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Lesebuch über die Einbürgerung

Obwohl in Deutschland gut vier Millionen Migranten die Voraussetzungen erfüllen, will nur ein Bruchteil von ihnen den deutschen Pass. Warum bleibt die Nachfrage so deutlich hinter den Erwartungen zurück? Diesem Thema geht die Frankfurter Journalistin Canan Topcu in ihrem Buch "Einbürgerung" nach. Reiner Scholz hat es gelesen.

20.08.2007
    Ausländerbehörde, Abteilung Einbürgerungen, Behördenalltag in Deutschland. Wer Deutscher werden will, muss vor allem eines mitbringen: Geduld. Auf dem Gang sitzen zwei Frauen aus dem früheren Jugoslawien, eine armenische Familie und eine junge Türkin, die nun bereits das dritte Mal hier ist:

    "Die Unterlagen muss ich zwar jetzt nicht direkt aus der Türkei herholen, aber türkisches Konsulat ist ja hier. Dennoch dauert es wirklich so lange und halt die Kosten: Ich muss hier Gebühren zahlen, ich muss im türkischen Konsulat Gebühren zahlen, es ist schlimm."

    Die zuständigen Stellen, so scheint es, betrachten Ein- und Ausbürgerungen als Belästigung. Der türkische Staat will seine Bürger nur ungern ziehen lassen, der deutsche heißt sie, so empfinden dies viele Ausländer, nur bedingt willkommen. Und teuer ist die Prozedur außerdem. Allein für den deutschen Pass muss die junge Frau 255 Euro zahlen. Über dieses Thema hat Canan Topcu, Redakteurin bei der "Frankfurter Rundschau", ein Buch geschrieben, in dem sie auch ihre eigenen Erfahrungen verarbeitet. Sie selbst wollte sich lange nicht einbürgern lassen. Mit einem türkischen Ausweis in Deutschland zu leben ist zwar umständlich - vor allem bei Auslandsreisen - aber machbar:

    "Es kam noch Trotz und Verärgerung dazu. Ich habe lange Zeit auf den legalen Doppelpass, also die Mehrstaatlichkeit gesetzt und gehofft. Als ich merkte, das geht gar nicht mehr, habe ich gesagt, wenn ihr mich nicht wollt, dann eben nicht."

    : Schließlich wurde sie doch Deutsche. Mehr aus Zufall. Sie hatte einen Termin beim Fundbüro, gleich daneben war das Einbürgerungsamt. Sie holte sich die Formulare und füllte sie aus. Obwohl die 1965 im türkischen Bursa geborene Journalistin seit ihrer Kindheit in Deutschland lebt und hier studierte, machte sie sich die Entscheidung nicht leicht. Um so enttäuschter war sie über das Procedere:

    "Viele Menschen, die selbstverständlich Deutsche sind und diesen deutschen Ausweis in der Tasche tragen, können das nicht nachvollziehen, dass es auch etwas ganz stark Emotionales gibt, was einen mit den Herkunftspapieren verbindet. Und wenn man den abgibt und den deutschen Ausweis bekommt und in einer so was von tristen Atmosphäre, das war eine große Enttäuschung für mich, dass ich gedacht habe, ich habe so lange gehadert, jetzt bin ich deutsche Staatsbürgerin geworden, und in so einem trostlosen deutschen Büroraum bekomme ich den ausgehändigt. Ich hätte mir schon einen kleinen Willkommensgruß gewünscht, das war mir zu banal."

    Die nun vorliegende Arbeit heißt "Einbürgerung" und ist ein Lesebuch. In ihm finden sich neben gut geschriebenen biografischen Aufsätzen lebendige Reportagen, etwa über gelungene Einbürgerungsfeierlichkeiten sowie Gespräche mit Wissenschaftlern und Verwaltungsexperten. Es enthält farbige Porträts von Migranten: solchen, die sich haben einbürgern lassen und dies nie bereuten, und solchen, die dies nicht wollen. Die Autorin gibt ihrem Buch eine besondere Note dadurch, dass sie nicht nur mit Migranten, sondern auch mit Deutschen über ihr Deutschsein gesprochen hat. Menschen, die übrigens nicht selten auch mit ihrer eigenen Nationalität hadern. Canan Topcu befragte zudem Politiker aus den verschiedenen Lagern. Da wird schnell deutlich, wie tief die Kluft ist zwischen dem komplexen Leben der Migranten und der schlichten Vorstellungswelt mancher Volksvertreter, etwa wenn Wolfgang Bosbach, der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, in dem vorliegenden Interview doziert:

    "Ich halte es für richtig, die Verleihung der Staatsangehörigkeit an bestimmte Kriterien zu binden. Eine Staatsangehörigkeit ist etwas anderes als eine Vereinsmitgliedschaft. Ich bin heute im Fußballverein, morgen im Handballverein und zwischendurch spiele ich Tennis. Das ist etwas ganz anders als die Abstimmung bei der Jahresversammlung des Kegelklubs, bei dem der Kassenführer entlastet wird."

