Donnerstag, 28. März 2024

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Markensoziologe
"Die Kirchen drücken sich, ihren Markenkern herauszuarbeiten"

Der Markensoziologe Oliver Errichiello empfiehlt den Kirchen, sich auf ihren Markenkern zu konzentrieren. Sie sollten auf klassische Werbung verzichten und sich fragen, wofür sie stehen. "Marken, die in Bedrängnis kommen, müssen ihre Kundschaft pflegen", sagte Errichiello im Dlf.

Oliver Errichiello im Gespräch mit Andreas Main | 01.12.2017
    Der deutsch-italienische Wirtschaftssoziologe und Autor Oliver Errichiello.
    Der deutsch-italienische Wirtschaftssoziologe und Autor Oliver Errichiello (Büro für Markentwicklung)
    Oliver Errichiello ist Dozent für Markenmanagement an der Universität Hamburg und an den Hochschulen Luzern und Bremen.
    Andreas Main: Oliver Errichiello hört regelmäßig Deutschlandfunk. Oliver Errichiello hört regelmäßig diese Sendung – "Tag für Tag – Aus Religion und Gesellschaft". Das allein ist noch nichts Besonderes. Das tun viele. Das Besondere an Oliver Errichiello, er tut dies aus Sicht des Markenexperten. In seinem Buch mit dem Titel "Wir Einmaligen" hat er - vor einigen Jahren - unter anderem analysiert, warum Individualisten gern mal Deutschlandfunk-Hörer sind. Darum soll es nun aber nicht gehen, sondern um Religion und Marke – und um Kirchenführer, von denen niemand erwartet, dass sie an Design oder – ein hässliches Wort – an Verkaufe denken, die aber genau dies offenbar immer öfter tun. Oliver Errichiello vom Büro für Markenentwicklung in Hamburg ist uns dort zugeschaltet. Guten Morgan, Oliver Errichiello.
    Oliver Errichiello: Guten Morgen, Herr Main.
    "Mein Gott, geht ihr da in die richtige Richtung?"
    Main: Herr Errichiello, woran machen Sie fest, dass Leitende in den Kirchen den Verlockungen jener Branche erliegen, die man früher als Reklame bezeichnet hat?
    Errichiello: Das trifft es eigentlich sehr, sehr gut, der Begriff Reklame. Den benutzt ja heutzutage keiner mehr, weil das ja durchaus das Stigma hat, dass es irgendwie billig und schnell funktionieren soll. Aber, wenn man mal betrachtet, was in den vergangenen Jahren zum einen durchaus kontrolliert über Markenstärkungsaktivitäten aus den Kirchen verlautbart wird auf der einen Seite, und wenn man auf der anderen Seite auch beobachtet, was es durchaus auch für Tendenzen gibt – Sie berichten ja auch regelmäßig darüber –, die Kirche zu modernisieren, dann muss man, wenn man mit wissenschaftlich professionellem Blick auf diese Tendenzen schaut, schon sagen: Mein Gott, geht ihr da in die richtige Richtung?
    Also, ist das, was dort angestrebt wird, eigentlich in der Lage, die Zielsetzung, nämlich eine Marke – in Anführungsstrichen – wie die Kirche zu stärken, der richtige Weg? Da habe ich meine Zweifel.
    "Baut Ihr eine Scheinwelt auf, eine Werbewelt?"
    Main: Da haben Sie Zweifel. Welche Richtung schlägt denn die EKD ein, die Evangelische Kirche in Deutschland, und welche die katholische, also die Deutsche Bischofskonferenz?
    Errichiello: Also, vor Kurzem hatte ich das Glück, mal über die Jahrestagung zu erfahren, der EKD. Und dann kam plötzlich in kleinen Stichworten so heraus, dass man angesichts des Mitgliederschwundes sich anpassen müsse: Also, vielleicht machen wir den Gottesdienst ein bisschen kürzer. Vielleicht machen wir den Gottesdienst ein bisschen später. Vielleicht sorgen wir dafür, dass junge Menschen angesprochen werden.
