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Lebensversicherungen
Auf jeden Fall nachrechnen und ruhig Blut bewahren

Der vorzeitige Ausstieg aus einer Lebensversicherung könnte nach einem neuen Urteil für Kunden einfacher und lukrativer sein. Um die Durchsetzung der Ansprüche müsse der Kunde vermutlich aber hart kämpfen, sagt Axel Kleinlein, Vorstandschef des Bundes der Versicherten, im Deutschlandfunk-Interview.

Axel Kleinlein im Gespräch mit Georg Ehring | 20.12.2013
    Georg Ehring: Eine Kapital-Lebensversicherung bietet einerseits eine Absicherung für die Hinterbliebenen im Todesfall; vor allem aber soll die Rendite beim Ablauf zum Eintritt ins Rentenalter stimmen. Letzteres funktioniert immer weniger: Die Zinsen sinken und die Auszahlung am Ende ist in den meisten Fällen wohl niedriger als erwartet. Der Europäische Gerichtshof hat gestern ein Urteil gefällt, das manchen Kunden einen Ausstieg aus solchen Verträgen ermöglichen könnte. Verbraucher, die nicht über ihre Rücktrittsmöglichkeiten informiert wurden, können auch viele Jahre später noch aussteigen, so das Urteil. - Telefonisch verbunden bin ich jetzt mit Axel Kleinlein, dem Vorstandschef des Bundes der Versicherten in Henstedt-Ulzburg. Guten Tag, Herr Kleinlein!
    Axel Kleinlein: Guten Tag!
    Ehring: Herr Kleinlein, wer kann denn jetzt aussteigen?
    Kleinlein: Wer genau und zu welchen Konditionen aussteigen kann beziehungsweise wer Widerspruch einlegen kann, das muss noch genauer spezifiziert werden, denn das EuGH hat jetzt die Grundsatzentscheidung gefällt. Das muss aber vom BGH hier in Deutschland, in Karlsruhe, jetzt noch mal wieder genauer präzisiert werden, wie das genau umgesetzt werden soll in Deutschland.
    Ehring: Was heißt denn ein Ausstieg in diesem Fall? Gibt es dann alles Geld zurück?
    Kleinlein: Im Idealfall das ganze Geld zurück plus ein wenig Verzinsung. Die orientiert sich dann an dem üblichen Marktzins. Das kann in vielen Fällen erheblich besser sein, als jetzt tatsächlich bei den Versicherungsverträgen ganz normal herauskäme. Wir müssen aber hier noch mal genau schauen, wie der BGH das ganze dann umsetzt. Jetzt sofort loszugehen und Widerspruch gegen den eigenen Vertrag einzulegen, ist nicht der beste Weg, sondern erst mal ein paar Tage abwarten, bis wir hier auch eine Übersicht haben, wie es dann am Schluss läuft.
    Axel Kleinlein, Vorstandsvorsitzender Bund der Versicherten (BDV).
    Axel Kleinlein, Vorstandsvorsitzender Bund der Versicherten (BDV). (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    Wichtig auf jeden Fall auch: Nicht nur Kapital-Lebensversicherungen sind betroffen, sondern auch private Rentenversicherungen bis hin zur Riester-Rente, alles, was an Versicherungsverträgen zwischen 1994 und 2007 abgeschlossen wurde.
    Ehring: Wie prüfe ich denn, ob ich solche Möglichkeiten habe? Muss ich da in meine alten Widerrufsbelehrungen gucken, in die Versicherungsunterlagen?
    Kleinlein: Wenn Sie entsprechende Unterlagen haben, bekommen haben, mit entsprechenden Widerrufsbelehrungen, ist das natürlich ein Hinweis. Richtig knifflig wird die Fragestellung nämlich darin, ob Sie selber angeben müssen, ob Sie die Widerrufsbelehrung bekommen haben, oder aber, ob der Versicherer nachweisen muss, also in der Beweispflicht steht, dass er Sie auch sauber als Kunden belehrt hat.
    Ehring: Für wen ist das denn interessant? Es heißt doch eigentlich immer, es macht derjenige Verluste, der einen Vertrag nicht bis zum Ende durchhält. Man sollte besser bis zum Ablauf zahlen, auch wenn die Versicherung eigentlich so toll gar nicht gewesen ist.
    Kleinlein: Das ist auch meistens der Fall. Nur bei dem normalen Kündigen, da ist es ja so, dass Sie nur den Wert herausbekommen als Rückkaufswert, der sich aus dem bisherigen Vertragsverlauf ergeben hat, und das heißt, aus den sogenannten Sparbeiträgen. Die sind erheblich geringer als die volle Prämie, sodass es einige Zeit dauert, bis Sie selbst mit dem Garantiezins zumindest mal das herausbekommen haben, was Sie an Prämien eingezahlt haben.
    Bei einer Rückabwicklung, wie sie bei einem Widerruf möglich wäre, da schaut das ganz anders aus, denn dort wird nicht der Sparbeitrag als Grundlage genommen, sondern die volle Prämie. Das ist in vielen Fällen erheblich lukrativer und interessanter.
    Potenziell ein Großteil aller Verträge betroffen
    Ehring: Das heißt, Sie raten Kunden, die in dieser Zeit Versicherungsverträge abgeschlossen haben, in jedem Fall erst mal nachzurechnen?
    Kleinlein: Auf jeden Fall gilt es nachzurechnen. Es gilt auch, genau zu schauen, wie die Regelung vom Europäischen Gerichtshof denn jetzt umgesetzt wird in Deutschland, und hier ruhig Blut bewahren.
    Ehring: Der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft hat sich gestern auch dazu geäußert. Er sagte, es sei ja früher auch korrekt über Widerspruchsrechte informiert worden. Gilt möglicherweise das ganze nur für eine kleine Minderheit der Verträge?
    Kleinlein: Wir gehen davon aus, dass das fast alle Verträge betrifft, denn der große Glaube, den der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft darin hat, dass die Kunden wirklich sauber informiert wurden, diesen Glauben können wir nicht teilen. Die Erfahrung zeigt, dass es eigentlich ganz anders gelaufen ist in vielen, vielen Fällen, sodass man davon ausgehen kann, dass potenziell ein Großteil aller Verträge betroffen ist.
    Ehring: Wird es denn jetzt teuer für die Versicherungen, was erwarten Sie?
    Kleinlein: Auf dem Papier scheinen sich im Moment erst mal recht große Zahlen und Werte abzuzeichnen. Die Allianz spricht ja von mehreren Hundert Milliarden, die hier im Raum stehen. Wir sind da etwas vorsichtiger und schauen uns die Sache erst mal mit nüchternem Gefühl an, denn oft ist es so gewesen, dass bei ähnlichen Urteilen die Versicherungswirtschaft schon den Teufel an die Wand gemalt hat und Horrorszenarien von immensen Rückzahlungen an die Wand gemalt hat. Tatsächlich wurde das aber nie so umgesetzt und die Versicherungswirtschaft hat oft schon immer wieder Wege gefunden, dass Kunden, die eigentlich berechtigte Ansprüche haben, doch nur mit sehr großen Mühen an ihr Geld herangekommen sind. Wir sind da nicht ganz so optimistisch, dass das ein Selbstläufer wird, sondern die Kunden, die betroffen sind und Ansprüche haben, die werden auch darum kämpfen müssen.
    Ehring: Axel Kleinlein, der Vorstandschef des Bundes der Versicherten – herzlichen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.