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Medien-ABC
Boulevard: Journalismus über mehr oder weniger Prominente

Der sogenannte Boulevardjournalismus ist wohl so alt wie das Handwerk der Berichterstattung selbst. Je bekannter ein Mitmensch ist, umso interessierter ist sein Umfeld. Jede Mediengattung kennt Boulevardredaktionen. In Deutschland ist es "Bild", die am meisten polarisiert.

Von Michael Borgers | 02.08.2018
    Mehrere Ausgaben der "Bild"
    "Bild": Die bekannteste deutsche Boulevardzeitung (Deutschlandfunk / Michael Borgers)
    Jedes Jahr trennen sich Zehntausende Paare in Deutschland. Wenn die Ehe eines prominenten Paares scheitert, ist das vielen Redaktionen eine Schlagzeile wert. Und wenn wieder eine Beziehung des ehemaligen Tennis-Stars Boris Becker in die Brüche geht, ist das der "Bild"-Zeitung garantiert eine oder mehrere Titelseiten wert.
    Aktuell (01.08.2018) heißt es dann in dem Berliner Blatt "Polizei, Tränen, Türen versperrt. Rosen-Krieg eskaliert". Garniert wird das Ganze mit zahlreichen Bildern: Lilly Becker, die am Boden sitzt oder von Polizistinnen begleitet wird; ein großformatiges Porträt, das aus dem (vormals) gemeinsamen Haus herausgetragen wird; Boris Becker, der das Haus verlässt.
    Es geht um Emotionen
    "Boulevardjournalismus ist eine Form des Journalismus, bei dem die Leser und Zuschauer vorrangig auf der emotionalen Ebene angesprochen werden", heißt es in der Definition der Axel Springer Akademie, wo ein Teil des journalistischen Nachwuchses für "Bild" ausgebildet wird. Im Gegensatz zum Wissenschafts- oder Wirtschaftsjournalismus gehe es nicht in erster Linie darum, komplizierte Zusammenhänge für den Laien verständlich wiederzugeben, "sondern Neuigkeiten aufmerksamkeitsstark in Szene zu setzen".
    Ein Boulevardjournalist stelle die Inhalte in Berichten und Reportagen in verkürzter Form dar. Eine Form, die immer wieder für Aufregung und Empörung führt - vor allem unter Kollegen anderer Medien.
    Der Kampagnenvorwurf
    In der Debatte nach dem Rücktritt von Mesut Özil aus der deutschen Nationalmannschaft kritisierten wieder viele Journalisten "Bild" für ihre Berichterstattung: Die immer noch auflagenstärkste Tageszeitung Deutschlands habe einen Kampagne gegen den Fußballer gefahren und so Özils Rassismus-Kritik Vorschub geleistet. "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt ordnete den Vorwurf im RBB-Medienmagazin als "beliebtes Spiel" ein, "sich in solchen Debatten 'Bild' auszugucken und Kampagne zu rufen".
    Dass man dafür auf Social Media - wo auch viele Journalisten diskutieren - viel Applaus bekomme, habe er inzwischen gelernt. Kritik an der Überschrift "Wirre Abrechnung mit Deutschland. Özils Jammer-Rücktritt" konterte Reichelt mit dem Hinweis: Bei "Bild" handele "es sich immer noch um ein Boulevardmedium. Und das hat eine emotionale Tonalität."
    Schürt "der Boulevard" Ängste?
    Vielen geht diese "emotionale Tonalität" allerdings oft zu weit. Ein weiterer, häufig geäußerter Vorwurf gegenüber "dem Boulevard": Er schüre mit seiner Berichterstattung vor allem die Ängste seiner Leser oder Zuschauer.
    Hierzu untersuchte die deutsche Ausgabe der "Huffington Post" vor Kurzem die Titelseiten von sechs deutschen Boulevard-Zeitungen einer Woche. Das Ergebnis: Bei 20 von 47 untersuchten Ausgaben fanden sich dort Geschichten über Terror, Verbrechen und Gewalt. Themen, auf die auch Boulevard-Magazine im TV setzen. Eine besonders beliebte Rubrik dort sind die Aufnahmen von Autounfällen.
    Das Benzin des Boulevards: Prominente
    Über alle Ausspielwege hinweg war, ist und bleibt aber das Benzin, das den Motor des Boulevardjournalismus am Laufen hält, die Berichterstattung über mehr oder weniger bekannte Menschen. Ein beliebtes Spiel hier, das sich spätestens seit der ersten Ausgabe von "Big Brother" auf RTL2 vor bald 20 Jahren auch im deutschen Markt entwickelt hat: TV-Formate machen bis dato Unbekannte zu Prominenten - und befinden sich von nun an im Brennglas der Boulevardmagazine.
    "Echte", sogenannte A-Prominente, wie auch Boris Becker, fahren, wenn sie sich darauf einlassen, mit Boulevardmedien nach oben - und dann oft auch wieder nach unten. Anderen gelingt es, ihr Privatleben fern von der Öffentlichkeit zu halten. Notfalls mit gerichtlichen Klagen gegen Bild und Co.
    Sprachlich hat der Begriff "Boulevard" seine Ursprünge in der Tatsache, dass die ersten Boulevardzeitungen auf der Straße (dem Boulevard) verkauft wurden. Die Grenzen zur sogenannten "Regenbogenpresse" oder "Yellow Press", die sich fast ausschließlich mit den Schicksalen Prominenter beschäftigt, sind - mal mehr, mal weniger - fließend.