit fand, scharf bekämpft (ohne sie natürlich zu verfemten), und ich glaube, nach meinem ganzen Temperament, hinsichtlich des Radikalismus der Aktion viel radikaler, viel konsequenter zu sein als die Leute mit den ewigen Marxcitaten, mit der 'revolutionären Dialektik', dem 'historischen Sinn' und wie sonst die Vokabeln lauten, mit denen man vor den Arbeitern eine Gelehrsamkeit und Prinzipienfestigkeit schauspielert, hinter der nichts, aber auch gar nichts steckt.

    Aber Bebel, der an Eisner öfter einen Verstoß gegen die Parteidisziplin monierte, ließ ihn fallen. Im Oktober 1905 wurde er zum Ausscheiden aus dem 'Vorwärts' gezwungen. Er war der dominierende Mann der Redaktion gewesen. Seine eigenständigen Auffassungen, nicht eine Zugehörigkeit zu einem der Flügel brachte ihn zu Fall. Er glaubte daran, dass sich der Weg zum Sozialismus als eine große pädagogische Aufgabe darstelle; die Aufklärung der Köpfe war für ihn. den "Idealisten", weitaus wichtiger als jedes ökonomische Prinzip oder Jede materialistische Geschichtskonstruktion. Gegenüber allen Ultras, die in Jedem aktualitätsbezogenen Handeln einen Verrat an den Prinzipien witterten, setze er auf eingreifende Praxis und pragmatische Beweglichkeit. Der Autor der Eisner-Biographie, Bernhard Grau, über sein Charakterbild:

    Einmal mehr waren es auch Eisners soziale Empfindlichkeit, sein ausgeprägtes Gerechtigkeitssdenken, sein gespaltenes Verhältnis zu autoritären Vorgesetzten und ein zweifellos außergewöhnliches Selbstbewusstsein, die ihm ein Einlenken versagt und den Konflikt auf die Spitze getrieben hauen.

    Eisner versuchte, seine verloren gegangene parteipolitische Position als Journalist zurückzugewinnen, aber vergebens. Er blieb bis zum Ersten Weltkrieg ein Außenseiter. Er arbeitete anderthalb Jahre lang als freier Schriftsteller, was der Publikation von Büchern guttat: er schrieb ein umfangreiches historisches Werk über Deutschland und Preußen in der Epoche der Französischen Revolution unter dem Titel «Das Ende des Reiches". Und er sammelte in dem Band »Feste der Restlosen" seine Feuilletons, die er regelmäßig veröffentlicht hatte. Im Bemühen, Eisner von dem Vorwurf zu entlasten, er sei nur ein in der Politik dilettierender Literat gewesen, behandelt Grau diesen Teil der Eisnerschen Produktion nur achtlos am Rande. Aber gerade in diesen Texten kann man das rhetorische Feuer und die Bildkraft des Journalisten besonders ermessen. Zum Beispiel im Anfang des Textes "Kursbuchreisen".

    Die rasche Technik arbeitet daran, elektrische Züge zu schaffen, die 150. 180, 200 Kilometer in der Stunde rasen. In schwimmenden Palästen wird der Ozean eilends durchmessen. Fahrräder lassen die längste Chaussee in einen Punkt zusammenschrumpfen. Die automobile Höllenmaschine, der Ha« der Landstraßen, vermag in einer Stunde 50 Kilometer, 20 Menschen, 40 Hühner, 30 Gänse und 10 Schweine zu verschlingen. Über die Alpen fliegt der Luftballon, den Tausende von Erfindern lenkbar zu gestalten sinnen. Durch Granit und Basalt bohren sich kühne Tunnel, über tief eingeschnittene Flusstäler spannen sich gewaltige Brücken in fast zierlichem Eisenfiligran. Zeit und Raum selbst scheinen sich in Verkehrsmittel zu materialisieren, und der schwerfällige Mensch gewinnt schier die Flügel des elektrischen Funkens, des Sonnenstrahls und des Schalls. Die Gesetze aber gewähren den Staatsbürgern das Recht der Freizügigkeit: mögen sie sausen, wohin sie wollen. bitte, nur einzusteigen! Die Menschen aller Länder sind Nachbarn geworden und die Erde ward zum Dorf. in dem man über die Wendekreise spaziert wie über eine Wiese.

    Mit leichter Hand wird um die Jahrhundertwende eine globale Welt entworfen, die Eisner wieder zunichte macht, indem er auf den in engsten Verhältnissen lebenden Großstädter hinweist:

    Er wird in einer Gefängniszelle geboren, sieht immer dasselbe kleine Stück Himmel durch das enge Gitterloch und stirbt an der Stätte der Geburt. Die Erde und ihre Menschen bleiben Ihm fremd wie der Sirius und der Jupiter. Kaum weiß er, wie es eine Stunde weiter aussieht.

