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Manifesta
"Das ist eine gute Ausstellung"

Am 28. Juni ist in St. Petersburg die zehnte Manifesta, die europäische Biennale für zeitgenössische Kunst, eröffnet worden. Die von Kasper König kuratierte Schau habe zwar wenig Provozierendes, König habe aber sehr gute Kunst ausgewählt, meint DLF-Kulturexperte Stefan Koldehoff.

Stefan Koldehoff im Gespräcch mit Burkhardt Müller-Ullrich | 29.06.2014
    Eine Besucherin auf der Manifesta in St. Petersburg vor einem Gemälde des russischen Vladislav Mamyshev-Monroe
    Koldehoff: Manifesta in Russland war eine "Kopfentscheidung". (dpa / picture alliance / Anatoly Maltsev)
    Burkhard Müller-Ullrich: Wilhelm Tell war ein politisches Kunstwerk – keine Frage -, und dass Kunst auch heute noch politisch sein kann, zeigt die Diskussion um die von dem berühmten Ausstellungsmacher Kasper König kuratierte Manifesta.
    Alle reden von der Manifesta, der europäischen Biennale für zeitgenössische Kunst, die gerade zum zehnten Mal in St. Petersburg stattfindet. Noch nie wurde so viel über eine Manifesta geredet, und das liegt an St. Petersburg. Denn in Russland herrscht keine Kunstfreiheit, man solle deshalb besser gar nicht teilnehmen, sagten manche Künstler. Andere fanden, gerade unter den gegenwärtigen Umständen müsse man hingehen und aufs Ganze gehen. Nun wurde die Ausstellung gestern eröffnet. Stefan Koldehoff, Sie haben die nördliche Zone des jetzt im Sommer andauernden Tageslichts wieder verlassen und sitzen wieder hier im Studio. Ging es Ihnen auch so, wie heute der Kollege in der "FAZ am Sonntag" schreibt: "Man kommt als liberaler Deutscher nach Russland, sieht massenhaft freie Kunst und ist ein wenig enttäuscht ... "?
    Stefan Koldehoff: Ja, im Grunde schon, und das zeigt, mit welchen Erwartungen man eigentlich in diese Ausstellung, in diese Manifesta gegangen ist. Und Kunst, die Erwartungen entspricht, ist ja eigentlich nie gute Kunst. Jeder gute Künstler nimmt ja für sich in Anspruch, nicht auf das Publikum zu reagieren, oder auf Zeitläufe, oder auf sonst etwas, sondern das zu machen, was aus ihm herauskommt. Und wenn man nun sieht, wie viele Kollegen – und da schließe ich mich durchaus mit ein – da durch die Räume gelaufen sind (es sind ja zwei große Ausstellungsteile, wenn wir das Rahmenprogramm mal außen vor lassen, nämlich das gigantische ehemalige Generalstabsgebäude, das zu einem Ausstellungshaus aufwendigst umgebaut worden ist, und gegenüberliegend die altehrwürdige Eremitage), wenn man sieht, wie viele da durchgelaufen sind und mit der Lupe geguckt haben, steht denn jetzt nicht doch irgendwo Pussy Riot, sind jetzt nicht doch irgendwo Anspielungen auf Homosexualität versteckt ...
    Müller-Ullrich: Die klammheimliche Hoffnung auf den Eklat.
    Koldehoff: ... , dann zeigt das eigentlich, wie vorgeprägt wir hingegangen sind. – Tatsache ist, dass die meisten Künstler, mit denen man dort sprechen konnte, denn die waren natürlich alle in ihren Räumen, haben letzte Hand angelegt an die Installationen, geguckt, ob die Bilder denn nun tatsächlich in der Waage hängen, übereinstimmend gesagt haben, wir hatten keine Vorgaben. Wolfgang Tillmans, weltberühmter Fotograf, Turner-Preisträger, der zwei Räume bespielen durfte mit seinen Fotografien, die ja die Clubber, Raver, auch die Homosexuellen-Szene seit Ende der 80er, Anfang der 90er-Jahre dokumentieren, hat ganz klar auch Gerüchten widersprochen, er hätte zwei Bilder rausgenommen, weil angeblich das der Zensur nicht gefallen hätte. Nein, er hat ganz einfach gesagt: "Ich zeige hier das, was ich überall sonst auf der Welt auch gezeigt hätte. Ich wollte aber auf der anderen Seite nicht besonders provozieren. Ich habe jetzt nicht besonders Bilder mit erigierten Gliedern oder so was gezeigt, sondern das gemacht, was auch in Washington gegangen wäre und auch in Berlin gegangen wäre."
