"Sprache von einem anderen Holz" verspricht Evelyn Schlags neuer Gedichtband. Ihre "Holzsprache" erinnert an die Vision einer Schatten-, Wasser-, Stein-, oder Blättersprache in Ingeborg Bachmanns Prosatext "Alles". Die Autorin widmet Bachmann im neuen Gedichtband den Zyklus "Liegt Böhmen am Meer". Sie formuliert damit den Titel des berühmten letzten Bachmann-Gedichts zur Frage um. Signal für ihre zwischen Bewunderung und Abgrenzung schwankende Faszination. "Ingeborg: Es reicht", ruft sie ihrer Kollegin im gleichnamigen Gedicht flapsig entgegen. Im Zyklus "Zögernde Fernsicht" erscheint Bachmann dagegen als glorifizierte Lichtgestalt:
" Ein Vorbild das unseren Horizont überstieg
keine Frage das gleißende Plasma
eines menschlichen Wesens wie wir keine Frage
(...)
Wir mündeten seitwärts von der Sonne in einen Weg "
Dort sucht die Sprecherin auf Nebenpfaden nach der ihr gemäßen lyrischen "Sprache von einem anderen Holz".
Viele Gedichte im neuen Band lassen sich als lyrische Auseinandersetzung mit Ingeborg Bachmann lesen. Zentrales Thema hier wie dort ist Sprache und wie sie unser Denken, Fühlen und soziales Handeln prägt. Sprache unterscheidet und ist damit Bedingung jeglicher Erkenntnis, aber auch Grund schmerzhafter Entfremdung. Dieser Ur-Konflikt wird von beiden Schriftstellerinnen exemplarisch in der Beziehung zwischen Mann und Frau erlebt und dargestellt.
Das Grundmotiv der Liebe ist mehr als ein spezifisches Merkmal weiblicher Weltsicht. Im Liebesverhältnis lässt sich nicht nur die grundlegende antagonistische Spannung der menschlichen Existenz emotional am stärksten vermitteln. In der Zerreißprobe der Liebesbeziehung werden auch die feinsten Nuancen zwischen Anziehung und Abwendung fühlbar. Evelyn Schlag findet dafür ihre ganz eigenen Bilder von poetischer Intimität; wie hier:
" Bis in den Herbst hatten wir uns nie anvertraut.
(... )
Im Winter werden wir wieder glauben es sind wir
die kleiner werden. Es ist die Sonne die sich weit
zurücklehnt. (...)
(...) Jetzt kennen wir uns
an den Unterarmen wo sich die Haut nicht schämt
"
Letztendlich, so Evelyn Schlag im Titel eines ihrer Romane, steht doch hinter allem "Die göttliche Ordnung der Begierden". Sogar die Kunst wird vom Begehren geprägt. In "Juwelen Brasiliens", dem ersten Zyklus des Bandes, macht die Lyrikerin genau das sichtbar. Dafür nimmt sich Evelyn Schlag einige der bekanntesten Meisterwerke der Kunstgeschichte vor. Egal, ob es sich um das berühmte Selbstporträt Dürers, ein beliebtes Gauguin-Gemälde mit Südsee-Schönheiten oder um das Martyrium der Heiligen von Corregio handelt: Hinter jedem Kunstwerk verbirgt sich das Begehren. Beim grausamen Massaker an der heiligen Flavia und ihrem Bruder Placidus lenkt die Betrachterin den Blick auf das geheime Zentrum dieses Bildes, wo "des Mörders / entblößte linke Brust die pralle Beere der Erregung zeigt."
Im "St. Petersburg Poem" wird die "männliche Stadt" zum Geliebten personifiziert. Leidenschaftliche Liebesverse widmet eine Reisende der, nach Dostojewski, "erfundensten Stadt".
" (..) Hörst du wie mich friert.
Du bist nicht meine erste Stadt - bloß die erste
kalte die lächelt. Wir gehen durch einander hindurch.
