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Luthers Geburtsstadt Eisleben
Historische Spuren des Reformators

Martin Luther fühlte sich seiner Geburtsstadt zeitlebens besonders verbunden. Immer wieder nahm er die Gelegenheit wahr, Eisleben zu besuchen. Die Stadt profitiert vom Namen des berühmten Theologen - und erinnert in vielfacher Weise an ihn.

Von Wolfram Nagel | 20.03.2014
    "Wir stehen jetzt im Hof von Luthers Geburtshaus in Eisleben, zur Rechten sieht man das eigentliche Geburtshaus, der Ort, an dem Luther 1483 geboren wurde, am 10. November.
    Auf der gegenüberliegenden Seite sieht man die sogenannte Luther-Armenschule.
    Seit dem Ende des 17. Jahrhundert ist mit Luthers Geburtshaus eine Schule verbunden, eine Schule für bedürftige Eislebener Kinder, in der sie im Sinne Luthers erzogen wurden. Gelebte Lutherverehrung in der Zeit des Pietismus wird auch hier in Eisleben deutlich."
    So der Historiker Christian Philipsen von der Stiftung "Luther-Gedenkstätten in Sachsen-Anhalt". 1817 verfügte Preußenkönig Friedrich Wilhelm III., dass Luthers Geburtshaus für immer "und zwar ganz mit Beibehaltung seiner Form und innerer Einrichtung in baulichen Würden" zu erhalten sei. Seit dem Wiener Kongress 1815 gehörten Eisleben und auch Wittenberg nicht mehr zu Sachsen sondern zum Königreich Preußen. Als oberster Bischof der unierten Kirche Preußens war der Monarch nun auch für die Pflege des lutherischen Erbes zuständig.
    Preußen war uniert, das heißt, die Bevölkerung war ja weitgehend bis zur Union lutherisch. Nur das Königshaus hatte den reformierten Glauben angenommen. Insofern gab es natürlich immer auch im Preußischen Staat lutherische Kräfte.
    In der Zeit der deutschen Nationalbewegung im 19. Jahrhundert wurde Luther immer mehr zu einem Nationalhelden stilisiert, der fremden Mächten wie Papst und Kaiser trotzte.
    Besonders in Städten, die mit dem Leben des Reformators in irgendeiner Weise verbunden sind, entstanden große Lutherdenkmäler, wie in Augsburg, Worms, Wittenberg oder Eisleben.
    Und die Lutherstätten in Wittenberg und in Eisleben, die schon eine viel längere Tradition haben, die schon seit dem 16. Jahrhundert Gedenkstätten sind, werden neu definiert, umgestaltet, bekommen Ausstellungen, werden thematisch verändert.
    Eisleben war bereits im Spätmittelalter eine bedeutende Bergbaustadt
    Seit dem 13. Jahrhundert wurden hier Kupfererz und Silber gefördert. Vom einstmaligen Reichtum zeugen die großen Kirchen, das Renaissance-Rathaus oder das prächtige Residenzschloss der Grafen von Mansfeld. Das Geburtshaus Martin Luthers etwas abseits des Marktplatzes war damals nur ein schlichter Fachwerkbau. Hier mieteten sich Luthers Eltern im Sommer 1483 ein. Sein Vater, Hans Luder, Sohn eines wohlhabenden Bauern aus Thüringen, wollte im Mansfelder Revier eine Existenz als Bergbauunternehmer gründen.
    "Er heiratet in Eisenach Margarete Lindemann, die Tochter eines Eisenacher Ratsherren, gemeinsam ziehen sie nach Eisleben, wo sich der Vater innerhalb weniger Jahre als Bergbauunternehmer etabliert."
    Margaretes Onkel, Antonius Lindemann, Bergwerksverwalter der Grafen von Mansfeld, ebnete ihnen den Weg. Allerdings blieb die Familie Luder nicht lange in Eisleben. Schon im Frühjahr 1484 zog sie ins benachbarte Mansfeld, um sich dort in einem standesgemäßen Stadthof niederzulassen.
    "Luthers biografische Zeit in Eisleben ist sehr kurz. Letztendlich lebt er hier ein halbes Jahr. Er kommt aber immer wieder zurück. Eisleben ist die Hauptstadt der Grafschaft Mansfeld.
    Er hat enge Beziehungen zu den Grafen von Mansfeld. Und er kommt hierher, um einzugreifen, um die Reformation umzusetzen. Und so finden wir in Eisleben zahlreiche Orte neben dem Geburtshaus, neben dem Sterbehaus, die mit Luthers Werk verbunden sind."
    Namensänderung: aus Luder wird Luther
    Im frisch sanierten Geburtshaus an der Lutherstraße erfährt der Besucher nicht nur etwas von der Frömmigkeit oder vom Kupferbergbau im späten Mittelalter, auch der Namenswandel des Reformators von Luder zu Luther wird erklärt. Anders als früher vermutet, hat diese Namensänderung nichts mit einer Lautverschiebung von "d" zu "th" zu tun. Vielmehr sei Luther ein programmatischer Name, erklärt der Historiker Christian Philipsen.