    Im März 1907 ging Eisner nach Nürnberg, um dort die "Fränkische Morgenpost" zu übernehmen, eine sozialdemokratische Tageszeitung. Aber dort geriet er in ein neues Spannungsfeld: Eisner, verheiratet, drei Kinder, hatte ein außereheliches Verhältnis; in der Partei begann die Gerüchteküche zu brodeln. Als die Zeitung dann Verluste machte, die wohl nicht von ihm zu verantworten waren, war rasch wieder Schluß. Eisner war 1909 wieder dort, wo er 1905 gewesen war.

    Diesmal (...) werde ich also hinausgeworfen - ein mausetoter Mann. Will sehen, ob ich noch einmal lebendig werde. Immerhin ist's eine andere Form des Schauspiels wie damals. Und ich bin ruhiger, kälter, weil ich keine Illusionen mehr zu verlieren habe. Ich beobachte die Dinge seelisch wie aus der Ferne - fast mit Humor.

    Eisner baute eine Feuilletonkorrespondenz auf, übersiedelte 1910 nach München, wurde Landtagskorrespondent. In Dessau erhielt er das Angebot einer Kandidatur für den Reichstag, aber als dort die Gerüchte über die Zerrüttung seiner Ehe umliefen, war es auch damit wieder vorbei. In der bayrischen Sozialdemokratie fand er sich sofort zurecht; es scheint so, als sei er in deren Sonderweg des Reformismus aufgegangen. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, schlug für die Sozialdemokraten eine bittere Stunde. Am 4. August 1914 bewilligten sie einstimmig im Reichstag die Kriegskredite. Eisner war einer der ersten, die in dem drohenden Ereignis eine Verteidigungskrieg der Deutschen sahen und sich in die patriotische Front einreihten. War er vom chauvinistischen Taumel erfasst worden? Gewiss auch. das ist nicht auszuschließen, aber es gibt zwei andere Begründungen. Zum einen seine Abneigung gegen das absolutistische zaristische Regime:

    Das deutsche Proletariat weiß, dass es den Vernichtungskrieg gegen den Zarismus gibt, den wir gepredigt, solange es eine deutsche Sozialdemokratie gibt (...) Jetzt hat der Zarismus angegriffen, jetzt haben wir keine Wahl, jetzt gibt es kein Zurückblicken. Jetzt hat das deutsche Proletariat den Erbfeind der europäischen Gesittung zu vernichten, als Deutsche, als Demokraten, als Sozialisten ergreifen wir die Waffen für die gerechte Sache.

    Zum anderen war er, was ihm gewiss anzulasten ist, ein Opfer der Propaganda über die Kriegsschuld. Im übrigen hat er als erster deutscher Journalist den exakten Beginn des Krieges vorausgesagt. Es standen ihm geheime Informationen zur Verfügung. Über die deutsche Schuld war er sich bereits im Februar 1915 vollständig im Klaren, aber er hielt noch immer an der Notwendigkeit fest, sich in die nationale Front einzureihen. Im Krieg war er vollständig isoliert. Die auf einen "Burgfrieden" mit dem nationalen Lager bestehende Mehrheit der Sozialdemokraten sah in ihm einen Querulanten, den es nach Möglichkeit zu isolieren galt. Seine allmählich pazifistischen Artikel, die auch über die deutsche Kriegsschuld räsonierten, konnten an der Zensur nicht vorbeigeschmuggelt werden. Später wurde ein Extrabuch mit Kommentaren veröffentlicht, die "Unterdrücktes aus dem Ersten Weltkrieg" enthielten. Mit der Abspaltung der U8PD, der Unabhängigen, und der Gründung einer eigenen Partei auf dem Parteitag in Gotha Anfang April 1917 schlug seine Stunde. Obwohl er das Schisma der Partei missbilligte, trat er der linken Abspaltung in München am 1. Mai bei. Er konnte nun unabhängig und auf einem eigenen Forum agieren» denn er kritisierte inzwischen die SPD wegen ihres Kurses unverhohlen:

    Indem die sogenannte sozialdemokratische Mehrheit die Kriegspolitik der Regierenden unterstützt, indem sie die deutschen Massen über das Wesen dieses Krieges, über die Ziele eines (Reichskanzlers) Bethmann irregeführt, indem sie endlich Agentendienste für jene vorgetäuschten Friedensbestrebungen der deutschen Regierung leistet, die in Wahrheit nur eine listige Form ihrer Kriegs- und Eroberungspolitik sind, übernimmt diese Sozialdemokratie die Verantwortung für die Fortsetzung der Menschenschlächterei, versperrt sie den einzigen Weg zum Frieden.