Ich drücke dir fünf Blätter in die Hand. Plötzlich
wird mir klar - wie verfallen ich deiner Nadel bin. "
Als "Undine" ruft sie aus dem Wasser: "In deinen Armen möchte ich als Ganzes untergehen". Aber die mythische Wasserjungfrau wird am Ende betrogen und erkennt: "Wer sich zu tief einlässt mit dir (wie dieser junge / Himmel) ist selbst schuld wenn er blutet." Als Symbol für ein von Männern fremdbestimmtes Wesen spielt die Wassernymphe auch in Bachmanns Poetologie eine zentrale Rolle.
Die Auseinandersetzung mit Krankheit wird im Zyklus "Pathosverbot" zum Liebesdialog mit dem Tod. Verse an den Geliebten sprechen von der Angst vor dem endgültigen Verstummen:
" Mit einem Halbsatz bin ich in diesen Schlaf
gegangen mit einem Schweigen erwacht.
Es ist kalt. (...)
Mir fehlt ein Stück und mehr von mir.
(...) Kein Alphabet mir eingeschrieben lag ich
aufgebahrt in Weiß anstatt in Schwarz wie du
mich liebst lag ich im eigenen Vergessen. "
Im Zyklus "Die verlorenen Gärten von Heligan" geht die Autorin dem Zusammenhang von Geschlechterverhältnis und Gewalt nach. "Auch Gott ist eben nur ein Mann" denkt man bei der Lektüre des Zyklus' "Conditio divina", eine Liebesklage an den abwesenden Gott. Alle Lebensbereiche gehorchen letztlich der "göttlichen Ordnung der Begierden". Einigen weiteren wie der Zeit, Sprache, Heimat oder Natur spürt Evelyn Schlag in den übrigen Zyklen des Bandes nach.
Ihre mal leidenschaftlich-poetischen, mal zornig-widerborstigen Liebesdialoge sind vieles: poetologischer Diskurs und künstlerische Standortbestimmung, Selbstgespräch und Identitätssuche, aber genauso Sprach- und Gesellschaftskritik. Eins sind sie aber nicht: leicht zu lesen. Evelyn Schlag zeigt die Gedichte als Werkstücke mit Kanten und Spänen in der ihr eigenen "Sprache von einem anderen Holz".
Evelyn Schlag: Sprache von einem anderen Holz.
Gedichte.
Zsolnay Verlag 2008. 144 Seiten
" Ein Vorbild das unseren Horizont überstieg
keine Frage das gleißende Plasma
eines menschlichen Wesens wie wir keine Frage
(...)
Wir mündeten seitwärts von der Sonne in einen Weg "
Dort sucht die Sprecherin auf Nebenpfaden nach der ihr gemäßen lyrischen "Sprache von einem anderen Holz".
Viele Gedichte im neuen Band lassen sich als lyrische Auseinandersetzung mit Ingeborg Bachmann lesen. Zentrales Thema hier wie dort ist Sprache und wie sie unser Denken, Fühlen und soziales Handeln prägt. Sprache unterscheidet und ist damit Bedingung jeglicher Erkenntnis, aber auch Grund schmerzhafter Entfremdung. Dieser Ur-Konflikt wird von beiden Schriftstellerinnen exemplarisch in der Beziehung zwischen Mann und Frau erlebt und dargestellt.
Das Grundmotiv der Liebe ist mehr als ein spezifisches Merkmal weiblicher Weltsicht. Im Liebesverhältnis lässt sich nicht nur die grundlegende antagonistische Spannung der menschlichen Existenz emotional am stärksten vermitteln. In der Zerreißprobe der Liebesbeziehung werden auch die feinsten Nuancen zwischen Anziehung und Abwendung fühlbar. Evelyn Schlag findet dafür ihre ganz eigenen Bilder von poetischer Intimität; wie hier:
" Bis in den Herbst hatten wir uns nie anvertraut.
(... )
Im Winter werden wir wieder glauben es sind wir
die kleiner werden. Es ist die Sonne die sich weit
zurücklehnt. (...)