    Übrigens, in der Werbung will man immer junge Zielgruppen ansprechen. Es gibt immer diesen wunderbaren Spruch: Unsere Marke stirbt gerade mit ihren Kunden und wir haben viel zu alte Kunden – auf der einen Seite.
    Und auf der anderen Seite kann man durchaus immer wieder lesen, dass die Bischofskonferenz auf der anderen Seite ja renommierte Werbeagenturen aus Berlin, aus Hamburg engagiert, um – ja – ihren Auftritt in der Öffentlichkeit – und nicht nur dort – zu modernisieren. Wenn man das betrachtet, was dabei herauskommt, dann sagt man schon an der einen oder anderen Stelle: Ist das eigentlich das, was ihr macht oder baut dort eine Marke in einer gewissen Weise – ja – eine Scheinwelt auf, eine Werbewelt?
    "Möglichst hip, möglichst angepasst"
    Main: Aber junge Menschen zu erreichen und das Image zu verbessern, das ist ja erst mal nichts Verwerfliches. Umgekehrt, wenn die Kirchen das nicht machen würden, dann würden ja Schlaumeier wie ich fragen: Warum machen die kein modernes Marketing?
    Errichiello: Das ist halt die Frage. Was will man? Also, geht es darum … oder wie versteht man überhaupt Kommunikation? Wie versteht man Werbung? Geht man davon aus, dass man Marken oder ein Angebot als solches modernisiert über Werbung und Kommunikation? Oder geht man davon aus, dass Marken oder bestimmte Angebote jung werden über eine bestimmte Form des Angebotes, das man macht?
    Ich glaube, dass man heutzutage sehr, sehr stark oder sehr, sehr fundamental glaubt, dass man nur noch etwas verändern kann, wenn man möglichst trendy, möglichst hip, möglichst angepasst auf diese junge Zielgruppe reagiert. Das ist dann meistens so – das sehen wir dann in der einen oder anderen Werbung –, dass dann irgendwelche Discounter plötzlich ganz tolle Models engagieren oder tätowierte Models engagieren, die dann für einen Discounter werben. Das ist dann auch wunderschön und ästhetisch verpackt und gebaut.
    Aber, wenn ich dann in den Discounter gehe, dann sehe ich immer noch das Elend dieser Welt und bin da überhaupt nicht gefangen von irgendeiner wunderbaren Ästhetik, sondern ich sehe dann eigentlich kaputte Plastikflaschen an der einen Seite und unfreundliche Verkäuferinnen an der anderen Seite.
    Das ist dann der Unterschied sozusagen zwischen dem, was ich bin und dem, was die Werbung mir suggeriert sein zu wollen. Und der Werbetheoretiker spricht in dem Moment von Werbeinseln. Das Problem bei diesen Werbeinseln ist, dass sie nicht wirken, dass die Menschen durchaus erkennen: Na ja, ist ja nur Werbung. Das macht dann denjenigen, der diese Werbung absendet, noch viel, viel älter.
    "Der Fehler: das Ganze nur oberflächlich sexy machen"
    Main: Um jetzt noch mal Ross und Reiter zu nennen und die Ausgangslage wirklich zu klären: Was machen die Kirchen falsch beim Thema Religion und Werbung?
    Errichiello: Wenn man es sich genau betrachtet, dann geht es heutzutage in der Kommunikation, in der Außendarstellung immer darum, sich anzupassen. Also, man versucht sozusagen nicht, erst einmal zu bestimmen, wer man eigentlich ist, also klar herauszuarbeiten: Was sind eigentlich die entscheidenden Bausteine dessen, was beispielsweise eine evangelische Kirche ist, was beispielsweise eine katholische Kirche ist.
