Samstag, 20. April 2024


lyrix-Preisträger 2010

Zwölf Nachwuchsdichter aus dem Inland fahren zur Schreibwerkstatt nach Berlin.

21.03.2011
    Die Preisträger 2010 des internationalen Schülerlyrikwettbewerbs lyrix stehen fest. Zwölf Schülerinnen und Schüler aus Deutschland wurden von den Juroren ausgewählt. Damit zeichnet der Wettbewerb nun zum dritten Mal junge Nachwuchsdichter aus aller Welt aus. Die Preisträger aus dem Ausland werden in den kommenden Tagen bekannt gegeben. Ziel der lyrix-Initiative ist es, den Dialog zwischen internationalen Nachwuchstalenten zu fördern. Als Preis erwartet die in- und ausländischen Jahresgewinner ein gemeinsamer Berlin-Aufenthalt mit Schreibwerkstatt und Preisverleihung im Juni 2011. Durch zahlreiche Preisträgerlesungen und bundesweite Schreibwerkstätten hat sich lyrix mittlerweile als bedeutsamer Literaturwettbewerb etabliert. Auch in diesem Jahr haben lyrix-Preisträger auf der Leipziger Buchmesse gelesen.

    Wir freuen uns sehr über die positive Resonanz auf lyrix und möchten uns an dieser Stelle bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern herzlich für die vielen beeindruckenden Beiträge bedanken. Übrigens: Auch in der aktuellen und vierten Runde von lyrix, die in Zusammenarbeit mit deutschen Museen stattfindet, ist der Preis für die Jahresgewinner wieder ein verlängertes Wochenende in Berlin.


    Der lyrix-Jury 2010 gehörten an:
    Die Lyriker Uljana Wolf und Norbert Hummelt, der Hauptabteilungsleiter Kultur des Deutschlandfunks, Dr. Matthias Sträßner, der Literaturkritiker Michael Braun, der Verleger Manfred Metzner (Das Wunderhorn), der Geschäftsleiter des Literarischen Colloquiums Berlin, Dr. Ulrich Janetzki, sowie Malte Blümke für den Deutschen Philologenverband.



    Die lyrix-Preisträger 2010 in alphabetischer Reihenfolge:


    Josefine Berkholz aus Berlin
    Romain Rolland Oberschule, Jahrgangsstufe 10
    "lyrix"-Monat: Juli
    Leitmotiv: Gespräche im Sommer

    Puls

    Dieses Gefühl von Regen auf Asphalt, lauwarm, dampfend,
    Wir haben Staub gefressen, Love,
    Wir haben Regen getrunken
    Wir haben den Beat vom Kopfsteinpflaster geleckt
    Als unsere Füße längst blutige Blasen hatten, als
    Unsere Schuhe längst den Landwehrkanal hinunter trieben
    Und sich zu größeren Helden
    Ins Spreeschlammbett gesellten
    Ich weiß nicht, wann ich das letzte mal
    Müde gewesen bin, ich weiß nicht,
    Wann ich jemals geschlafen habe
    Aber im Morgengrauen
    Hatte ich Worte und Glasscherben zwischen den Zähnen
    Und ich weiß nicht,
    Was wir acht Stunden lang gesprochen haben, aber
    Kurz vor der Dämmerung
    Habe ich dir zugeflüstert, dass alles möglich ist.




    Johanna Fugmann aus Memmelsdorf
    Dientzenhofer-Gymnasium Bamberg, Jahrgangsstufe 7
    "lyrix"-Monat: Juni
    Leitmotiv: Verfehlungen

    Mustermensch

    immer gelächelt
    fröhlich getan.
    immer gelernt
    fleißig getan.
    immer gehorcht
    vernünftig getan.
    immer gesprungen
    höflich getan.
    immer getan
    immer gemacht
    immer vorgetäuscht
    immer das
    Idealbild gewesen.
    immer nur geträumt
    vom Ameisen zertreten
    vom Steine werfen
    vom Schule schwänzen
    vom Stress mit Eltern
    vom dreckigen Lachen
    von Zigarettenqualm
    von Entnüchterungszellen
    von Drogen
    von Sex
    vom abschreckenden Beispiel
    vom "dagegen sein"
    nur geträumt
    nicht das Gefühl zu haben nur so dahin zu leben.
    nur geträumt
    die Hülle "Mustermensch" irgendwann abzustreifen und zu vergessen.
    nur geträumt
    sich selbst je verzeihen zu können.




