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Lessing-Förderpreis
"Ich nehme den Preis mit gemischten Gefühlen entgegen"

Ein Zeichen setzen gegen Fremdenfeindlichkeit und Polizeigewalt in Sachsen: Das hatte Anna Kaleri im Sinn, als sie die Initiative "Literatur statt Brandsätze" vor knapp einem Jahr ins Leben rief. Dafür erhält sie nun den Lessing-Förderpreis. Im DLF erklärte sie, warum sie ihn mit gemischten Gefühlen entgegen nimmt und wieso das Land nach Helden ruft.

Anna Kaleri im Gespräch mit Antje Allroggen | 20.01.2017
    Eine Büste Lessings steht im sächsischen Kamenz vor dem 1931 eröffneten Lessing-Haus.
    Der Lessing-Preis besteht aus einem Hauptpreis, der herausragende Leistungen im Geiste Lessings (Literatur, Literaturkritik und Theater) würdigen soll. Zusätzlich werden zwei Förderpreise zum Lessing-Preis verliehen. (picture alliance / dpa )
    Antje Allroggen: Auch die junge Schriftstellerin Anna Kaleri glaubt an die Wirkkraft von Literatur. Sie hat in diesem Jahr gemeinsam mit Thomas Freyer* den sächsischen Lessing-Förderpreis gewonnen. Morgen wird ihr die Auszeichnung im Rahmen der Kamenzer Lessingtage übergeben werden.
    Die 1974 geborene Autorin erhält den mit 5000 Euro dotierten Preis für die politische Aktion "Literatur statt Brandsätze". Nach den Nachrichten über Polizeigewalt und Populismus gegenüber Flüchtlingen in Clausnitz, hatte Kaleri die Initiative Ende Februar vergangenen Jahres gegründet. Mehr als 60 ehrenamtliche Autoren haben seitdem mehrere Dutzend Lesungen in ganz Sachsen gehalten, um damit ein Zeichen zu setzen.** Und ich habe sie gefragt, ob sie sich über die Auszeichnung freut.
    Anna Kaleri: Im Grunde genommen ja. Allerdings nehme ich den Preis auch mit gemischten Gefühlen entgegen. Ich freue mich und sehe es als Anerkennung meiner Arbeit und der meiner Mitstreiterinnen und auch als Zeichen, dass die Autoren und Autorinnen, die letztes Jahr dem Aufruf gefolgt sind, die vielen praktischen Unterstützer und Organisatoren, dass die mit ihrem Engagement einen Weg eingeschlagen haben, der weiter begangen werden soll und der auch andere ermutigen soll, sich für den Erhalt und die Weiterentwicklung der bestehenden Demokratie einzusetzen.
    Gemischte Gefühle deswegen, weil der Freistaat Sachsen bei der Nutzung demokratischer Instrumente ja bisher noch nicht so vorbildhaft in Erscheinung getreten ist. Ich denke, man hätte diesem Land nach der Wende ein Zitat auf die Fahnen schreiben sollen, das von einer italienischen Journalistin stammt: von Franca Magnani. "Je mehr Bürger mit Zivilcourage ein Land besitzt, desto weniger Helden wird es später einmal brauchen." Und es zeigt, dass das Land nach Helden ruft, was nicht heißt, dass ich einer bin oder eine Heldin bin oder dass ich eine sein wollte. Und es wäre schon besser, wenn viel mehr Menschen Zivilcourage zeigen, damit das nicht auf den Schultern einzelner lastet.
    "Haben gesehen, wie viel konstruktive Energien in jedem Ort schlummern"
    Allroggen: Wie fühlt man sich denn als Heldin in kleinen Kneipen und Cafés, die nicht gerade in den typischen Hochburgen Sachsens liegen, sondern auch in den Winkeln? Welchen Menschen sind Sie dort begegnet und haben sie durch die Literatur zueinander gefunden?
    Kaleri: Erst einmal haben meine Mitstreiterin Tina Pruschmann und ich Orte kennengelernt, an die wir sonst nicht gelangt wären. Vom Norden Sachsens zum Beispiel Gröditz, ein Ort schon fast an der Grenze zu Brandenburg, bis Neukirchen im Erzgebirge. Und dort haben wir natürlich die engagierten Menschen kennengelernt und gesehen, wie viel konstruktive Energien in jedem Ort auch schlummern, auch in solchen Orten wie Bautzen, Freital, Zwickau. Und dadurch hat sich ein Netzwerk entwickelt und auch das Gefühl, mal jemanden nach Rat zu fragen oder auch sich mal aufzubauen, wenn das nötig ist, weil einem schon mal die Puste ausgehen kann anhand der rechtspopulistischen Problematik, die wir hier in Sachsen haben. Und ich denke, das ist auch eine Erfahrung aus der Initiative, dass man mit Literatur natürlich nicht so viele Menschen hinterm Ofen hervorlocken kann, auch nicht, wenn da "Literatur statt Brandsätze" drübersteht.
    Deswegen haben wir überlegt, das Ganze ein bisschen breiter aufzustellen, mit Angeboten von anderen sächsischen Kulturschaffenden, die in eine ähnliche Richtung wirken wollen, und deswegen haben wir einen Verein gegründet, der heißt "lauter leise e.V. - Kunst und Demokratie in Sachsen". Und damit ist es möglich, auch mit anderen Kunstformen, Kulturformen Angebote im ländlichen Raum oder in den kulturschwachen Gegenden zu schaffen.
    Allroggen: Das heißt aber letztendlich, dass Sie meinen, mit Ihrem Angebot "Literatur statt Brandsätze" kann man nicht jeden hinter seinem Ofen hervorholen. Literatur allein kann diesen Aufwand nicht schaffen?
    Kaleri: Ja, das ist auf jeden Fall ein Ansatz. "Literatur statt Brandsätze", das ist ein Statement, und ich denke, dass solche Slogans auch Impulse setzen können, die über die Teilnehmer der Lesung hinauswirken, dass ich denke, dass der sich schon auch einnisten kann und auch konstruktive Impulse setzt. Und alle unsere Projekte gehen in diese Richtung: Stärkung des Selbstbewusstseins, Dialog fördern, auch konstruktiven Umgang mit Kritik. Das ist unser Anliegen und die Texte sind vor allem literarisch. Sie transportieren nicht unbedingt eine Botschaft, sondern sie stehen für die Vielfalt und Subtilität, die von Literatur im besten Fall ausgeht, und bei allem geht es um Empathie und Weltoffenheit. Das sind die Sachen, die Literatur vielleicht herauskitzeln kann, und auf jeden Fall versuchen wir das in den Gesprächen dann nach der Lesung.
    "Weiß nicht, was man von Literatur erwarten kann"
    Allroggen: Sind Menschen, die lesen, bessere, friedlichere Menschen?
    Kaleri: Ich weiß nicht, was man von Literatur erwarten kann. Vielleicht nicht so viel oder keine unmittelbare Wirkung.
    Allroggen: "Literatur statt Brandsätze" setzt ja ein Versprechen.
    Kaleri: Ja, das eher ein langfristiges Wirken bezeichnet, und ich denke, dass viele Kulturschaffende dazu beitragen können.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    *Anmerkung der Redaktion: An dieser Stelle sprach die Moderatorin ursprünglich von Regisseur, Bühnenbildner und Maler Achim Freyer. Gemeint war jedoch der Dramatiker Thomas Freyer.
    *Anmerkung der Redaktion: Gemeint ist hier, dass 60 Autoren ehrenamtlich Lesungen gehalten haben.