    Müller-Ullrich: Dann ist das ja das perfekte Täuschungsmanöver, denn wir wissen ja, dass Russland kein liberaler Staat ist, aber jetzt tut es so.
    Koldehoff: Na ja. Dass Russland das nicht ist, oder dass es jedenfalls noch nicht überall angekommen ist, das merkt man an den anderen Äußerungen derselben Künstler, die nämlich darüber berichten, dass die technischen Begleitumstände ihrer Arbeit schon dramatisch gewesen sein müssen: Dass Zusagen nicht eingehalten wurden, dass Türen versperrt wurden, an einem der letzten Tage hat Kasper König dann eine verschlossene Tür noch mit Gewalt aufgedrückt, damit man endlich durch konnte und Werke im Zusammenhang sehen konnte.
    Müller-Ullrich: In der ehrwürdigen 250 Jahre alten Eremitage?
    Koldehoff: Manifesta war eine Kopfentscheidung
    Koldehoff: So ist es gewesen. Und das zeigt, dass es wohl eine Kopfentscheidung gab, diese Manifesta in St. Petersburg stattfinden zu lassen. Michail Pjotrowski, der Direktor der Eremitage, ist ja quasi der Mitveranstalter. 250 Jahre feiert dieses Jubiläum und die Manifesta ist Bestandteil dieser Feierlichkeiten.
    Müller-Ullrich: ... und er ein Mann, der wirklich raffiniert auf der politischen Klaviatur zu spielen versteht. Er ist eigentlich Geschichtsprofessor.
    Koldehoff: Er gilt ein bisschen als der Zar. Er ist Orientalist, Arabist wohl, und gilt als der Zar, der heimliche, von Petersburg. Er darf sich dort alles erlauben. Er durfte sogar Wladimir Putin widersprechen und verbieten, die Rembrandts aus der Eremitage nach Moskau zu holen, wo Herr Putin sie lieber gesehen hätte. Aber schon zwei, drei Ebenen darunter, da ist es eben nicht mehr so einfach. Da gibt es einen Michail Pjotrowski, der sagt, wir wollen das, ich möchte auch im Generalstabsgebäude gegenüber ab kommendem Jahr nicht nur die Impressionisten und Picasso, sondern auch die Kunst der Gegenwart zeigen. Die Eremitage erfindet sich also im Jahr 251 neu und weitet sich aus und erkennt damit auch an, dass es eine Gegenwartskunst gibt.
    Müller-Ullrich: ... , was ja wahrscheinlich auch tourismuspolitisch ein kluger Schritt ist.
    Koldehoff: Ja und sicherlich auch, was Werke angeht und was Macht angeht und was Töpfe angeht und Zuschüsse angeht. Wenn Sie dann aber beispielsweise unten am Information Desk in der Eremitage fragen, wo denn hier die einzeln eingestreuten Werke der Manifesta zu finden sind, dann stoßen Sie da schon auf eisiges Schweigen beziehungsweise auf Nichtkenntnis. Schon an so einer zentralen Stelle ist offenbar die Botschaft nicht angekommen, und darüber haben sich viele Künstler beklagt. Es wurden Materialien versprochen, nicht zur Verfügung gestellt, technische Einrichtungen haben nicht funktioniert. Mehr als einer hat mir gesagt, wir mussten so und so viele Anträge stellen, und wenn wir Glück hatten, dann erfuhren wir am Tag 16 nach Einreichung, dass der und der Stempel noch fehlt, und dann ging alles wieder von vorne los. Das habe ich nicht nur einmal gehört
    Müller-Ullrich: Nun ist die Eremitage ja auch ein riesiger Apparat und die vielen Leute bewachen Klassiker normalerweise.
