Mittwoch, 24. April 2024

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Lieblingsort Dänisch-Nienhof
Ein Waldweg zum einsamen Ostseestrand

Am Strand von Dänisch-Nienhof kann man besonders gut den Sonnenuntergang über der Ostsee bestaunen. Doch für Dlf-Korrespondent Johannes Kulms ist das eigentlich Faszinierende der 400 Meter lange Weg vom Parkplatz bis zur Steilküste.

Von Johannes Kulms | 06.08.2018
    06.05.2018, Schleswig-Holstein, Schwedeneck: Zwei Personen sitzen vor ihrem Zelt am Ostseestrand. Foto: Frank Molter/dpa | Verwendung weltweit
    Schönstes Sommerwetter in Schleswig-Holstein im Schwedeneck am Ostseestrand (dpa / Frank Molter)
    Ich war schon oft am Strand in Dänisch-Nienhof. Mit Freunden aus Deutschland, Frankreich, Syrien und Argentinien. Oder alleine. Selbst bei bestem Sommerwetter ist dieser Strand 20 Kilometer nördlich von Kiel nicht überlaufen. Und abends lässt sich hier bestens der Sonnenuntergang über der Ostsee bestaunen. Doch das eigentlich faszinierende für mich ist womöglich gar nicht der Strand von Dänisch-Nienhof. Sondern der etwa 400 Meter lange Weg, der zu ihm führt: Vom Parkplatz bis zur Steilküste. Schnurgerade geht dieser Weg durch einen für schleswig-holsteinische Verhältnisse wie einen Urwald wirkenden Forst.
    Jetzt im Hochsommer, wenn die Eichen, Buchen und anderen Laubbäume kräftig Blätter tragen, wirkt der Weg beinahe wie ein Tunnel. Ganz am Ende schillert etwas Blaues.
    Wer gemächlich hier entlangwandert - so wie die Rentnerin, die mir gerade entgegenkommt - dem fällt etwas auf:
    "Man kann sich hierhin setzen, Stück weitergehen und dann hörst du immer die Vogelstimmen. Und da hörst das Meer rauschen – das ist immer so schön."
    "Und was ist schöner: Die Vogelstimmen oder das Meer?"
    "Also, hier im Wald die Vogelstimmen."
    "Also, für Sie ist, auch wenn Sie herkommen, fast der Weg und der Wald fast das größere Highlight als der Strand?"
    "Ja."
    Ein magisches Gefühl
    Der Weg ist das Ziel – da sind wir uns also einig. Auch wenn über die gesamte Länge zwei Reihen mit Betonplatten verlaufen, die mich ein wenig an die Kolonnenwege erinnern, auf denen früher die DDR-Grenzschützer die Grenze zur Bundesrepublik überwachten. Ab und zu rollen hier Autos vorbei auf dem Weg zum Café am Ostseestrand oder zum nahen Campingplatz, der ein paar hundert Meter östlich vom Weg liegt. Ansonsten haben hier Fußgänger und Radfahrer das Sagen. Und ein Rauschen von Vogelstimmen, Bäumen im Wind und der Meeresbrandung die Ohr-Hoheit.
    Wenn ich hier lang gehe, empfinde ich ein beinahe magisches Gefühl. An einem heißen Sommertag wie heute genieße ich die kühle Waldluft und den mich schützenden Schatten.
    "Der Weg ist schön, der ist wirklich klasse. Aber ich sag mal: Für mich hat es… guck mal, ich komm‘ aus dem Schwarzwald, ich kenn' andere Wälder…"
    Die Frau, die dies sagt, geht in wenigen Monaten in Rente. Sie will ihren Namen im Radio nicht hören. Nennen wir sie also Andrea. Andrea kam vor 35 Jahren nach Schleswig-Holstein.
    "Hallo junge Frau. Drei Eurochen…Habern Sie’s nicht n bisschen größer?"
    Seit zehn Jahren treibt sie für den Eigentümer des Parkplatzes oberhalb der Steilküste die Gebühren ein. Ist sie damit eine Art Gatekeeperin? Nein, schüttelt Andrea den Kopf, denn grundsätzlich dürfe hier jeder durch. Nur Autofahrer müssten eben drei Euro zahlen, wenn sie ihren Wagen hier lassen. Drei Euro pro Tag wohlgemerkt.
    "Es kommen ganz tolle Autos vom Parkplatz, die die dicksten Autos haben, machen kehrt weil ihnen drei Euro an der Leasingrate fehlt."
    Wenn das Wetter gut ist, sitzt Andrea im Sommer hier jeden Tag, um die Parkplatzgebühren einzuziehen. Ja, manchmal gehe sie auch den Weg hinunter zur Ostsee durch den Wald, um unten im Café etwas zu essen: "Wenn jetzt noch'n bisschen Wegpflege betrieben würde, wäre es schon ganz angenehm. Es ist `n bisschen ungepflegt!" Andrea meint damit die Brennnesseln und die Brombeerbüsche, die an mancher Stelle den Wegesrand schmücken. Für mich als Großstadtmensch Teil der Kulisse.
    Wilder, schmaler Strand
    Noch vor einigen Jahren war das Waldstück im Besitz des Bundes. Als der die Fläche verkaufen wollte befürchteten manche, dass der neue Eigentümer die Wege sperren oder viele Bäume fällen könnte. Doch das ist nicht eingetreten. Und so lässt sich auch heute wunderbar die Distanz zum Strand unterm sattgrünen Blätterdach überbrücken.
    Auch Armin Lauke und sein Kollege Sven Matthießen haben diesen Weg zurückgelegt. Allerdings nicht zu Fuß, sondern mit dem LKW. Zweimal pro Woche liefern sie während der Saison nun Getränke an das Café am Fuße der Steilküste. Noch vor einigen Jahren gab es dafür eine Seilwinde. Nun geht es nur noch über eine steile Treppe mit 40 Stufen in die Tiefe. 10-15 Mal müssen die beiden pro Lieferung mit der schwer beladenen Sackkarre da runter.
    Gerade als ich Armin Laufe fragen will, was er denn nun vom Waldweg hält, löst sich eine Kiste und kullern ein Dutzend Plastikflaschen die Treppe hinunter:
    "Das ist der schrecklichste Ort, den ich kenn' "
    "Warum?"
    "Ja, weil ich hier die Treppen hoch muss mit der ganzen Ware. Hoch und runter, was meinst', wie anstrengend das ist. So, natürlich ist das 'ne schöne Gegend. Aber für die Maloche ist das scheiße."
    Immerhin: Ab zu und setzen sich die beiden danach auf die Caféterrasse, rauchen eine Zigarette und plaudern mit den Eigentümern. Kundenpflege, wie Armine Lauke sagt. Auch ich habe nun den Strand erreicht. Er ist eher schmal, viele größere Steine liegen herum. Doch er wirkt wild. Genauso wie die heute mal aufgewühlte Ostsee, die sich vor mir im Sonnenlicht öffnet.