    Sondern, was man versucht, ist, so ein bisschen an der Oberfläche das Ganze – man sagt es heutzutage in der Werbewelt – sexy zu machen, also dafür zu sorgen, dass ich das Gefühl habe, es ist eigentlich eine bessere oder eine etwas tiefere Disco, wo ich ein bisschen Spaß haben kann. Es wird ja auch immer wieder darüber berichtet. Dann werden wunderbare Gottesdienste gemacht. Dann wird vielleicht auch eine Art und Weise der Ansprache gesucht, die ein bisschen moderner ist, die das Du sucht und solche Dinge.
    Aber es sind alles nur oberflächliche, kleine Anpassungen, die aber nicht dazu führen, dass derjenige, der diese Angebote macht, also die Kirche als solche, sich den veränderten Gegebenheiten anpasst. Man arbeitet nur in der Kommunikationswelt. Und das ist ein großes Problem, weil man merkt, das Eigentliche, was die Menschen tatsächlich bewegt, dort hinzugehen, ja nicht – nicht – verändert wird. Und wir haben heutzutage das Gefühl, wir müssten uns in der Kommunikation immer anpassen. Also, man geht ja davon aus, man macht Marktforschung, um die Bedürfnisse der Kunden, der Menschen zu erkennen. Das ist aber das Gegenteil dessen, was eine Marke ist.
    "Auch Kirche ist eine Marke"
    Eine Marke ist erst einmal, wenn ich es genau betrachte, ein positives Vorurteil, das ich gegenüber einem Angebot habe. Deswegen kann man halt in diesem Zusammenhang auch bei Kirche von Marke sprechen. Also, ich könnte jetzt 'katholische Kirche' sagen. Und wahrscheinlich würden zwei, drei, vier oder fünf Vorurteile bei Ihnen aufploppen und bei den Menschen. Und wahrscheinlich sind diese Vorurteile auch relativ gleichgerichtet. Das macht ja eine Marke als solches aus. Sie hat ein bestimmtes Set, bestimmte Inhalte in den Köpfen der Menschen verankert. Das ist das eine. Wenn ich das so weiß, dann bedeutet das eben, wenn ich davon ausgehe, dass es eben positive Vorurteile sind, dann sind diese Vorurteile nun mal sehr, sehr stark und sehr, sehr fest verankert.
    Es reicht dann nicht aus, durch bestimmte Impulse, durch bestimmte Kleinigkeiten so etwas zu verändern. Und vor allem bedeutet es auch, wenn ich erst mal eine Marke bin, dann muss ich das, was ich in den Köpfen habe, auch pflegen. Das heißt, die Menschen haben dann auch bestimmte Erwartungshaltung. Und diese Erwartungshaltung kann ich nicht mal so eben kurz verändern oder erschüttern oder durch eine kleine Kommunikationskampagne in der Form dann plötzlich zur Disposition stellen.
    Es gibt Marken – ich könnte eine große deutsche Automarke mit einem Stern nennen – die versuchen seit 30 Jahren uns einzureden, dass der 18- oder 20-Jährige doch bitte ein Auto dieser Marke fahren soll und machen ganz tolle Werbespots, wo junge Menschen bei lauter Musik irgendwie durch den Sand fahren. Wir alle wissen: Das hat nichts mit der Realität zu tun.
    Also, wenn ich heutzutage an der Straße stehe und ich gucke in die Fahrzeuge dieser Marke, dann sehe ich, das sind normalerweise Menschen ab 40, 50, 60, die dieses Auto fahren. Und dann merkt man an der Stelle: Na ja, anstatt dafür zu sorgen, dass ich den Menschen eine klare Orientierung gebe, für was ich stehe, gerade in Zeiten, wo 3.000 Werbebotschaften pro Tag auf mich einstürzen, also eine klare Orientierung zu geben, sage ich: Nein, sagt uns doch mal bitte, wie ich sein soll. Wie soll ich mich anpassen, damit du mich magst? Aber wir alle wissen, wenn jemand sagt, sag mir doch bitte, wie soll ich sein, damit du mich magst, führt das nicht dazu, dass ich diese Person unbedingt liebe.
