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Marcus Llanque: Demokratisches Denken im Krieg. Die deutsche Debatte im Ersten Weltkrieg

Wie Krupp standen 1914 fast alle Deutschen Gewehr bei Fuß und zogen fröhlich in das große Völkerschlachten. Wie sich dennoch demokratisches Denken entwickeln konnte, das dann seinen Niederschlag in der Verfassung von Weimar fand, hat Marcus Llanque untersucht. Lesen Sie die Rezension von Stephan Wehowsky.

Stephan Wehowsky |
    Die Demokratie der Weimarer Republik gilt als ein Kriegskind. Gemessen am französischen, englischen oder amerikanischen Vorbild verfügte sie nicht über griffige Parolen, die eine demokratische Mehrheitsüberzeugung bündelten und schon gar nicht über Traditionen, die ihr jenseits der Tagesauseinandersetzungen Stabilität verliehen. Ganz im Gegenteil hatten gerade jene, die sich in der Weimarer Republik zur Demokratie bekannten und sie verwirklichen wollten, noch im Jahre 1914 im Überschwang des Kriegsausbruchs völkisch-nationalistisch argumentiert und das Wesen des deutschen Volkes gerade in der Ablehnung der westlichen Modelle gesehen. Man denke an Ernst Troeltsch, Max Weber, Hans Delbrück oder Max Scheler. In seiner Dissertation, die an der Humboldt-Universität zu Berlin entstanden ist, untersucht Marcus Llanque den Prozess, in dem die Ideen, die die Demokratie von Weimar geprägt haben, geschmiedet wurden. Dazu verwendet er einen theoretischen Ansatz der Cambridge School, der in den 80er Jahren unter anderem von Quentin Skinner entwickelt worden ist. Dahinter steckt die sogenannte sprachphilosophische Wende aus der Nachkriegszeit. Demnach bildet die Sprache die Wirklichkeit nicht einfach ab, sondern erschafft sie aus den ihr eigenen Strukturen.

    Um es zugespitzt, dafür allerdings etwas altmodisch auszudrücken: Llanque schildert die Entstehung der Demokratie in Deutschland als Sprachereignis. Diese Sprache wiederum ist verknüpft mit den Ereignissen des 1. Weltkrieges, also der ursprünglichen Kriegsbegeisterung und der zunehmenden Ernüchterung, die mit den Stellungskriegen in den Schützengräben, dem U-Boot-Krieg und dem Eingreifen der USA zusammenhängen. Insgesamt macht Llanque fünf Zäsuren aus, die er zur Gliederung seiner Arbeit benutzt. Da gab es den Ausbruch des Krieges mit der Kriegsbegeisterung, dann die Marneschlacht, die den Charakter des 1. Weltkrieges enthüllte. Weiter führt Llanque den Kriegseintritt der USA an, die Abdankung des Kaisers, und schliesslich die Novemberrevolution von 1918. Bei diesen sogenannten Zäsuren gibt es aber ein Problem: Einmal sollen sie den Charakter eines punktuellen Ereignisses haben, das tatsächlich einen Einschnitt darstellt. Auf der anderen Seite will Llanque unter Zäsur auch lang anhaltende Prozesse verstanden wissen, die die Sprache und das Denken verändert haben. Dieser Widerspruch lässt sich zu einem Teil damit entschuldigen, dass die Prozesse der Ideenbildung, die Llanque beschreibt, tatsächlich diesen doppelten Charakter haben: herausgehobene Momente und lang anhaltende mündliche und schriftliche Auseinandersetzungen.

    Es gab für die Weimarer Demokratie keinen Masterplan, den irgend jemand zu einem bestimmten Zeitpunkt bloß aus der Tasche zu ziehen brauchte. Es gab vielerlei Ideen, Befürchtungen oder Ressentiments - etwa gegenüber der nicht akademisch gebildeten Masse, der viele Akademiker die politische Urteilsfähigkeit absprachen. Akribisch beschreibt Llanque, wie sich in diesen Debatten nach und nach die Leitlinien der Weimarer Verfassung herausbildeten. Dabei behandelt er vieles, was in der einschlägigen Literatur bereits breit abgehandelt worden ist. Das Buch hat ganz den Charakter einer Dissertation. Der Autor erarbeitet sich ein Thema. In diesem Fall macht er das solide und mit großem Fleiss, so dass der Leser einen vorzüglichen Überblick über die politischen Debatten bekommt, allerdings um den Preis der Langatmigkeit und einem Mangel an brillanten Thesen.

    Stephan Wehowsky über Marcus Llanque, "Demokratisches Denken im Krieg. Die deutsche Debatte im Ersten Weltkrieg". Die Studie ist als Band 11 in der von Herfried Münkler herausgegebenen Reihe Politische Ideen erschienen. Akademie Verlag, Berlin. 365 Seiten für DM 98,--.