    "Als Martin Luder aus Mansfeld immatrikuliert er sich in Erfurt. Und dann an einem Wendepunkt seines Lebens, 1517, in dem Moment, als er in den Streit mit der Kirche eintritt, nimmt er einen neuen Namen an. Er nennt sich ein Jahr lang Martinos Eleutherios, gibt sich einen griechischen Namen, unterschreibt so seine Briefe. Eleutherios kommt vom griechischen Wort für Freiheit, also Martin der Freie. Ein Jahr später, 1518, taucht dann zum ersten mal Martin Luther auf. Was er gemacht hat, einfach den griechischen Namen 'eleutherios' in das Deutsche übertragen. Und so wurde aus Luder Luther."
    Luthers Eltern lebten noch ganz im alten Glauben und erzogen ihre Kinder auch in diesem Sinne. Der Vater, Hans Luder, gehörte der Mansfelder Marienbruderschaft an, die einen eigenen Altar für die dortige Stadtkirche stiftete. Auch als Messdiener und Lateinschüler kam Martin Luther sehr früh mit den altkirchlichen Vorstellungen von der Heilsvorsorge im Jenseits und dem Sündenablass in Berührung, die später zum Auslöser der Reformation werden sollten.
    Die Mansfelder Stadtkirche bekommt 1502 einen Ablass verliehen, der demjenigen, der vor einem Marienbild betet, einen bestimmten Ablass der Zeit im Fegefeuer gewährt, natürlich verbunden mit einer Spende für den Kirchenbau.
    Wenig bekannt ist, dass Luther noch kurz vor seinem legendären Thesenanschlag in Wittenberg ein Kloster der Augustiner-Eremiten in Eisleben gründete. Das war 1515, vier Jahre nach seiner Romreise. Als Distriktvikar beaufsichtigte er die Augustiner-Klöster Mitteldeutschlands, neben seinem Amt als Theologieprofessor in Wittenberg. Martin Luther stand am Vorabend der Reformation also noch mit beiden Beinen im Dienst der Römisch- Katholischen Kirche.
    Er handelt eben in dieser Funktion mit den Grafen von Mansfeld die Gründung des Eislebener Klosters aus. Und ist dann auch bei der Weihe der Klostergebäude 1516 anwesend. Das letzte Kloster dieses Ordens in Deutschland, das vor der Reformation gegründet wird.
    Der Markt mit dem Rathaus in Eisleben
    Der Markt mit dem Rathaus in Eisleben (Deutschlandradio)
    Angespanntes Verhältnis zum Vater
    Zwar besuchte Luther bei jeder sich bietenden Gelegenheit seine Geburtsstadt und auch die Familie in Mansfeld. Zum Vater, dem angesehenen Bergbauunternehmer, herrschte seit seinem Klostereintritt im Jahre 1505 eine gespannte Beziehung. Der älteste Sohn sollte nach dem Jurastudium in Erfurt in die gräfliche Verwaltung eintreten und später das Familienunternehmen leiten. Erst 1525, als Luther Katharina von Bora heiratete, kam es zur Versöhnung.
    Luther reflektiert über diese Entwicklung in seiner berühmten Schrift, über die Mönchsgelübde. Diese Schrift widmet er dem Vater. 1522 wird sie veröffentlicht und in der Vorrede beschreibt er diese Entwicklung und sagt dem Vater, du hast das aber damals schon besser gewusst, dass das Mönchsleben nicht das Richtige für mich ist, hattest eine ehrenvolle Hochzeit für mich vorgesehen und ich habe gegen das vierte Gebot verstoßen. "Du sollst Vater und Mutter ehren".
    Dem Leben der Familie Luder beziehungsweise Luther wird sich schon bald ein neues Museum in Mansfeld widmen. Das Elternhaus ist zumindest in Teilen original erhalten. Hier lebte Martin Luther von 1484 bis 1497. Es liegt nicht am Lutherweg Sachsen-Anhalts und gehört auch nicht zum UNESCO-Welterbe. Dennoch kann es besonders authentisch vom Alltagsleben der Familie erzählen. Archäologische Grabungen haben in den vergangenen Jahren erstaunliche Dinge zu Tage gefördert:
    In einer Abfallgrube, die dort entdeckt wurde, fand man Speisereste, Kleidungsreste, man weiß also, wie die Familie angezogen war, das Bild, das sich dort abzeichnet, ist das Bild eines wohlhabenden bürgerlichen Haushalts am Vorabend der Reformation
    "Eigentlich hätte das elterliche Haus in Mansfeld die bedeutendere Luther-Stätte sein müssen, verbrachte doch der Reformator dort nach Wittenberg die längste Zeit seines Lebens. Kaum war er 1546 gestorben, entwickelte sich um seine Person eine Art protestantische Heiligenverehrung. Eisleben wurde zum Alpha und Omega der lutherischen Heilsgeschichte, wie Bethlehem und Jerusalem für Jesus Christus. Das belegt ein epitaphartiges Gemälde aus dem 16. Jahrhundert. Es erinnert an katholische Bittstöcke, wie sie bis heute in Oberbayern oder im Eichsfeld zu finden sind."