    Main: Klare Orientierung – das ist das Stichwort. Wenn Kirche so etwas ist wie eine Marke, dann müsste die Kirche ja auch so was wie einen Markenkern haben und dann müsste es ja womöglich in der Konsequenz bedeuten, dass es gilt, diesen Markenkern herauszuarbeiten.
    Errichiello: Das wäre die eigentliche Aufgabe, vor der sich momentan die Kirchen drücken. Also, was momentan passiert, ist ja eine Anpassungstendenz. Ich möchte wissen, wie ich zu sein habe. Und dann verwandelt man eine Kirche in einen besseren hippen Waschsalon in Friedrichshain. Das kann ja auch gut gehen. Das kann ja auch schön sein. Da kann ich ja auch vielleicht zwei, drei Menschen mit ansprechen und sicherlich mal dafür sorgen, solche Leuchtturmprojekte zu initiieren.
    Aber wir alle wissen, das ist nicht die Realität in den Kirchen, sondern es geht erst mal darum zu sagen: Was ist denn heute, im Jahre 2017, typisch katholisch, typisch evangelisch? Und das ist dann, bitte nicht, vielleicht irgendwelche abstrakten Begriffe, sondern es ist das klare Handeln und Tun. Wie erlebe ich denn heutzutage die evangelische Kirche. Was bietet sie mir? Was sind die eigentlichen Leistungen, die dann schließlich dazu führen – denn Menschen bauen immer aus konkreten Sachverhalten abstrakte Urteile –, dass ich schließlich dieses Image habe?
    "Der Markenkern sind Caritas und Diakonie"
    Main: Was ist denn der Kern der evangelischen Kirche, der Markenkern, das, was sie ausmacht?
    Errichiello: Also, zum einen finde ich es höchst spannend, wenn man immer wieder sagt, na ja, gerade in Bezug auf die katholische Kirche, sie solle sich reformieren. Ich beantworte diese Frage jetzt nicht als katholischer Christ, sondern ich beantworte sie erst einmal vor dem Hintergrund einer wissenschaftlichen Markenbetrachtung. Ich sage: Das ist doch spannend, wir haben ja mal eine Kirche gehabt, die sich angepasst hat, die sozusagen versucht hat, bestimmte gesellschaftliche Strömungen zu integrieren – die Evangelen. Da sieht es ja auch nicht besser aus.
    Also, die Tatsache, zu sagen, Anpassung an den Zeitgeist führt sofort zu Zuspruch, ist, glaube ich, zu kurz gegriffen. An der anderen Stelle muss man sagen: Was ist denn heute also typisch katholisch, was ist denn typisch evangelisch? Zunächst einmal würde ich sagen, führt doch bitte einmal zurück: Was sind die konkreten Leistungen? Dann sieht man das, was wahrscheinlich unter den Begriff der Caritas genannt wird, also wirklich das Kümmern und das um den anderen.
    Main: Oder Diakonie.
    Errichiello: Oder die Diakonie, danke. Da fehlt dann jetzt sozusagen der evangelische Background. Genau dieser Punkt wäre ja ein Zeichen, wo ein Werbetheoretiker, ein Markenmensch dann sagen würde: Aha, da handelt ihr also. Also, das ist jetzt gar nicht abstrakt. Das ist jetzt nicht eine Lightshow und das ist auch nicht ein Gottesdienst um 11.30 Uhr mit einem Latte Macchiato. Sondern da merke ich also, dass das, was ich in der Bibel lese, das, was ich als solches mitnehme, das, was ich vielleicht als Vorurteil habe, als positives Vorurteil habe, ganz konkret wird. Also, wäre ich an der Stelle zuständig für das Markenbild dieser Kirchen, dann würde ich sagen: Dann stellt doch genau diese Arbeit am Menschen heraus.