    Koldehoff: Eremitage hat "unglaubliche Bedeutung" für Russland
    Koldehoff: ... und das müssen wir uns immer wieder klar machen. Stellen wir uns doch einfach mal vor, im Louvre oder in der National Galery in Washington, da würden einfach mal die Rembrandts abgehängt und stattdessen Kunst reingepackt, die durchaus regimekritisch sein könnte. Konkretes Beispiel: Die beiden Matisse-Räume, einer der Stars des ausgehenden 19., beginnenden 20. Jahrhunderts, auch in der Eremitage, sind komplett leer geräumt. Stattdessen hängen dort unter anderem die durchaus guten Bilder von Marlene Dumas, einer Südafrikanerin, die homosexuelle Russen aus dem Kulturleben von Tschaikowski ein bisschen relief-porträtiert hat, auch beschriftet hat, dass das homosexuelle Menschen gewesen sind. Und wir waren alle in diesem Raum, wir Journalisten, und plötzlich gab es einen Riesenlärm unten vor dem Gebäude, Musik, und wir blickten raus und sahen dort Tausende von Soldaten, die offenbar bei einem Gelöbnis waren, und plötzlich kamen Frauen in weißen Kleidern an und tanzten mit einigen dieser Soldaten. Wir dachten, das ist eine Performance im Rahmenprogramm. Tatsächlich waren das die Bräute dieser jungen Männer, die ihnen mit diesem Tanz vor allen Verwandten und Tausenden von Menschen, die zuguckten, versprachen, wir warten auf Dich. Das findet auf diesem Platz statt vor der Eremitage und zeigt einfach noch mal, welche unglaubliche Bedeutung für dieses Land, für die Identität, das Selbstverständnis dieses Landes dieses Kunstmuseum hat. Und dass man denen da jetzt natürlich einiges zumutet, wenn man auf die Rückwand des Zarenthrons plötzlich Gerhard Richters nackten, eine Treppe hinunterkommenden Akt hängt, das muss man einfach auch eingestehen.
    Müller-Ullrich: Jetzt noch mal ganz kurz: Die Kritiken sind ja durchweg positiv. Hat Kasper König also alles richtig gemacht?
    "Er hat sehr gute Kunst ausgewählt"
    Koldehoff: Er hat sehr gute Kunst ausgewählt. Er hat auch Kunst ausgewählt, auf die man verzichten könnte. Ob nun Beuys Wirtschaftswunderwerte schon wieder zu sehen sein müssen, oder eine pinkfarbene Frau aus Plastik, aus Muscheln zusammengesetzt von Katharina Fritsch, da kann man über alles diskutieren, auch über Karla Black und einige andere Teilnehmer. Aber durch die Auswahl von Künstlern wie Wolfgang Tillmans, wie Boris Mikhailov, der einen ganzen Raum mit Fotos vom Maidan-Platz, auch leidende, auch erschossene, auch weinende Menschen zeigt, durch einen ganzen Raum wie den von Marlene Dumas oder Thomas Hirschhorns riesige Installation einer abgebrochenen Häuserfassade, die ein bisschen auch mit dem Brimborium dieses neuen Ausstellungsgebäudes spielt und wo man ein ganz kleines Gemälde oben an der Wand sieht und hört, das sind Originale von Malewitsch und Gontscharowa – nein, es ist eine gute Ausstellung.
    Müller-Ullrich: Und es hängt auch noch alles? Es ist noch kein Eklat da gewesen?
    Koldehoff: Nach dem, was ich gehört habe, schon. Nur einige Filme dürfen nicht mehr gezeigt werden. Da gab es nämlich seit einigen Tagen neue Gesetze.
    Müller-Ullrich: Danke, Stefan Koldehoff, für diese Eindrücke aus St. Petersburg von der Manifesta.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.