    Sophie Garbe aus Tübingen
    Uhland-Gymnasium, Jahrgangsstufe 11
    "lyrix"-Monat: September
    Leitmotiv: Familienalbum

    Familienurlaub

    Aufgeklebtes Lachen
    Aus den Sommerseiten
    Gehalten von unserer Erinnerung
    Ans weite Meer
    Wo wir klein waren
    Geschmolzene Eislippen
    Zerflossen in Sonnenstrahlen
    Die unsere Herzen verbrannten
    Und deren fransige Enden wir fingen
    Obwohl nie einer gewann

    Verzogen und verstummt
    Sind die Worte
    Mit denen wir uns malten
    Zusammen vor Wasserlinien
    Die kichernd nach Zehen griffen
    Deren Spuren sie verwischen
    Schnell und gierig
    Den hellen Geschmack kostend
    Der auf unseren Zungen lag

    Der Wind trug Gerüche vorbei
    Nach salzigen Zitronenbäumen
    Und er spülte Sandkörner
    Zwischen das blasse Papier

    So verblichen einsam
    Sie den Boden nun bedecken




    Judith Gerten aus Pulheim
    Geschwister Scholl Gymnasium, Jahrgangsstufe 12
    "lyrix"-Monat: Januar
    Leitmotiv: Erklär mir, Liebe

    Bitte gib mir

    Gib mir Worte, zu beschreiben, was ich fühle
    Silben, Verse, zu umreißen, was ich will
    Gib mir Metren zum Vertreiben dieser Kühle
    Die ich einsam denkend spüre, beißend, still.
    Gib mir Federn, um dir Briefe zuzusenden
    Tinte, Farben, zu skizzieren, wer wir sind
    Gib mir Messer, um die Fesseln zwischen Händen
    zu zerfasern, gib mir Freiheit wie der Wind.
    Gib mir Löwenzahn, um Zukunft auszustreuen
    Rosen, Tulpen, zu erkennen, was vergeht
    Gib mir Buße, meine Taten zu bereuen
    Leid, Erfahrung, um zu schätzen, was besteht.
    Gib mir Wurzeln, meinen Weg nicht zu verlieren
    Äste, Blätter, zu entfalten meinen Geist
    Gib mir Flügel, meinen Pfad zu variieren
    Sei das Feuer, wenn mein Innerstes vereist.
    Gib mir Liebe, wenn ich glaube, zu erblinden
    Sei das Wasser, wenn mein Blütenwerk verwelkt
    Gib mir Kraft, den Weg zu dir zurückzufinden
    Bitte gib mir. Sei der Inhalt meiner Selbst.




    Kai Gutacker aus Niddatal
    Sankt-Lioba-Schule, Bad Nauheim, Jahrgangsstufe 13
    "lyrix"-Monat: Januar
    Leitmotiv: Erklär mir, Liebe

    Gewittersturm

    In meiner Stirn gewittern die Gedanken
    Und kreisen um verblasste Zärtlichkeiten,
    Darin wir einst als Lichterpaar versanken.

    Ein Tanz auf einem Grat aus Unklarheiten,
    In filigranen, dornbesetzten Ranken,
    Wenn körperlose Blitze durch mich gleiten.

    So wie die Wahngesichte eines Kranken
    Verzerren sich die Bilder alter Zeiten,
    Und alle Wirklichkeit gerät ins Wanken.

    Fortuna spielt auf geisterhaften Saiten,
    Der bleiche Himmel tritt aus seinen Schranken
    - In Wind und Donner eingefasste Weiten.

    Ein Kalkrubin erhebt sich in den blanken
    Gestirnen aus verfälschten Zärtlichkeiten ...
    Und über mir gewittern die Gedanken.




    Christiane Heidrich aus Vaihingen/Enz
    Friedrich-Abel-Gymnasium, Jahrgangsstufe 9
    "lyrix"-Monat: Mai
    Leitmotiv: Wie immer

    wie immer

    barfuß am morgen
    der spiegel im bad
    hält sorgen verborgen
    schickt dich in den tag
    monoton gehst du schwer
    nichts besser nichts schlimmer
    grau kalt und leer
    bleibt alles wie immer

    verwundet am abend
    die maske fällt ab
    hat dir nichts zu sagen
    schickt dich in die nacht
    monoton stellt der tisch
    dir ein stuhlbein im zimmer
    du fällst bis du schläfst
    bleibt alles wie immer

    friedlich die nacht
    du atmest ganz leise
    träumst mutig bedacht
    schickst dich auf die reise
    monoton wirst du farbig
    bist kurz der gewinner
    von dem grau das dich bricht
    - bleibt alles wie immer




    Jonas Kohnen aus Ludwigshafen
    Heinrich-Böll-Gymnasium, Jahrgangsstufe 11
    "lyrix"-Monat: Juli
    Leitmotiv: Gespräche im Sommer

    Dem Sommer gesagt

    Der Wind liest mir die Worte von den Lippen
    Der Tag löst sich
    Und ich bin glücklich
    Dass die Wellen des Sees
    Nichts an mich herantragen wollen

    Der Laut des Steins der
    Ins Wasser eintaucht -
    Von sinnleerer Schönheit

    Wortlos die Redekunst der Natur

    Man möchte ihr Worte geben -
    Flaschenpost die keinem Menschen gilt
    Liebesbriefe ohne Empfänger