    "Marken in Bedrängnis müssen ihre Kundschaft pflegen"
    Das bedeutet dann aber auch ganz konkret, dass solche Strategie, die momentan auch durchaus gefahren wird, dass man eben sagt, weniger Pfarrer, weniger Pastoren in den Kirchen, ist natürlich fatal. Weil dieses Beim-Menschen-Sein, mit den Menschen arbeiten, den Menschen eine Hilfe, eine Stütze sein durch das Wort Gottes, das wird natürlich durch solche Tendenzen, wie beispielsweise pastorale Räume usw., wo es dann eben keinen Bezug mehr gibt, ad absurdum geführt. Normalerweise wissen Marken, die in Bedrängnis kommen, dass sie sich erst einmal wieder komprimieren müssen, verkleinern müssen und sozusagen das, was da ist, ihre Kundschaft, nicht ihre Konsumenten, ihre Kundschaft umso mehr pflegen müssen.
    Denn normalerweise geschieht tiefes Wachstum von Marken nicht durch das Anlocken fremder Zielgruppen, sondern meistens nur durch die Pflege der bestehenden Kundschaft, die dann eben über ihre guten Erfahrungen erzählt. Denn heutzutage … die Durchdringungskraft von Werbung ist heutzutage fast null. Deswegen wird ja immer lauter, immer stärker an den Rändern des Geschmacks geworben, weil man ja nur noch meint, über Aufsehen erregende Slogans und Bilder in irgendeiner Form Aufmerksamkeit zu erregen. Aber sie kommt nicht durch. Das Einzige, dem Menschen heutzutage noch vertrauen, ist eigentlich der Satz ihres Bekannten, ihres Freundes, der sagt: Dieser Marke oder diesem Unternehmen kannst du vertrauen.
    "Die Leistung der Kirchen ist spürbar"
    Main: Sie hören den Deutschlandfunk, die Sendung "Tag für Tag – Aus Religion und Gesellschaft" im Gespräch mit Oliver Errichiello vom Büro für Markenentwicklung in Hamburg. Herr Errichiello, wenn sich die Kirchen lieber auf ihre Kernkundschaft konzentrieren sollten, wie Sie es eben vorgeschlagen haben, dann ist das im Prinzip so etwas wie "gesundschrumpfen", wie die "kleine Herde", um mal Bischöfe zu zitieren, wie sie es formuliert haben in den vergangenen Jahren.
    Errichiello: Gut, ich sehe erst einmal, dass Marken, die sich aufblähen, die versuchen sozusagen über die Diversifikation ihres Angebotes, durch das Anlocken fremder Zielgruppen sich stark zu machen, meistens scheitern. Sie werden kurzfristig Erfolge erzielen, also sozusagen Bekanntheit zu schaffen oder wie der Werbetheoretiker sagt, Awareness zu schaffen, geht ganz, ganz einfach. Das merken wir immer wieder.
    Aber tatsächlich diese zunächst Interessierten auch zu halten, das ist ein langfristiger Prozess und der wird nicht durch Effekte erreicht, sondern er wird immer nur über Leistung erreicht.
    Und die Leistung der Kirchen ist nun mal zum Schluss spürbar über Kindergärten, über die Arbeit am kranken Menschen, an Menschen mit Handicaps. Da ist doch eigentlich das spürbar, was entscheidend ist für meine Wahrnehmung und für das, was wir vielleicht auch an den Kirchen schätzen. Das dauert natürlich viel länger, aber Zeit sollte eigentlich für die Kirche eine andere Kategorie sein als ein Schokoriegel.
    "Was bedeutet das Kümmern um Menschen im Jahre 2017?"