    Eine Gedenkstätte für Luther
    1583 zur Hundertjahrfeier wird diese Tafel neben der Eingangstür angebracht. Es zeigt Luther im ganzfigurigen Porträt mit der Bibel in der Hand und eben als Sinnbild seiner Theologie mit Blick auf den Gekreuzigten. Das ist die erste nachweisbare Darstellung Luthers im öffentlichen Raum, mit Blick auf die Straße.
    Fast 100 Jahre lang markierte die Tafel das Fachwerkhaus, das sich in Privatbesitz befand. 1680 wurde sie abgenommen und ins Rathaus gebracht – Ursprung einer der vielen Lutherlegenden.
    Der Grund dafür war, im Erdgeschoss des Hauses war eine Taverne entstanden und das war nicht mit der Lutherverehrung vereinbar. Dadurch übersteht sie den Brand von 1689. Im neuen Haus nach der Eröffnung wird sie wieder als museales Objekt gezeigt. Diese Tafel wird zum "unverbrannten Luther". Also zu einem wundersamen Luthergemälde, das auf wunderbare Weise von Gott beschützt den Brand überstanden habe.
    Die Eislebener Ratsherrschaft nutzte den Brand, um das Grundstück zu erwerben. Es entstand ein frühbarocker Neubau mit großzügigem Eingangsbereich und großen Räumen, wie es sie in dem alten Fachwerkhaus nicht gab. Das 1693 eröffnete Geburtshaus ist eines der ersten städtischen Museen in Deutschland und schon deshalb ein wichtiges Denkmal.
    "Also wir stehen nicht mehr in dem mittelalterlichen Fachwerkhaus, in dem Luther geboren wurde, sondern in einer Gedenkstätte, in der ersten auch architektonisch gestalteten Gedenkstätte für Luther."
    In der gleichzeitig die erste Armenschule der Stadt untergebracht war, ganz im Zeichen der lutherischen Forderung: Bildung für alle. Der städtische Lehrer fungierte gleichzeitig als Kustus des Museums. Er hatte sogar das Recht, Eintritt von den Besuchern zu nehmen.
    Obwohl das Haus komplett umgestaltet wurde, bekam es ein Geburtszimmer mit Geburtsbett und Luther-Wiege, mit Stollentruhe und Kachelofen. Es sei damals darum gegangen, einen Ort zu schaffen, der die Aura des Reformators spüren ließ, sagt Christian Philipsen.
    "Diese Inszenierung gehört zum Haus, die setzen wir auch fort. Auch wir haben jetzt eine Wohnung der Familie Luther gestaltet, allerdings sagen wir' s jetzt den Besuchern, dass es eine Inszenierung ist."
    Im oberen Stockwerk des Museums gibt es einen Raum, in dem die Ratsherren von Eisleben zusammen mit dem protestantischen Klerus Luthers Jubiläen feierten. Luther und Melanchthon stehen überlebensgroß an der Stirnwand, links und rechts flankiert von den sächsischen Reformationsfürsten.
    Luther-Pilger aus aller Welt kommen alljährlich
    Die Reihe der sächsischen Kurfürsten von Friedrich dem Weisen bis Johann Georg IV., der 1693 regiert, als das Haus eröffnet wurde, und eben auch zum Neubau beigetragen hat. Dieser Raum ist für die städtische Gesellschaft ganz wichtig, hier repräsentiert sie sich als lutherische Stadt, hier werden die Lutherfesttage gemeinsam begangen, der Reformationstag, Luthers Geburtstag, Luthers Sterbetag. Also das ist der Ort, wo das Luthergedenken in Eisleben sich präsentiert und fokussiert.
    "Bis heute lebt die "Lutherstadt Eisleben" von den Erinnerungen an Geburt und Tod des Reformators. Der Bergbau, mit dem Luthers Biografie 1443 begann, ist seit der deutschen Wiedervereinigung Geschichte. Auch mit der Kirche haben die wenigsten der 25.000 Einwohner etwas zu tun. Mit rund fünf Prozent Kirchenmitgliedschaft ist Eisleben sogar eine der säkularsten Städte in Europa. Doch alle Bewohner profitieren auf die eine oder andere Weise vom Namen des berühmten Theologen. Zwar werden derzeit weder Kupfer noch Silber im Mansfelder Revier gefördert, doch Luther-Pilger aus aller Welt besuchen alljährlich das Geburts- und Sterbehaus in Eisleben."