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Medien in Südosteuropa
Der Blick auf Stacheldraht und Flüchtlinge

Stacheldraht, immer wieder Stacheldraht. Davor und dahinter: Tausende von Flüchtlingen und Hunderte von Polizisten. Das waren prägende Bilder aus Ungarn, die für Entrüstung sorgten. In der ungarischen Stadt Szeged treffen sich Journalisten - und sie beklagen generell die Schwarz-Weiß-Malerei in der Berichterstattung.

Von Thomas Wagner | 26.09.2015
    Ungarische Soldaten errichten einen temporären Zaun an der Grenze zu Kroaltien nahe Magyarboly. Aufnahme vom 24.09.2015
    Der Zaunbau in Ungarn polarisiert. (picture alliance / dpa / EPA/JANOS MARJARI)
    "Ein paar Kilometer von hier entfernt befindet sich der wichtigste Grenzübergang zwischen Ungarn und Serbien, Röszke. Und hier haben sich in letzter Zeit dramatische Szenen abgespielt, die um die Welt gegangen sind mit Bildern und Berichten."
    Der gebürtige Ost-Berliner Frank Fischer arbeitet seit 15 Jahren als Journalist in Budapest, schaut auf einem Smartphone gemeinsam mit Kristina Arnold, Redakteurin des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im ungarischen Pecs, jene Szene an, die besonders die Gemüter erhitzt hat:
    "Da ist eine Kamerafrau, die einem Migranten praktisch ein Bein stellt: Dieser Mann hat ein Kind im Arm und fällt danach hin."
    Die Szene ging um die Welt; ein Sturm der Entrüstung folgte, selbstredend auch, wie die ungarische Journalisten Kristina Arnold betont, in Ungarn. Für sie ist der Vorgang symptomatisch für ein Problem, dass sie in der Berichterstattung über die Flüchtlingsströme europaweit ausgemacht hat: Aus ihrer Sicht spiegelt sich in der medialen Darstellung der Flüchtlingsproblematik viel zu viel als Schwarz-Weiß-Malerei wieder. Wo, fragt sich Kristina Arnold, bleiben die Zwischentöne, die sie für eine objektive Einschätzung der Situation für wichtig hält?
    "Entweder man sieht die aggressiven Migranten oder man sieht ein ertrunkenes Kind im Meer liegen. Dazwischen gibt es nichts. Also, es werden jeweils bestimmten Meinungen unterstützt. Und das finde ich halt ganz schlimm, dass da Meinungen dabei herauskommen, die die Bevölkerung so polarisieren."
    Bestehende Meinungen werden bestärkt
    Will heißen: Die meisten Beiträge, die Kristina Arnold gesehen, gehört, gelesen hat, dienten weniger dazu, neue Erkenntnisse zu vermitteln, sondern bestehende Meinungen zu bestärken. Mit dieser Auffassung weiß sie sich nicht alleine. Frank Fischer kennt nach 15 Jahren Budapest die Medienszene in Ungarn sehr genau. Vor allem an einem hegt er keinen Zweifel:
    "Wenn man in Deutschland von den öffentlich-rechtlichen Medien eine halbwegs objektive Berichterstattung erwartet, kann man das von den ungarischen öffentlich-rechtlichen Medien nicht erwarten. Weil: Wer diese Sender schaut und hört, kriegt ungefiltert die Regierungsmeinung vermittelt. Nichts anderes. Dieser Rundfunk, dieses Fernsehen ist ein Propagandainstrument dieser Regierung. Und da gibt es entsprechende Vorgaben. Journalisten dürfen bestimmte Worte nicht benutzen. Sie dürfen bestimmte Dinge nicht zeigen. Das ist ganz klar."
    Ebenso klar ist, dass sich in solchen Programmen kein kritisches Wort wiederfindet über die Abschottungspolitik des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban. Und in Deutschand? Dort wird Orbans Politik zwar heftig kritisiert. Allerdings in einer Art und Weise, die Frank Fischer auch nicht besonders gut gefällt;
    "Ich denke, wenn ich das auf die deutschen Medien beziehen kann, dann ist das so, dass es da eine böse Figur gibt. Das ist der Orban. Diese Regierung wird extrem kritisiert. Und meiner Meinung nach wird zu wenig auf die Ursachen hingewiesen, warum diese Regierung so agiert wie sie agiert."
    So fehlt nach Fischers Beobachtung in deutschen Medien häufig der Hinweis auf den hohen Grad der Zustimmung, den der ungarische Ministerpräsident aus der Bevölkerung erfährt, gerade für seine umstrittene Flüchtlingspolitik. Und auch auf die Gefahr, dass rechtsextreme politische Gruppierungen in Ungarn derzeit einen enormen Zulauf hätten, werde zu wenig hingewiesen.
    Zivilgesellschaftliche Flüchtlingshilfe wird instrumentalisiert
    Sandra Györg hat zwar ungarische Wurzeln, kam aber als Kulturmanagerin aus Hamburg ins ungarische Pecs. Auch sie sieht die Flüchtlingssituation in Ungarn in vielen deutschen Medien unvollständig dargestellt ...
    "...insofern, dass ich hier noch ein anderes Bild mitbekomme, das vielleicht in deutschen Medienlandschaft vielleicht gar nicht auftaucht."
    Gemeint ist die Arbeit vieler zivilgesellschaftlichen Gruppierungen in Ungarn, die sich um die Flüchtlinge kümmern. Die wurden allerdings dann aber auch von den staatlichen Medien in Ungarn totgeschwiegen - zunächst. Dann waren sie plötzlich unfreiwilliges Mittel zum Propagandazweck.
    "Es gab jetzt allerdings tatsächlich eine Berichterstattung, die allerdings etwas sehr kritisch und sehr grenzwertig zu betrachten ist, da die Regierung für sich beansprucht hat, diese Organisation unterstützt zu haben, was laut Migration Aid, so heißt die Gruppierung, tatsächlich nicht wahr ist."
    Dass auch in Rumänien die Medien voll sind mit Beiträgen zur Flüchtlingsproblematik, versteht sich von selbst. Dabei steht noch nicht einmal so sehr der Widerstand des Landes gegen die Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU in den Schlagzeilen. Vielmehr spiegelt sich in der Berichterstattung etwas wieder, was auch Adi Aredelan, Redakteur beim öffentlich-rechtlichen Radio Temeswar, Sorgen bereitet:
    "Es wird sehr viel diskutiert, auch, dass Ungarn jetzt angedeutet hat, den Zaun weiter auch an der rumänisch-ungarischen Grenze zu bauen. Das wird als sehr negativ angesehen. Wir sprechen von einem vereinten Europa. Und dann bauen wir Zäune. Das ist irgendwo ein Widerspruch!"