    Main: Nehmen wir mal an, es hört uns jemand zu – da bin ich relativ sicher – und es ist ein Kirchenmensch dabei und der sagt: ‚Der Herr Errichiello, der soll mal vorbeikommen.‘ Wenn Sie dann zu so einem Termin gingen, was wäre Ihr Aufschlag sozusagen? Wie würden Sie rangehen, mit welcher konkreten Empfehlung, welcher Markenstrategie?
    Errichiello: Also, zunächst einmal ist jedes Markensystem individuell. Es gibt keine generellen Rezepte, was funktioniert oder was nicht funktioniert. Man könnte sozusagen in Analogie zur Psychologie sagen, na ja, wenn ich ein Problem habe, dann nehme ich ein Medikament und dann wird es schon irgendwie überdeckt. Aber das löst das Problem nicht.
    Sondern um eine Strategie zu entwickeln, muss ich erst einmal verstehen: Was sind denn tatsächlich die eigentlichen Leistungen, die über die Zeit von einem bestimmten Anbieter immer wieder reproduziert wurden? Denn es wird nur das reproduziert, was erfolgreich ist. Und, wenn ich das herausbekommen habe und herausgearbeitet habe, dann beginnt ja eigentlich erst die kreative Arbeit.
    Dann bedeutet das nämlich: Was bedeutet denn Caritas? Was bedeutet das Kümmern um Menschen im Jahre 2017? Das kann ich aber nur dann machen, wenn ich mich tatsächlich mit dem beschäftige, was ist und nicht was ich unbedingt sein möchte. Das ist das große Problem. Man möchte viel sein, aber Image wird nicht über Image erzeugt, sondern nur und ausschließlich über Leistung.
    "Wofür man steht"
    Main: Wenn Sie schon den Punkt Therapie ansprechen, was funktioniert mit Blick auf die Kirchen besser? Pillen oder Psychoanalyse?
    Errichiello: Pillen werden ja zurzeit sehr, sehr viele geschluckt. Die Zahl der Gläubigen oder zumindest der Kirchenmitglieder sinkt, und sinkt, und sinkt, und sinkt. Und da sollte man sich wirklich einmal fragen: Ist man bereit, das weiter so zu spielen? Oder ist man eher bereit, langsamer zu analysieren, was man eigentlich im Portfolio hat – um es mal in diesen Begrifflichkeiten zu sagen – und was man wie nach vorne bringt, kommunikativ. Es geht ja nicht darum, dass man versucht irgendwie alles zu erzählen, was man macht, aber exemplarisch zu verdeutlichen, wofür man steht.
    Passanten laufen an einer viereckigen Installation mit Transparenten vorbei. Auf der Vorserseite sieht man das überlebensgroße Bild eines grinsenden Jungen und die Schrift "Seht, da ist der Mensch".
    Plakate zum 100. Deutschen Katholikentag in Leipzig (Sachsen). (Jan Woitas / dpa)
    Das wäre die eigentliche Kommunikationsstrategie. Und vor allem auch klarzumachen, dass man wahrscheinlich nicht über tolle Werbebotschaften oder irgendwelche Jubiläumsjahre und die damit verbundenen Festivitäten wächst, sondern wahrscheinlich eher damit, dass man einfach vor Ort… es gibt ja diesen wunderbaren Spruch "all politics is local" und das gilt natürlich auch für Religion. Also, zum Schluss kommt es darauf an klarzumachen: Wenn du ein Problem hast, ein persönliches Problem, dann gibt es jemanden, der für dich da ist. Und der ist ein Vertreter von Gottes Wort. Und er ist da. Und er ist für dich da! Und du kannst ihn ansprechen. Das möchte ich in dem Moment haben. Einen Latte Macchiato kriege ich normalerweise in jedem Coffeeshop leckerer und besser. Da muss ich nicht unbedingt zur Kirche gehen.
    Main: Einschätzungen waren das von Oliver Errichiello vom Büro für Markenentwicklung in Hamburg. Herr Errichiello, danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Danke für das Gespräch.
    Errichiello: Ich danke Ihnen sehr.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.