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Mammutausstellung
Chemnitz zeigt erstmals gesamte Schmidt-Rottluff-Sammlung

Karl Schmidt-Rottluff hat den Begriff der Expression als programmlose, betont anti-akademische Kunstform maßgeblich geprägt. Mit rund 500 Werken ihres großen Sohnes zeigt seine Heimatstadt Chemnitz nun die wohl größte Ausstellung seines Oeuvres.

Von Carsten Probst | 20.12.2015
    Eine Frau hält ein übergroßes Foto des Künstlers Karl Schmidt-Rottluff (1884-1976) am 11.12.2015 in der Ausstellung "Karl Schmidt-Rottluff - 490 Werke in den Kunstsammlungen Chemnitz" in Chemnitz (Sachsen). Vom 13.12.2015 bis 10.04.2016 werden 490 Arbeiten des Künstlers gezeigt.
    Foto des Künstlers Karl Schmidt-Rottluff (1884-1976) in der Ausstellung in Chemnitz (Sachsen). (picture alliance / dpa / Peter Endig)
    Als Karl Schmidt-Rottluff 1959 aus West-Berlin wieder in seine Heimatstadt Chemnitz kam, die damals Karl-Marx-Stadt hieß, um dort eine unter den politischen Verhältnissen überaus seltene Ausstellung seiner Werke zu eröffnen, da äußerte der betagte Maler die Hoffnung, nun werde der Expressionismus endlich auch in der DDR seine Würdigung erhalten. Der Bau der Berliner Mauer zerstörte diese Illusion nur etwas mehr als ein Jahr später. Bis zu Schmidt-Rottluffs Tod im Jahr 1976 tat sich kaum noch etwas in dieser Hinsicht. Die Kunstsammlungen Chemnitz immerhin mühten sich schon zu DDR-Zeiten nach Kräften, wenigstens einige der über 105 Gemälde und Druckgrafiken Schmidt-Rottluffs zurückzukaufen, die sie vor 1937 besessen hatten. 1937, das war bekanntlich das Jahr, als im Zuge der Aktion "Entartete Kunst" die Werke aller Avantgardekünstler aus den deutschen Museen und Sammlungen enteignet wurden. Einige von Schmidt-Rottluffs Gemälden hatte die Chemnitzer Museumsleitung damals vorausschauend schon an Freunde des Künstlers verkauft. Die Ausstellung im Jahr 1959 war auch nur deshalb möglich, weil viele dieser Freunde ihre Werke dem Haus zu dieser Gelegenheit wieder zur Verfügung stellten. Doch insgesamt gelang den Kunstsammlungen bis heute nur der Rückkauf eines Gemäldes und vierzehn Druckgrafiken aus dem damaligen Eigenbesitz. Es bleibt also ein historischer Verlust von neunzig Werken allein dieses Malers, von denen die meisten als verschollen gelten.
    Ingrid Mössinger, seit 1996 Generaldirektorin der Kunstsammlungen in Chemnitz, ist es seither gelungen, zahlreiche private Sammler im In- und Ausland dazu zu bewegen, dem Haus ihre Werke als Dauerleihgaben zu überlassen. Die Zahl dieser Dauerleihgaben übertrifft mittlerweile den ursprünglichen historischen Bestand um das Vierfache. Das Brücke-Museum in Berlin, das von Karl-Schmidt-Rottluff selbst in den sechziger Jahren angeregt wurde und dem zahlreiche Bilder durch den Künstler übereignet wurden, verfügt zwar über viel mehr Werke im Eigenbesitz. Doch was die Kunstsammlungen Chemnitz nun mit dieser dicht gehängten, geradezu überbordenden Präsentation ihrer Dauerleihgaben darbieten, sprengt buchstäblich jeden bekannten Rahmen. Sie bilden mittlerweile das Kernstück der Kunstsammlungen.
    Schmidt-Rottluffs Schaffensphasen intensiv erlebbar
    Zahlreiche unter den 60 Gemälden und über 350 druckgrafischen und kunstgewerblichen Werken wurden bislang selten oder nie gezeigt, bilden damit also auch gemeinsam mit dem monumentalen Katalog einen Aspekt für die Schmidt-Rottluff-Forschung. Viel wesentlicher aber erscheint die symbolische Ausstrahlung dieser Präsentation mit der schieren Präsenz all dieser Werke. Chemnitz als ein Hauptort der modernen Avantgarde in Deutschland, der sich neben Dresden, München oder Berlin durchaus behaupten konnte, ist nicht mehr vielen als solcher in Erinnerung. Unter Ingrid Mössinger wird dieses Erbe nach und nach wieder zum Leben erweckt, gleich im Januar geht es weiter mit einer ebenfalls sehr umfangreichen Schau von Werken Erich Heckels, mit dem Schmidt-Rottluff seit seinen Chemnitzer Jugendzeiten befreundet war.
    Die Verlaufsphasen in Schmidt-Rottluffs Gesamtwerk lassen sich in so einer breit gefächerten Ausstellung in seltener Ausgiebigkeit studieren: von frühesten Jugendbildern, die er als 13-Jähriger gemalt hat, bis zu den spätesten Anfang der Siebzigerjahre, da der Maler aus Gesundheitsgründen schon nicht mehr mit Ölfarben arbeiten durfte. Den qualitativen Kern des Werkes bilden freilich, die Arbeiten zwischen 1905 bis zum Anfang der Dreißigerjahre.
    Von 1935 an wurde er nicht mehr ausgestellt und stand als prominenter und populärer Künstler unter besonderer Beobachtung der Gestapo. In der inneren Emigration verdiente er etwas Geld mit selbstgefertigtem Kunsthandwerk, das nun in Chemnitz erstmals in einer Sondersektion gezeigt wird. Diese Schau ist also in jeder Hinsicht ein historischer Meilenstein für die Kunstsammlungen, die allmählich eine gar nicht so alte Kunstlandschaft wieder ins Gedächtnis ruft, die zu Zeiten des Kalten Krieges fast völlig in Vergessenheit geraten war.