    Zurück käme nur ein
    Frisches Rauschen der Blätter
    Und das lautlose Mund-Öffnen
    Mund-Schließen der Fische
    synchronisiert
    Vom aufkeimenden Verkehrslärm der Stadt




    Martin Piekar aus Bad Soden
    Friedrich-Dessauer-Gymnasium, Jahrgangsstufe 13
    "lyrix"-Monat: Februar
    Leitmotiv: Was es ist

    Mimikry

    Ich steche mir Nadeln in Augen,
    um genau so zu sehen wie ihr.
    Verstopfe den Mund und die Ohren,
    um das selbe zu wissen wie ihr.
    Ich schneide mein Fleisch um zu narben,
    um das Leiden zu spüren wie ihr.
    Ich breche mir Beine, behindere
    mich selbst, denn ich will faul sein wie ihr.
    Danach fessel ich mir die Hände,
    um genauso zu handeln wie ihr.
    Dann frier ich Gefühl ein in Tiefe,
    um genauso zu fühlen wie ihr.
    Versuche das Denken zu stoppen,
    um so viel zu erreichen wie ihr.
    Versuch zu erahnen doch kann ich
    nicht versteh'n, dass man handelt wie ihr.




    Viktor Reier aus Bremen
    Gymnasium Vegesack, Jahrgangsstufe 13
    "lyrix"-Monat: Juli
    Leitmotiv: Gespräche im Sommer

    wondering if

    dein kuss schmeckt
    nach mangoeis mit
    streuseln, wenn wir rio &
    paris zusammenflüstern
    den sommerschweiß aus
    unserer haut kämmen, wie
    verlauste affen im savannenmond

    ich schäle kippenschachteln & zähle
    die simultanen bässe unserer herzen
    du schläfst deinen orgasmus aus,
    mein arm verschwindet in deinem haselnusshaar

    atem auf atem, schlafe auch ich nun ein
    zwischen deinen ausgeklappten lidern.




    Oliver Riedmüller aus Fürth
    Heinrich-Schliemann-Gymnasium Fürth, Jahrgangsstufe 12
    "lyrix"-Monat: April
    Leimotiv: Kinderfragen

    Wohin?

    "Wohin ist Mäxchen gegangen?"
    - Dein Bruder spielt oben im Zimmer -
    "Wohin ist Oma gegangen?"
    - Zum Arzt, ihr Husten wurd' schlimmer –

    "Wohin ist Opa gegangen?"
    - In den Keller, er holt sich ein Bier -
    "Wohin ist Mama gegangen?"
    - Zu den Engeln, sie lächelt zu dir –

    "Papa, wohin musst du gehen?"
    - Zur Arbeit, die Pause ist aus -
    "Wenn du die Mama siehst, sag ihr,
    ich warte auf sie hinterm Haus."




    Benita Salomon aus Schriesheim
    Kurpfalzgymnasium Schriesheim, Jahrgangsstufe 12
    "lyrix"-Monat: Dezember
    Leitmotiv: Erfindungen, die die Welt (nicht) braucht

    Totalschaden

    Einst ritten Liebespaare
    Bei Sonnenuntergang
    die Allee entlang
    Doch heute ist die Straße
    Nur noch Schauplatz
    eines Schönheitswettbewerbes
    Blecherner Männerträume
    Als Hauptpreis gibt es einen Ehekrach
    Scheidungspapiere und Tränen
    Vor Freude über den neuen Schatz
    Putz- statt Kuschelstunden
    Und am Ende krepiert das junge Glück
    An einem Totalschaden
    Durch einen umstürzenden Baum
    Als Antwort auf den Klimawandel




    Eva Wohlfarth aus Jena
    Christliches Gymnasium Jena, Jahrgangsstufe 12
    "lyrix"-Monat: Februar
    Leitmotiv: Was es ist

    Meine Liebe.
    Hypothetisch.

    I.
    Aufwachen.
    Dein Arm, mein Rücken, deine Nase, mein Nacken, dein Schlüsselbein,
    meine Fingerkuppen.

    II.
    Atmen.
    Schweiß. Dann meer.
    Aber nur Ostsee. Salz in den Lungenflügeln. Hindert am fort fliegen.

    III.
    Schmecken.
    Wieder Salz. Auf deinen Schultern, in deinem Haar, an deinen Schenkeln
    Und auf meinem Brustkorb. Salz macht durstig.
    Wir trinken uns. Langsam.

    IV.
    Hören.
    Pulsierende Venen.
    Ich brauche kein Meer.
    Mein Ohr an dein Ohr. Das ist Muschel genug.
    Und keine Kreuzfahrtschiffe auf deinem Wasser.

    V.
    Festhalten.
    Dein Blick in meinem.
    Ein Zyklop am Meer, die Vertikale zum Horizont.
    Sucht den Fluchtpunkt im Wasser. Doch die Mittagssonne will nicht
    untergehen.
    Wir sind dreidimensional, obwohl wir zwei
    Eins sind.

    VI.
    Einschlafen.
    Schattenhaft.