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Lustvoll essen gegen Fettsucht

Bloßes Kalorienzählen – das weiß man schon lange – hilft nicht weiter im Kampf gegen die Pfunde. Auf der Dresdner Fachtagung für Ernährungsmedizin und Diätetik sollen Eltern und Kindern grundlegende Kenntnisse über eine gesunde Ernährung vermittelt werden.

Von Alexandra Gerlach | 02.02.2010
    "Was Sie hier sehen, das ist der Energiegehalt der Lebensmittel."

    Barbara Skupin-Knoch steht an einem Messetisch voller Holzklötzchen in unterschiedlichen Höhen. Jeder kleine Holzklotz ist beklebt mit einem stilisierten Lebensmittel, Salami etwa, Bockwurst, Salat, eine Scheibe Brot oder Käse und vieles andere mehr. Daneben steht eine Waage mit zwei Auflageschalen.

    "Je höher das Klötzchen, desto mehr Energie, sprich Kalorien oder Joules, sind enthalten in den Nahrungsmitteln. Hier haben wir etwa Pizza oder Döner, und das ist natürlich enorm hoch, und man könnte dann hingehen und zum Beispiel auf diese Waage einmal diesen Klotz drauflegen und schauen: Was kann ich in einer gesunden Zusammenstellung essen?"

    Die Ernährungsberaterin versucht interessierten Eltern oder Schülern grundlegende Kenntnisse über gesunde Ernährung nahezubringen: Lustvoll, aber vernünftig essen, lautet das Credo dieser Aufklärungskampagne. Denn bloßes Kalorienzählen – das ist längst bekannt - hilft nicht weiter beim Kampf gegen lästige Pfunde oder die krankhafte Adipositas, zu Deutsch Fettsucht. Diese wird, darin sind sich die Experten einig, durch viele Faktoren befördert, ist aber nur teilweise auf die Gene zurückzuführen. Nur mit strengen Diäten kann man sie nicht besiegen.

    Mit besonderer Spannung wird daher seit Monaten auf die Ergebnisse der europäischen Gewichtsreduktionsstudie, der sogenannten Diogenes-Studie gewartet. Die Auswertung dauert noch an, doch die Studie lieferte bereits eine Überraschung, erläutert Andrea Näke von der Technischen Universität Dresden:

    "Die in einem ersten Ergebnis, das im vergangenen Jahr publiziert wurde, gezeigt hat, dass Menschen besonders dann gut an Gewicht reduzieren können, beziehungsweise dann den Gewichtsverlust gut halten können, wenn sie den Protein-Anteil in der Nahrung erhöhen und auch auf die Qualität des Nahrungseiweißes achten."

    Das ist neu, bislang setzten Ärzte und Ernährungsberater eher auf die Reduktion von Zucker und Fett sowie auf viel Bewegung. Mehr als 90 Familien aus Deutschland und über 500 weitere aus sieben anderen europäischen Ländern haben an der Diogenes-Studie teilgenommen. Die erwachsenen Probanden mussten zu Beginn der Studie zunächst acht Prozent ihres Körpergewichts abnehmen, im folgenden Teil der Studie musste die Familie dann eine Diät durchführen, die nach dem Zufallsprinzip ausgewählt worden war. Das erste Studienergebnis zeigte, dass die Probanden weniger an Gewicht zulegten, wenn sie den Proteinanteil in ihrer Nahrung erhöhten. Dieser Zusammenhang führe zu einem Umdenken unter den Ernährungsexperten, sagt Dresdner Ärztin Andrea Näke:

    "Das können wir eigentlich jetzt schon sagen. Es ist sicher auch so, dass wir von manchem Paradigma abweichen müssen, das wir als Ernährungsmediziner propagiert haben, und dazu gehört beispielsweise auch die Sorge vor zu viel Eiweiß, so dass man möglicherweise hier mit den Empfehlungen wieder auf frühere Zeiten zurückgehen kann und sagen kann, es passiert nichts, wenn man mehr Eiweiß isst."

    Das trifft zumindest auf die erwachsenen Probanden zu. Für Säuglinge gelte die neue Erkenntnis hingegen nicht, warnt Kinderarzt Prof. Jobst Henker von der TU Dresden. Zu viele Proteine in der Babynahrung könnten durchaus zur späteren Fettleibigkeit führen, sagt Henker, Adipositas werde sozusagen dadurch in die Wiege gelegt:

    "Wir wissen heute, dass wir in der Vergangenheit bei einer künstlichen Ernährung, also nicht bei einem gestillten Kind, sondern bei einem mit künstlicher Nahrung ernährten Kind, zu viel Eiweiß verabreicht haben, es zu einer späteren Adipositas führen kann."

    Um diese selbstgemachte Fettleibigkeit zu umgehen, rät der Dresdner Professor den jungen Müttern, so lange wie möglich ihr Kind stillen: Auch die Medizinerin Andrea Näke glaubt, dass, entgegen dem Studienergebnis der Diogenes-Studie zur Wirkung guter Proteine beim Kampf gegen das Übergewicht, für Säuglinge und Kleinkinder andere Gesetze gelten. Darüber hinaus wäre sie nicht überrascht, wenn die Veröffentlichung der restlichen Ergebnisse aus der Diogenes-Studie zu einem weiteren Paradigmen-Wechsel in der Ernährungsmedizin führen würde.