(...) Jetzt kennen wir uns
an den Unterarmen wo sich die Haut nicht schämt
"
Letztendlich, so Evelyn Schlag im Titel eines ihrer Romane, steht doch hinter allem "Die göttliche Ordnung der Begierden". Sogar die Kunst wird vom Begehren geprägt. In "Juwelen Brasiliens", dem ersten Zyklus des Bandes, macht die Lyrikerin genau das sichtbar. Dafür nimmt sich Evelyn Schlag einige der bekanntesten Meisterwerke der Kunstgeschichte vor. Egal, ob es sich um das berühmte Selbstporträt Dürers, ein beliebtes Gauguin-Gemälde mit Südsee-Schönheiten oder um das Martyrium der Heiligen von Corregio handelt: Hinter jedem Kunstwerk verbirgt sich das Begehren. Beim grausamen Massaker an der heiligen Flavia und ihrem Bruder Placidus lenkt die Betrachterin den Blick auf das geheime Zentrum dieses Bildes, wo "des Mörders / entblößte linke Brust die pralle Beere der Erregung zeigt."
Im "St. Petersburg Poem" wird die "männliche Stadt" zum Geliebten personifiziert. Leidenschaftliche Liebesverse widmet eine Reisende der, nach Dostojewski, "erfundensten Stadt".
" (..) Hörst du wie mich friert.
Du bist nicht meine erste Stadt - bloß die erste
kalte die lächelt. Wir gehen durch einander hindurch.
Ich drücke dir fünf Blätter in die Hand. Plötzlich
wird mir klar - wie verfallen ich deiner Nadel bin. "
Als "Undine" ruft sie aus dem Wasser: "In deinen Armen möchte ich als Ganzes untergehen". Aber die mythische Wasserjungfrau wird am Ende betrogen und erkennt: "Wer sich zu tief einlässt mit dir (wie dieser junge / Himmel) ist selbst schuld wenn er blutet." Als Symbol für ein von Männern fremdbestimmtes Wesen spielt die Wassernymphe auch in Bachmanns Poetologie eine zentrale Rolle.
Die Auseinandersetzung mit Krankheit wird im Zyklus "Pathosverbot" zum Liebesdialog mit dem Tod. Verse an den Geliebten sprechen von der Angst vor dem endgültigen Verstummen:
" Mit einem Halbsatz bin ich in diesen Schlaf
gegangen mit einem Schweigen erwacht.
Es ist kalt. (...)
Mir fehlt ein Stück und mehr von mir.
(...) Kein Alphabet mir eingeschrieben lag ich
aufgebahrt in Weiß anstatt in Schwarz wie du
mich liebst lag ich im eigenen Vergessen. "
Im Zyklus "Die verlorenen Gärten von Heligan" geht die Autorin dem Zusammenhang von Geschlechterverhältnis und Gewalt nach. "Auch Gott ist eben nur ein Mann" denkt man bei der Lektüre des Zyklus' "Conditio divina", eine Liebesklage an den abwesenden Gott. Alle Lebensbereiche gehorchen letztlich der "göttlichen Ordnung der Begierden". Einigen weiteren wie der Zeit, Sprache, Heimat oder Natur spürt Evelyn Schlag in den übrigen Zyklen des Bandes nach.
Ihre mal leidenschaftlich-poetischen, mal zornig-widerborstigen Liebesdialoge sind vieles: poetologischer Diskurs und künstlerische Standortbestimmung, Selbstgespräch und Identitätssuche, aber genauso Sprach- und Gesellschaftskritik. Eins sind sie aber nicht: leicht zu lesen. Evelyn Schlag zeigt die Gedichte als Werkstücke mit Kanten und Spänen in der ihr eigenen "Sprache von einem anderen Holz".
Evelyn Schlag: Sprache von einem anderen Holz.
Gedichte.
Zsolnay Verlag 2008. 144 Seiten