    Deutlich wird auch, dass die deutsche Mehrheitsgesellschaft den Migranten mehr als bisher bieten muss, wenn sie die Zahl der Einbürgerungen erhöhen will. Die Journalistin zeigt auf, wie es gehen könnte. So hat das Land Berlin entgegen dem allgemein rückläufigen Trend mit der öffentlichkeitswirksamen Kampagne "Der deutsche Pass hat viele Gesichter" seine Einbürgerungszahlen um 15 Prozent steigern können. Durch viele Texte schimmern aber auch Zweifel, ob die Gesellschaft das denn wirklich will. Mehrfach gehen die Interviews und Texte in ihrem Buch kritisch auf das neue, jüngst vom Bundestag verabschiedete Zuwanderungsgesetz ein, dass die Hürden wieder höher legt. So müssen ausländische Jugendliche, die Deutsche werden wollen, zwischen ihrem 16. und 23. Lebensjahr künftig ein gesichertes Einkommen nachweisen, was angesichts der Ausbildungsmisere häufig schwer sein dürfte. Martin Jungnickel, der Leiter des Darmstädter Einbürgerungsdezernats, spricht in einem Interview sogar von einem Paradigmenwechsel durch das neue Gesetz:

    "Der Gesetzgeber will, dass jeder Ansatz von 'Nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen' zur Ablehnung von Einbürgerung führt. Früher war der Tenor anders. Wir wollten Einbürgerung, wir wollten, dass die Migration, beginnend mit der Gastarbeitergeneration, zu einem staatsangehörigkeitsrechtlichen Abschluss gelangt, so war die Richtung des 2000 reformierten Gesetzes. Die Idee von Einbürgerungsoffensiven und erleichterter Einbürgerung war damit ad acta gelegt."

    In ihrem Buch räumt Canan Topcu mit manchen schmeichelhaften Lebenslügen auf. Etwa der Vorstellung, alle Migranten würden sofort Deutsche werden wollen, wenn man sie denn nur ließe. Ähnlich hartnäckig hält sich die Fehleinschätzung, das deutsche Recht lasse eine Mehrstaatlichkeit nicht zu. Von allen Menschen, die im Jahr 2005 eingebürgert wurden, durften fast 50 Prozent ihre alten Pässe behalten - völlig legal. Das die Bundesrepublik ausgerechnet gegen die türkische Community besonders streng verfährt und die Doppelstaatlichkeit kategorisch ausschließt, verbittert viele Türken. Und so verwundert es nicht, dass besonders junge Türken, die in Deutschland aufgewachsen sind, von einer deutschen Staatsbürgerschaft nichts wissen wollen. Die Autorin porträtiert eine türkische Familie, in der der Vater begeisterter Deutscher ist und sein Sohn Ugur lieber Türke bleibt:

    "Er sieht, wie er sagt, für sich keine echten Vorteile. Selbst wenn er den deutschen Pass hätte, er bliebe doch für die anderen 'der Türke'. Er würde als Mensch zweiter Klasse behandelt werden, meint der 19-Jährige, der die Mittlere Reife gemacht hat, aber keinen Ausbildungsplatz bekommen hat. Er sehe aus wie er aussieht und habe einen türkischen Namen. Warum also soll er Staatsbürger werden in einem Land, mit dem er sich nicht identifiziert?"

    Das Buch der Frankfurter Journalistin ist gut lesbar, kenntnis- und detailreich. Es hat die Nachteile eines Lesebuches: Wichtiges und Unwichtiges steht zuweilen gleichrangig nebeneinander, manches wiederholt sich. Es hat aber auch den unschätzbaren Vorteil, Akteure sichtbar zu machen und der zuweilen staubtrockenen Materie des deutschen Einbürgerungswesens Anschaulichkeit zu verleihen. Es ist ein Buch für Deutsche, denn Migranten wissen das meiste ohnehin.


    Canan Topcu: Einbürgerung. Lesebuch über das Deutschwerden. Porträts. Interviews. Fakten
    Verlag Brandes & Apsel, Frankfurt am Main, 2007
    170 Seiten, 14,90 Euro