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Leidenschaft für das Denken

"Geschichte einer Liebe" hat Antonia Grunenberg ihr Buch über Hannah Arendt und Martin Heidegger untertitelt. Wer befürchtet, nun das Übliche und sattsam Bekannte über die Liebesbeziehung zwischen der jungen 18-jährigen Philosophiestudentin aus Königsberg und dem verheirateten 35-jährigen Philosophen aus Marburg lesen zu müssen, wird positiv enttäuscht werden. Denn bei der Lektüre wird schnell deutlich, dass Grunenbergs Buch nicht von der Art ist, aus den privaten Liebesgeschichten berühmter Persönlichkeiten voyeuristisch Hunderte von Seiten zu schlagen.

Von Astrid Nettling | 11.10.2006
    Gleichwohl geht es um Liebe und Leidenschaft, um den zündenden Funken des Eros, der bereits bei Platon gleichermaßen für die Liebesleidenschaft wie für die Leidenschaft des Denkens unabdingbar war. Auch Hannah Arendt und Martin Heidegger beseelte beides: die genuine Leidenschaft für das Denken, das ohne Rücksicht auf Traditionen und eingefahrene Denkwege sich ins Offene, Weglose wagt, in ein "Denken ohne Geländer", wie es später bei Arendt heißt, sowie die Hingabe an die Liebe in ihren vielfältigen Spielarten von Eros und Philía, Leidenschaft und Freundschaft, Treue und Verbundenheit, an die Liebe auch als "Amor mundi" in ihrer Offenheit für das stets streitbare, doch unauflösliche Miteinander der Menschen in der Welt. So ist Grunenbergs "Geschichte einer Liebe" eigentlich die Geschichte zweier hochpassionierter Persönlichkeiten, deren Denk- und Lebenswege die Autorin ausgehend von ihrem unterschiedlichen Herkunftsmilieu sowie vor dem Hintergrund des vergangenen Jahrhunderts mit seinen Brüchen, weltanschaulichen Kämpfen, Katastrophen und persönlichen Dramen erzählt. Denn die Leidenschaft für das Denken lässt beide, die durch die Nationalsozialisten verfolgte Jüdin und den anfänglich in den Nationalsozialismus verstrickten Denker, völlig unterschiedliche, geradezu entgegengesetzte Denkwege einschlagen, durch die sie zu Antipoden werden. Die traumatische Erfahrung von Verfolgung und Exil macht aus ihr die politische Theoretikerin, die auf der öffentlichen, diskursiven Bühne des gesellschaftlichen Raums agiert - das Desaster des politischen Engagements aus ihm den tief in die Philosophie zurückgezogenen Denker der Gelassenheit. Die Liebe schließlich, von der Heidegger noch als 65-Jähriger der Ehefrau Elfride gegenüber bekennt, dass er um des Schöpferischen willen "im 'Eros' leben muss", bringt ihn und Hannah Arendt nach dem Krieg dennoch wieder in eine Nähe und Vertrautheit zueinander trotz des nicht bloß geographischen Abstands zwischen Deutschland und Amerika, wo Arendt seit '41 lebt. 1960 erscheint ihr Buch "Vita activa oder Vom tätigen Leben". Ursprünglich hatte sie es Heidegger widmen wollen, sie unterlässt es. In ihrem Nachlass findet sich eine handgeschriebene Notiz: "Wie sollte ich es Dir widmen, dem Vertrauten, dem ich die Treue gehalten und nicht gehalten habe, und beides in Liebe." Doch Grunenberg belässt es nicht bei der Geschichte dieser beiden. Je enger sich deren Vita mit der Geschichte des Jahrhunderts verschränkt, desto mehr Gestalten treten auf. Karl Jaspers, der Freund und frühe Weggefährte Heideggers, wie dieser vom Gedanken einer radikalen Erneuerung des Geistes und der Gesellschaft beseelt. Auch ihre Wege trennen sich nach '33, vorsichtige Annäherungsversuche nach dem Krieg scheitern. Für Arendt wird Karl Jaspers, bei dem sie vor dem Krieg promoviert hat, nach '45 die philosophische Vertrauensperson schlechthin. Des weiteren treten die Lebensgefährten auf den Plan - Heinrich Blücher, der zweite Ehemann Arendts, dessen geistige Anregungen für ihre Arbeit unschätzbar sind, Gertrud Jaspers, die geistig ebenbürtige Gefährtin ihres Mannes, Elfride Heidegger, auf deren bislang einseitig negatives Image Grunenberg anhand der jüngst veröffentlichten Briefe Heideggers an seine Frau einen differenzierten Blick wirft. Sodann erscheinen einige der namhaften Schüler Heideggers - Intellektuelle vor allem jüdischer Herkunft: Karl Löwith, Hans Jonas, Herbert Marcuse, Günther Anders, der erste Ehemann Arendts. Und nicht zuletzt die Freunde bei ihrem Neuanfang in Amerika: beispielsweise Mary McCarthy, Hermann Broch, der Zionist Kurt Blumenfeld, der Journalist Dwight McDonald. "Wir fangen etwas an, wir schlagen unseren Faden in ein Netz der Beziehungen. Was daraus wird, wissen wir nie", hat Hannah Arendt 1964 in ihrem berühmten Fernsehgespräch mit Günter Gaus formuliert. Dieses zugleich existentielle wie politische Wagnis hatten sie und ihre Denkgefährten durch die Erfahrung des politischen Totalitarismus auf zum Teil lebensbedrohliche Weise erleiden müssen. Dennoch bejaht Arendt dieses Wagnis ohne Abstriche. Zugleich aber weiß sie, dass es nur möglich ist in einem "grundsätzlichen Vertrauen auf die Menschen", wie sie am Schluss des Gesprächs mit Gaus betont. Dieses Vertrauen hat Arendt zeit ihres Lebens in ihre Beziehungen wie in ihr Denken eingebracht. Auch dies eine Spielart des Eros, der Grunenberg in ihrem Buch nachgeht. Überhaupt gelingt es der Autorin souverän, die unterschiedlichen Fäden dieser "Geschichte einer Liebe" auf überzeugende wie überaus lesenswerte Weise miteinander zu verknüpfen. Zumal sie es schafft, die komplexen Denkwege ihrer beiden Protagonisten anschaulich, aber nie plakativ und schon gar nicht parteiisch für die eine oder andere Seite, sondern von der 'Sache des Denkens' her und vor dem Hintergrund ihrer Zeit einsichtig zu machen. Eine Herangehensweise, die vor allem bei einem immer noch umstrittenen Philosophen wie Martin Heidegger ausgesprochen verdienstvoll ist. Was Antonia Grunenberg sich am Schluss ihres Vorworts für die Lektüre erhofft hat, ist ihr voll und ganz geglückt.

    Wie stehen die Protagonisten am Ende da? Entlarvt, beschädigt, rehabilitiert? Wenn es gelungen wäre, images wie diese zu unterlaufen, hätte das Buch seinen Zweck erfüllt.

    Antonia Grunenberg:
    Hannah Arendt und Martin Heidegger. Geschichte einer Liebe
    (Piper Verlag)