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''Macht Fressen Würde''

Es beginnt geheimnisvoll. In der Nacht. Boote, die allerdings eher wie Auto-Skooter aussehen, schaukeln auf dem Zürisee. Dachs, Führer der reichen Schweiz, trifft sich dort mit Kutscher, dem Potentaten der alten Donaumonarchie. Sie bilden die neue Alpen-Allianz, eine Allianz der Strenge gegen die Orientalisierung Europas. Mit dabei ein gnadenloser Richter aus Hamburg und ein italienischer Medienunternehmer, nebenberuflich Ministerpräsident. Auch Liechtenstein soll eingebunden werden.

Ein Beitrag von Christian Gampert |
    So sieht der Rütli-Schwur heute aus: stoppt die Entschweizerung! Kehrt mit eisernem Besen! Geballte Börsenmacht gegen die Asylantenschwemme.

    Diese Parodie eines etwas düsteren Kriminalhörspiels wird aber gleich aufgehellt durch zwei freundliche Moderatoren, die dem Publikum erklären, wo es langgeht:

    - Meine Damen und Herren, wir begrüßen Sie ganz herzlich. Wir sind BOA, eine neue Bürgerinitiative, die ab jetzt helfen wird, dass Sicherheit auf den Straßen in Zürich einkehrt. BOA - eine Schlange der Vernunft wird sich durch die Stadt ziehen...

    Die Züricher haben Probleme mit ihrem Theater. Kostet zuviel, und angeblich versteht keiner, was das Zeug soll, das die Macher selber für avantgardistisch halten. Deshalb kann man jetzt die Moderatoren auf der Bühne per Handy anrufen, wenn man Fragen zum Stück hat. Schalten Sie sich aktiv ins Stück ein! Schicken Sie uns ein SMS!

    Diesen Kinderkram haben sich die beiden Hamburger Szene-Buben Schorsch Kamerun und Rocko Schamoni ausgedacht. Sie veräppeln die Zürcher Theaterprovinzposse der letzten Monate. Und zoomen gleichzeitig die Weltpolitik auf Klein-Fritzchen-Niveau herunter. Es tanzt ein eisernes Besenballett. Eine Sicherheitsberaterin namens Amsel kneift die Lippen zusammen. Ein Schweizer Oberst ist verkleidet wie Augusto Pinochet. Die Liechtensteiner Börsenprinzessin findet zu einem kroatischen Asylanten, und während sie sich wie Leonce und Lena gebärden, singt der Kroate was über die Illusion und sieht dabei aus wie Rio Reiser oder Manfred Matter oder DJ FalcoBobo.

    Vor allem aber muss in dieser Alpenallianz, in diesem "Schwösterreich" oder auch "Schwösterreiz", gute Laune herrschen. Save the Party, the family party. Und obwohl das Publikum schon lange in Partystimmung ist, wird ihm das noch mal eingebimst:

    Die Party findet angeblich auf höchstem Niveau statt, denn Kamerun und Schamoni lassen ein riesiges Pappmodell des Wiener Burgtheaters auf die Bühne hernieder sinken. Die Burg! Welt-Kulturgut! Und das in Zürich.

    In der Burg tanzen dann allerdings nur Aliens und Mozartkugeln, es werden Dia-Vorträge gehalten wie bei der Abifeier und vor embedded journalists blöde Fußballer-Posen vorgeführt, und es stellt sich immer mehr heraus, dass die Burg in Wahrheit der Hamburger Szene-Schuppen von Schorsch Kamerun ist.

    Dort werden wir dann politisch belehrt: Böse Cops hauen gute Obdachlose, ein Messias erscheint, und Schwösterreiz sucht den Superstar. Das sieht so aus, dass in einem Lager gefangengehaltene Asylanten Quiz-Fragen beantworten müssen und dann abgeschoben werden.

    Über diesen fröhlichen Vulgärmarxismus, über diesen Mut zu Idiotie und Geschmacklosigkeit kann man nur müde den Kopf schütteln wie jene geschrumpften Giraffen, die Kamerun als Beleg für die kommende Degeneration vorführt. Vielleicht ist er selber ja schon Teil davon. Sein Stück jedenfalls ist nicht mehr als ein erschreckend naiver Kindergeburtstag, ein Schülerspaß, eine Addition von Zirkusnummern und Klischees der Unterhaltungsbranche.

    Das wird das junge Publikum gnadenlos anziehen, die Abozahlen steigen. Aber um welchen Preis? Kamerun verabreicht Systemkritik als Schlagerparodie. "Hör auf meinen Rat, sei gegen den Staat", so reimt er. Große Lyrik. Und eine Haltung, in der man sich richtig wohlfühlen kann.

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