    Er gründete Diskussionsabende, an denen auch anarchistische Genossen teilnah men, eine stetig wachsende Schar Unzufriedener, verbündet im Kampf gegen den Krieg und den schneidenden Durchhaue-Militarismus. Unter ihnen war auch der werdende Dichter Ernst Toller. Gemeinsam versuchten sie im Januar 1918, einen Generalstreik durchzusetzen, wobei Eisner großen Einfluss auf die Planung dieser Massenaktion hatte. Er hielt die Zeit für reif, dass mit dieser Aktion der Sturz des wilhelminischen Regimes herbeigeführt werden könnte, doch musste er sich von zaudernden Genossen, vor allem in Berlin, eines Besseren belehren lassen. Eisner wurde verhaftet und achteinhalb Monate eingesperrt. Er hatte sich gegen den Vorwurf des Landesverrats und der Sabotage der Landesverteidigung zu wehren. Die ausweglose militärische Lage und der innenpolitische Druck führten jedoch im Oktober zu seiner Entlassung, ohne dass es zu einem Verfahren gekommen wäre. Gut drei Wochen später brach in München die Revolution aus. Die Linksparteien und die Gewerkschaften riefen für den 7. November 1918 zu einer Massendemonstration gegen den Krieg auf. Eisner mit der USPD, die mehr beabsichtigen als nur eine pazifistische Veranstaltung, sollten durch die überwältigend große Zahl der Mehrheitssozialisten eingebunden werden. Aber das gelang nicht: Eisner zog von der Münchner Theresienwiese mit rund 100 Anhängern zu den Kasernen, wo sich die Soldaten anschlössen, die Revolution war da. Eisner erklärte am nächsten Tag in seiner ersten Rede vor dem in der Nacht gegründeten provisorischen Nationalrat;

    Es war ein Stück Überraschungsstrategie, mit der wir das alte Bayern aus den Angeln gehoben haben. Niemand hat vor zwei Tagen noch dergleichen für möglich gehalten und niemand hielte es heute für möglich, dass Einrichtungen jenes uns jetzt als graueste Vergangenheit erscheinenden Gestern wieder auferstehen können.

    Eisner suchte die Zusammenarbeit mit den Mehrheitssozialisten, wollte das linksli- berale Bürgertum gewinnen, bekämpfte jede Art von Bolschewismus, begründete die Revolution mit ethischen und demokratischen Prinzipien, machtpolitisch stützte er sich, zumal die USPD nur einen winzigen Teil von Anhängern mobilisieren konnte, auf die Räte als basisdemokratisches Instrument. Jedenfalls suchte er ein realpolitisches Bündnis für utopische Vorstellungen zusammenzubringen. Das konnte in hundert Tagen Regierungszeit nicht gelingen: die Divergenzen waren zu groß, die Kräfteverhältnisse zu schwankend, die Mehrheits-SPD als Koalitionspartner unzuverlässig und mit einigen Führern durchaus bereit zum Verrat, die Zeit, die Eisner blieb, zu kurz. um Kontur zu gewinnen. Bereits am 12. November, vier Tage nach der Revolution, wurde die Bayerische Volkspartei als Sammelbecken konservativer und reaktionärer Kräne wieder gegründet. Sie sollte bald die Geschicke Bayerns in die Hand nehmen. Eisner konzentrierte sich auf drei Aufgaben, von denen jede, für sich genommen, jahrelanger Anstrengungen bedurft hätte: er wollte von Bayern aus die Aussöhnung mit den Kriegsgegnern erreichen und die deutsche Kriegsschuld anerkennen; er wollte eine föderale Struktur in Deutschland durchsetzen und geriet in einen heillosen Konflikt mit dem Berliner Zentralismus und den Interessen der im Januar 1919 neu gewählten Nationalversammlung; er erstrebte eine rasche und gründliche Demokratisierung der Gesellschaft, ließ aber den bisherigen Beamtenapparat unbehelligt. Vor allem die Münchner Presse formte von ihm ein Stereotyp vom Literaten, den es in die Politik verschlagen habe, und vom landfremden Juden, der aus Polen stamme und einen anderen Namen trage, ein Zerrbild, das er mangels publizistischer Unterstützung nicht korrigieren konnte und das sich in Grundzügen bis heute erhalten hat- Sein Biograph Bernhard Grau zieht jedoch ein differenziertes Fazit:

    Konstatiert man daher auf der einen Seite das weitgehende Scheitern der von Eisner verfolgten Politik, so dürfen umgekehrt sein Ideenreichtum, sein Mut zur Veränderung und die innere Konsequenz seiner politischen Aktivitäten nicht übersehen werden. Fragt man nach den integrierenden Momenten seiner Politik, so ist vor allem auf sein stetiges Bemühen um einen klaren Neuanfang, um einen eindeutigen und irreversiblen Bruch mit dem politischen und gesellschaftlichen System der Vergangenheit zu verweisen.

    Am 21. Februar 1919 wurde er auf dem Weg zum Landtag, wo er seinen Rücktritt erklären wollte, von dem zweiundzwanzigjährigen Grafen Arco auf Valley ermordet.